18.06.2015Fachbeitrag

Newsletter Arbeitsrecht Oktober 2015

Diskriminierungsschutz bei Scheinbewerbung?

BAG vom 18.6.2015 – 8 AZR 848/13 (A) – Vorlage zum EuGH

Das Bundesarbeitsgericht hat dem Europäischen Gerichtshof die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob auch ein Scheinbewerber (sog. „AGG-Hopper“) Diskriminierungsschutz genießt, wenn aus dessen Bewerbung hervorgeht, dass nicht eine Einstellung und Beschäftigung gewollt ist, sondern lediglich der Status als Bewerber erreicht werden soll, um Entschädigungsansprüche geltend machen zu können. Die Beklagte, die zu einem großen Versicherungskonzern gehört, schrieb ein „Trainee-Programm 2009“ aus, das als Anforderungskriterien einen nicht länger als ein Jahr zurückliegenden oder innerhalb der nächsten Monate erfolgenden sehr guten Hochschulabschluss nannte sowie qualifizierte berufsorientierte Praxiserfahrung durch z. B. Ausbildung, Praktika oder Werkstudententätigkeit. Bei der Fachrichtung Jura waren zusätzlich eine arbeitsrechtliche Ausrichtung oder medizinische Kenntnisse erwünscht. Der Kläger, der 1999 die Erste Juristische Staatsprüfung mit der Note „befriedigend“ und sodann 2001 die Zweite Juristische Staatsprüfung mit der Note „ausreichend“ bestanden hatte und seither überwiegend als selbstständiger Rechtsanwalt tätig war, gab in seinen Bewerbungsunterlagen an, dass er als früherer leitender Angestellter in einer Rechtsschutzversicherung über Führungserfahrung verfüge. Derzeit besuche er einen Fachanwaltskurs für Arbeitsrecht und betreue zudem wegen des Todes seines Vaters ein umfangreiches medizinrechtliches Mandat, weshalb er auch im Medizinrecht über einen erweiterten Erfahrungshorizont verfüge. Darüber hinaus sei er als ehemaliger leitender Angestellter gewohnt, selbstständig zu arbeiten und Verantwortung zu übernehmen. Die Beklagte lehnte die Bewerbung schließlich ab, woraufhin der Kläger eine Entschädigung in Höhe von 14.000 Euro wegen Altersdiskriminierung geltend machte. Die anschließende Einladung der Beklagten zum Gespräch mit ihrem Personalleiter lehnte der Kläger ab und schlug stattdessen vor, nach Erfüllung des Entschädigungsanspruches rasch über seine Zukunft bei der Beklagten zu sprechen.

Ein Entschädigungsanspruch setzt voraus, dass sich der Bewerber mit dem Ziel einer Einstellung bewirbt.

Das Arbeitsgericht Wiesbaden wies die Klage ab. Auch die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers blieb erfolglos. Das Bundesarbeitsgericht vertritt in seiner Entscheidungsbegründung die Auffassung, dass sich der Kläger bei der Beklagten nicht mit dem Ziel beworben habe, eine Beschäftigung als Trainee zu erreichen. Bereits die Formulierung des Bewerbungsschreibens und die darin enthaltenen Mitteilungen des Klägers stünden einer gewollten Einstellung als Trainee entgegen. Dafür spreche zudem, dass der Kläger die Einladung zu einem Personalgespräch ausgeschlagen habe. Aus diesem Grund sei der Kläger nicht als „Bewerber“ oder „Beschäftigter“ i. S. v. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG anzusehen und könne sich daher auch nicht auf § 15 AGG berufen. Das Bundesarbeitsgericht verweist allerdings auch darauf, dass das Recht der Europäischen Union in den einschlägigen Richtlinien nicht den „Bewerber“ nenne, sondern den „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit“ schütze. Es sei jedoch noch nicht geklärt, ob das Richtlinienrecht voraussetze, dass wirklich der Zugang zur Beschäftigung gesucht werde und eine Einstellung tatsächlich gewollt sei. Es handele sich dabei um eine Auslegungsfrage.

Ist das Vorliegen einer formalen Bewerbung für das Eingreifen des unionsrechtlichen Antidiskriminierungsschutzes ausreichend?

Das Bundesarbeitsgericht hat daher dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob für das Eingreifen des unionsrechtlichen Schutzes das Vorliegen einer formalen Bewerbung genügt. Sofern der Europäische Gerichtshof diese Vorlagefrage bejahen sollte, will das Bundesarbeitsgericht wissen, ob die fehlende subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung als rechtmissbräuchlich anzusehen ist oder noch unter „Rechtsgebrauch“ im Sinne der unionsrechtlichen Vorgaben fällt.

Fazit

Der Europäische Gerichtshof wird nun darüber zu entscheiden haben, ob auch Bewerber, aus deren Bewerbung oder ihrem weiteren Verhalten zu schließen ist, dass sie nicht ernsthaft an einer Einstellung und Beschäftigung interessiert sind, sondern nur die Voraussetzungen für eine Entschädigungsklage schaffen wollen, den Schutz einschlägigen Unionrechts und damit des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes genießen. Sollte der Europäische Gerichtshof dies bejahen, ist künftig allein das Vorliegen einer formalen Bewerbung zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen ausreichend, unabhängig davon, wie ernst diese Bewerbung gemeint ist. Damit würde sogenannten „AGG-Hoppern“ die Möglichkeit zur systematischen Klageerhebung deutlich vereinfacht. Für Arbeitgeber bedeutet dies, dass nicht nur bei der Formulierung von Stellenanzeigen, sondern auch dann, wenn Stellenbewerber völlig offensichtlich nicht an der ausgeschriebenen Stelle interessiert sind, während des gesamten Bewerbungsprozesses höchste Sorgfalt geboten ist, um den Anschein etwaiger Diskriminierungen zu vermeiden.

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