07.08.2015Fachbeitrag

zuerst erschienen im Handelsblatt Rechtsboard am 07.08.2015

Betriebsratstätigkeit ist keine Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes

Das Betriebsratsamt ist nach der gesetzlichen Grundkonzeption ein Ehrenamt. Der Betriebsrat unterliegt bei der Ausübung seiner Tätigkeit keinerlei Unterweisungen des Arbeitgebers. Jedes einzelne Betriebsratsmitglied hat – im Rahmen der subjektiven Erforderlichkeit – die Möglichkeit, sich jederzeit während der Arbeitszeit Betriebsratsaufgaben zu widmen. Damit dem engagierten Betriebsratsmitglied dadurch kein (fiskalischer) Nachteil entsteht, sieht das Betriebsverfassungsgesetz für solche Zeiten die Pflicht des Arbeitgebers zur Entgeltfortzahlung vor.

All dies ist jedenfalls dem Grunde nach unbestritten und in der Praxis in der Regel auch kein Problem. Schwierigkeiten treten allerdings im Hinblick auf zwei Fragestellungen auf – nämlich einerseits die Frage, ob der Arbeitgeber „Betriebsratsüberstunden“ vergüten muss und andererseits, ob der Betriebsrat bei seiner Betriebsratstätigkeit an die Grenzen des Arbeitszeitgesetztes gebunden ist.

Vergütungspflicht von Betriebsratsüberstunden

Für die erste Frage hält das Betriebsverfassungsgesetz in § 37 Abs. 3 BetrVG eine glasklare Regelung vor: Das Betriebsratsmitglied hat seine Betriebsratstätigkeit während der Arbeitszeit zu erbringen. Wenn es außerhalb der Arbeitszeit Betriebsratstätigkeiten nachgeht, ist dies im Grundsatz ein „freiwilliges Freizeitopfer“. Eine Vergütungspflicht des Arbeitgebers dafür besteht prinzipiell nicht; das Betriebsratsmitglied soll nicht in der Lage sein, sich selbst mit Betriebsratsüberstunden ein Zusatzgehalt zu verdienen (BAG, Urteil vom 19.3.2014, 7 AZR 480/12).

Nur dann, wenn das Betriebsratsmitglied aus betrieblichveranlassten Gründen, also aus vom Arbeitgeber zu vertretenen Gründen, die Betriebsratstätigkeit außerhalb der normalen Arbeitszeit erbringt, gilt etwas anderes. Dann werden auch solche (erforderlichen) Betriebsratsüberstunden als Arbeitszeit erfasst. Dafür hat der Arbeitgeber dann Freizeitausgleich zu gewähren. Nur wenn der Freizeitausgleich wiederum aus betrieblich veranlassten Gründen nicht möglich ist, entsteht ein Vergütungsanspruch des Betriebsratsmitgliedes für diese „Betriebsratsüberstunden“.

Als klassischer Fall für solche Betriebsratsüberstunden wird in der Praxis üblicherweise darauf verwiesen, dass ein Arbeitnehmer eigentlich in der Nachtschicht eingeteilt ist, allerdings an dem Tag – während der Tagschicht – als Betriebsratsmitglied an einer Betriebsratssitzung teilnimmt. Dann wird allgemein davon ausgegangen, dass die Schichteinteilung der betriebliche Grund ist, der das einzelne Betriebsratsmitglied dazu zwingt, die Betriebsratstätigkeit (Sitzungsteilnahme) außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit zu erfüllen. In den Fällen liegt also ein Fall von § 37 Abs. 3 BetrVG vor.

Betriebsratstätigkeit gleich Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes?

Davon losgelöst ist jedoch die zweite Frage noch offen, nämlich diejenige, ob Betriebsratstätigkeit als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes zu werten ist. Die Konsequenz wäre dann, dass auch für Betriebsratstätigkeit eine tägliche Höchstgrenze von 8 bzw. 10 Stunden und eine wöchentliche Höchstgrenze von 48 Stunden – mit den üblichen Ausgleichszeiträumen – gälte.

Dem Arbeitszeitgesetz hingegen ist jedoch eine klare Regelung nicht zu entnehmen, ob Betriebsratstätigkeit Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes ist. Das Arbeitszeitgesetz, das den Arbeitnehmer vor einer körperlichen oder psychischen Überbeanspruchung schützen soll (Gesundheitsschutz!), geht davon aus, dass als Arbeitszeit die Zeitspanne zu werten ist, in der der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber für Arbeitsleistung zur Verfügung steht, beziehungsweise Arbeitsleistung erbringt.

Übt ein Betriebsratsmitglied allerdings Betriebsratstätigkeit aus, ist er dabei den Weisungen des Arbeitgebers explizit entzogen. Er ist dann weder zur Arbeitsleistung verpflichtet, noch arbeitgeberseitigen Weisungen – sei es im Hinblick auf die Arbeitserfüllung, sei es gar im Hinblick auf Betriebsratstätigkeit – unterworfen. Begrifflich kann Betriebsratstätigkeit demnach nicht als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetztes verstanden werden.

