09.07.2015Fachbeitrag

Arbeitsrecht Oktober 2015

Berücksichtigung von Geschäftsführern bei Massenentlassungen

EuGH, Urteil vom 9.7.2015 – C-229/14 (Balkaya/Kiesel Abbruch- und Recycling Technik)

(Fremd-)Geschäftsführer einer GmbH und Praktikanten sind bei einer Massenentlassungsanzeige zu berücksichtigen.

Das Gesetz sieht vor, dass Arbeitgeber eine Massenentlassungsanzeige erstatten müssen, wenn sie eine größere Anzahl von Arbeitnehmern entlassen. Diese Verpflichtung geht zurück auf die europäische Richtlinie 98/59/EG vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen („Massenentlassungsrichtlinie“).

Aus § 17 Abs. 1 KSchG ergibt sich, wann ein Arbeitgeber eine solche Massenentlassungsanzeige zu erstatten hat. Dies gilt in Betrieben, in denen regelmäßig mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmer beschäftigt werden, beispielsweise dann, wenn der Arbeitgeber innerhalb von 30 Kalendertagen mehr als 5 Arbeitnehmer entlässt. Die Norm enthält für Betriebe unterschiedlicher Größe weitere Schwellenwerte.

Ermittlung der Schwellenwerte nach § 17 Abs. 1 KSchG

Dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wurde nun die Frage vorgelegt, wer als „Arbeitnehmer“ im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist. Anlass der Vorlagefrage war ein Kündigungsschutzverfahren beim Arbeitsgericht Verden. Der Arbeitgeber – eine deutsche GmbH – hatte den Kläger sowie alle anderen Arbeitnehmer wegen der Stilllegung des Betriebs ordentlich betriebsbedingt gekündigt, ohne zuvor eine Massenentlassungsanzeige zu erstatten. Bei Ausspruch der Kündigung waren nach Ansicht des Ausgangsgerichts 19 Arbeitnehmer im Betrieb tätig. Zwischen den Parteien bestand Streit, ob zwei weitere Personen, die ebenfalls im Betrieb beschäftigt waren, als „Arbeitnehmer“ im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie anzusehen sind und damit bei der Ermittlung der in § 17 Abs. 1 KSchG vorgesehenen Schwellenwerte zu berücksichtigen waren. Hierbei handelte es sich zum einen um den (Fremd-)Geschäftsführer der Gesellschaft und zum anderen um eine Umschülerin, die im Rahmen eines vom Jobcenter geförderten Praktikums im Betrieb tätig war und vom Arbeitgeber keine Vergütung bezog.

Arbeitnehmerbegriff im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie

Der EuGH hat die Frage in beiden Fällen bejaht. Sowohl der (Fremd-)Geschäftsführer als auch die Umschülerin sind „Arbeitnehmer“ im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie. Der diesbezügliche Arbeitnehmerbegriff müsse einheitlich und unionskonform ausgelegt werden. Wie das Beschäftigungsverhältnis nach nationalem Recht einzuordnen ist, sei insoweit irrelevant.

(Fremd-)Geschäftsführer und Praktikanten sind bei der Berechnung der Schwellenwerte zu berücksichtigen

Nach dem Unionsrecht sei das prägende Merkmal einer Arbeitnehmereigenschaft die weisungsgebundene Erbringung von Leistungen gegen Vergütung. Der (Fremd-)Geschäftsführer einer GmbH werde von der Gesellschafterversammlung ernannt, unterliege bei der Ausübung seiner Tätigkeit deren Weisungen und Aufsicht und könne von ihr jederzeit gegen seinen Willen abberufen werden. Da er sich hierdurch in einem Unterordnungsverhältnis zu der Gesellschaft befinde, sei der (Fremd-) Geschäftsführer als „Arbeitnehmer“ im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie anzusehen.

Die Entlassung von (Fremd-)Geschäftsführern und Praktikanten ist anzeigepflichtig

Dasselbe gilt für Umschüler und Praktikantin, die in einem Unternehmen praktisch mitarbeiten, um Kenntnisse zu erwerben oder zu vertiefen oder eine Berufsausbildung absolvieren. Auch sie sind bei der Berechnung der Schwellenwerte nach § 17 Abs. 1 KSchG zu berücksichtigen. Außerdem müssen auch ihre Entlassungen angezeigt werden.

Fazit

Die Erstattung von Massenentlassungsanzeigen erfordert auch weiterhin höchste Sorgfalt. Arbeitgeber können sich in Kündigungsschutzverfahren nicht darauf berufen, dass Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Personen nach § 17 Abs. 5 KSchG nicht zu berücksichtigen sind. Das nationale Recht ist europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass auch sie als „Arbeitnehmer“ im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie gelten. Gleiches gilt für Praktikanten. Das kann gerade in kleineren Betrieben dazu führen, dass eine Anzeigepflicht ausgelöst wird. Dabei ist darauf zu achten, dass die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingereicht werden muss, bevor die Kündigungen ausgesprochen oder Aufhebungsverträge abgeschlossen werden. Anderenfalls sind die Kündigungen unwirksam.

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