08.10.2014Fachbeitrag

Newsletter Arbeitsrecht Oktober 2014

Änderungskündigungen zählen als anzeigepflichtige „Entlassung“

Bei der Ermittlung der Zahl von „Entlassungen“ zur Bestimmung der Schwellenwerte des § 17 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) sind Änderungskündigungen mitzuzählen. Dies gilt unabhängig davon, ob der gekündigte Arbeitnehmer das Angebot ablehnt oder – sei es auch unter Vorbehalt – annimmt.

Ein Arbeitnehmer klagte gegen die Wirksamkeit einer ihm gegenüber aus betriebsbedingten Gründen erklärten Beendigungskündigung. Grund für die Kündigung war eine Restrukturierung eines Betriebes mit regelmäßig nicht mehr als 170 Arbeitnehmern. Außer dem Kläger hatten zeitgleich 17 weitere Arbeitnehmer im Zuge der Personalmaßnahme eine Kündigung erhalten, zwei davon „nur“ eine Änderungskündigung. Eine Massenentlassungsanzeige hatte der Arbeitgeber zuvor nicht erstattet. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat – anders als zuvor das LAG München in II. Instanz – der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Kündigung sei unter anderem mangels notwendiger Massenentlassungsanzeige nach § 134 BGB (Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot) unwirksam.

Maßgebliche Schwellenwerte bei Massenentlassungen

Aufgrund der maßgeblichen Betriebsgröße (170 Arbeitnehmer) kam es bei der Frage, ob der maßgebliche Schwellenwert des § 17 Abs. 1 KSchG (in diesem Fall: 10 Prozent der beschäftigten Arbeitnehmer) überschritten worden war, entscheidend darauf an, ob die Änderungskündigungen mitzuzählen waren oder nicht. Die beklagte Arbeitgeberin hatte im Prozess die Nichtanzeige der Entlassungen im Wesentlichen damit begründet, dass die beiden Arbeitnehmer, die eine Änderungskündigung erhalten hatten, diese – und sei es unter dem Vorbehalt der Prüfung der sozialen Rechtfertigung gemäß § 2 Abs. 1 KSchG – angenommen hatten. Da sie somit im Ergebnis weiterbeschäftigt wurden und nicht aus dem Betrieb ausgeschieden seien, könne man nicht von ihrer „Entlassung“ sprechen.

Beendigungselement der Änderungskündigung ist entscheidend

Dieser Argumentation ist das BAG nicht gefolgt. Die Änderungskündigung sei immer aus zwei Willenserklärungen zusammengesetzt, nämlich aus der auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzielenden Kündigungserklärung und einem daneben unterbreiteten Fortsetzungsangebot. Wegen des zwingend notwendigen Beendigungselements sei jede Änderungskündigung eine „echte“ Kündigung. Ob diese Kündigung letztlich tatsächlich zum Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb führe oder nicht, sei weder aufgrund des Wortlauts des § 17 KSchG noch nach den Bestimmungen der europäischen Massenentlassungsrichtlinie entscheidend. Die Vorschrift knüpfe allein an die Absicht des Arbeitgebers an, eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern zu entlassen. Eine Änderungskündigung schließe eben diese Absicht ein, weil der Arbeitgeber jedenfalls damit rechnen müsse, dass der Arbeitnehmer das Änderungsangebot nicht (nicht einmal unter Vorbehalt) annehme, so dass die Beendigungskündigung zum Tragen komme. 

Konsultation des Betriebsrats ist auch bei angestrebten Vertragsänderungen sinnvoll

Außerdem sei die in § 17 Abs. 2, Abs. 3 KSchG vorgesehene Pflicht zur Konsultation des Betriebsrats vor einer Massenentlassung gleichermaßen sinnvoll, um einem möglichen Ausscheiden eines Arbeitnehmers wegen einer Änderungskündigung vorzubeugen. Ziele die Vertragsänderung auf eine Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit ab, könnten im Übrigen sogar bei der Fortführung des Vertragsverhältnisses negative Folgen für den örtlichen Arbeitsmarkt eintreten, weil die Arbeitnehmer sich nach einer Nebenbeschäftigung umsehen müssten.

Offene Frage bleibt

Nicht beantwortet hat das BAG eine Frage, die in dem entschiedenen Fall nicht relevant war, weil der klagende Arbeitnehmer eine „reine“ Beendigungskündigung erhalten hatte: Das Gericht hat offen gelassen, inwieweit sich der von einer Änderungskündigung betroffene Arbeitnehmer auf die fehlende Massenentlassungsanzeige berufen kann, wenn er das ihm unterbreitete Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der Bestätigung der sozialen Rechtfertigung der Änderungen annimmt. Da der Umfang der Prüfung im Rahmen des Verfahrens nach § 2 KSchG nach allgemeiner Auffassung nicht beschränkt ist, liegt auch dann die Schlussfolgerung nahe, von einer Unwirksamkeit der Änderungskündigung auszugehen.

Fazit

Da das Fehlen einer notwendigen Massenentlassungsanzeige zur Unwirksamkeit aller davon betroffenen Kündigungen führen kann, ist bei der Bestimmung der Schwellenwerte größte Sorgfalt erforderlich. In Zweifelsfällen sollte vorsorglich eine Anzeige erstattet werden. Zu beachten ist weiter, dass selbst bei erfolgter Anzeige Fehler im Verfahren nach §§ 17 ff. KSchG in den meisten Fällen zur Unwirksamkeit der fraglichen Kündigungen führen. Weil davon jeweils immer gleich eine Vielzahl von Kündigungen betroffen ist, ist auch insoweit Vorsicht geboten.

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