Gleichwohl wird teilweise die Auffassung vertreten, dass Betriebsratstätigkeit Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes sei. Als Begründung wird dabei darauf Bezug genommen, dass

  • der Betriebsrat seine Betriebsratstätigkeit innerhalb des Betriebes zugunsten des Betriebes zu erbringen habe,
  • die Betriebsratstätigkeit nach dem Willen des BetrVG auch vergütet werden solle und
  • Betriebsratstätigkeit schließlich auch – ähnlich wie normaler Arbeitsleistung – vom Schutzzweck des Arbeitszeitgesetzes erfasst sei; auch Betriebsratsmitglieder müssten vor einer Überbeanspruchung geschützt werden.

LAG Niedersachsen – Beschluss vom 20. April 2015 (12 TaBV 76/14)

Das LAG Niedersachsen ist dieser rechtlichen Einschätzung zuletzt völlig zu Recht entgegen getreten. Betriebsratstätigkeit kann keine Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes sein. Alles andere würde zu unauflösbaren Konflikten führen. Der Normadressat des Arbeitszeitgesetzes ist der Arbeitgeber; er hat – durch Ausübung seiner Weisungs- und Organisationsbefugnisse – dafür Sorge zu tragen, dass eine Überbeanspruchung der Arbeitnehmer nicht stattfindet. Diese Weisungs- und Organisationsbefugnisse bestehen aber gegenüber dem Betriebsratsmitglied gerade nicht. Den Arbeitgeber würde also eine Pflicht treffen, zu deren Erfüllung er nichts beizutragen hat. Überdies würden dem Arbeitgeber – und nur ihm, nicht aber den Betriebsratsmitgliedern – Ordnungsgelder für den Fall drohen, dass die Betriebsratsmitglieder über die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes hinaus Betriebsratstätigkeiten erbringen. Der Betriebsrat ist nach der gesetzlichen Grundkonzeption autonom in der Entscheidung, wann er welche erforderliche Tätigkeit erbringt. Er kann sich sogar mittels gerichtlicher Hilfe jegliche Einmischung des Arbeitgebers in seine innere Organisation verbitten.

Nach allem ist daher Betriebsratstätigkeit keine Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetztes. Der Betriebsrat kann also mit Betriebsratstätigkeiten nicht gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen.

Aber…

Das LAG Niedersachsen belässt es jedoch nicht bei dieser erfreulich klaren und zutreffenden rechtlichen Einschätzung. Das LAG Niedersachsen verweist auf die Rechtsprechung des BAG vom 7. Juni 1989, wonach der Arbeitgeber bei der Anordnung von Arbeitsleistung gegenüber Betriebsratsmitgliedern zu berücksichtigen hat, ob diese Arbeitsleistung dem Betriebsratsmitglied im Hinblick auf bereits davor erbrachte beziehungsweise danach zu erbringende Betriebsratstätigkeit nicht zugemutet werden kann. Hier sind also wiederum die Fallgestaltungen gemeint, in denen der Arbeitnehmer in der einen Schicht zur Arbeitsleistung eingeteilt ist, aber während einer anderen Schicht am selben Tage Betriebsratstätigkeit erbringt. Wenn in solchen Fällen Betriebsratstätigkeit und normale Arbeitsleistung addiert zu Zeiträumen führen würden, die gegen die Höchstgrenzen des Arbeitszeitgesetzes verstoßen, dann darf das Betriebsratsmitglied sich auf die Unzumutbarkeit eines derart langen Arbeitstages berufen und kann vom Arbeitgeber nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet werden. Die Wertungen des Arbeitszeitgesetzes finden also mittelbar Anwendung auf Betriebsratstätigkeiten, allerdings nur und insoweit, als autonome Zeitentscheidungen des Betriebsrates mit arbeitgeberseitigen Weisungen kollidieren.

Fazit

Rechtlich liegt das LAG Niedersachsen vollkommen richtig. Betriebsratstätigkeit ist keine Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes. Zugleich ist auch die Einschätzung des LAG Niedersachsen zutreffend, dass der Arbeitgeber von einem Betriebsratsmitglied, das zuvor bereits an einer achtstündigen Betriebsratssitzung teilgenommen hat, nicht mehr verlangen kann, danach einen achtstündigen Arbeitstag zu erbringen.

Folgt man den Gedanken und der Argumentation des LAG Niedersachsen, ist zugleich festgestellt, dass Betriebsratsmitglieder bei autonomen Zeitentscheidungen nicht an das Arbeitszeitgesetz gebunden sind. Ein Betriebsratsmitglied kann also sehr wohl an einem Tag ein achtstündiges Betriebsseminar zuzüglich der An- und Abreise inklusive Überschreitung der 10-Stunden-Grenze ableisten, ohne dass ihm oder dem Arbeitgeber dies vorgeworfen werden könnte.

Ob solche Zeiten dann allerdings wiederum vergütungspflichtig sind, bestimmt sich einzig und allein nach § 37 Abs. 3 BetrVG. Wie auch bei normalen Arbeitnehmern – dies sei zur Klarstellung hervorgehoben – besteht eine Vergütungspflicht unter Umständen auch bei Überschreitungen des Arbeitszeitgesetzes.

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