Am 19. Januar 2021 ist eine Novellierung des deutschen Kartellrechts in Kraft getreten. Mit der 10. GWB-Novelle werden vor allem Regelungen zur stärkeren Regulierung der Digitalen Wirtschaft eingeführt, weshalb das Gesetz die Bezeichnung „GWB-Digitalisierungsgesetz“ erhalten hat. Darüber hinaus hat die Novelle aber auch eine Reihe weiterer Regelungen geändert und ergänzt, u.a. in der Fusionskontrolle und im Kartellverfahrensrecht.
Im Zentrum der 10. GWB-Novelle steht die Modernisierung der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht. In den Gesetzesentwurf sind insbesondere die Erkenntnisse der im Auftrag des BMWi von den Professoren Schweitzer/Haucap/Kerber/Welker erstellten Studie zur „Modernisierung der Missbrauchsaufsicht für marktmächtige Unternehmen“ und die Arbeit der Kommission Wettbewerb 4.0 eingeflossen. Der Kurztitel des Gesetzes „GWB-Digitalisierungsgesetz“ ist hier Programm, denn es geht insoweit zuvörderst um die Anpassung des GWB an die Herausforderungen des digitalen Wandels.
Mit § 19a GWB schafft der Gesetzgeber einen neuen Eingriffstatbestand für Unternehmen „mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“. Derartige „Super-Marktbeherrscher“ besetzen nach dem Bild des Gesetzgebers Schlüsselpositionen für die Entwicklung der wettbewerblichen Strukturen. Sie können daher verpflichtet werden, konkrete wettbewerbsschädliche Verhaltensweisen zu unterlassen.
Das Verfahren ist zweistufig ausgestaltet: Auf der ersten Stufe muss das Bundeskartellamt feststellen, dass das jeweilige Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb besitzt. Auf der zweiten Stufe werden dem Unternehmen nach dem Katalog des § 19a Abs. 2 GWB konkrete Unterlassungsverpflichtungen auferlegt. Die beiden Stufen können auch miteinander verbunden werden (§ 19a Abs. 2 Satz 5 GWB).
Eine überragende marktübergreifende Bedeutung sieht der Gesetzgeber vor allem im Bereich der digitalen Ökonomie. Das Instrumentarium nach § 19a GWB besteht nämlich nur gegenüber Unternehmen, die „in erheblichem Umfang“ auf sog. „mehrseitigen Märkten“ bzw. im Bereich von „Netzwerken“ tätig sind. Dies ergibt sich aus der Bezugnahme auf § 18 Abs. 3a GWB. Bei den potenziellen „Super-Marktbeherrschern“ hat der Gesetzgeber also zuallererst die großen Plattformen und Digitalkonzerne im Blick.
In § 19a Abs. 1 Satz 2 GWB werden folgende, nicht abschließende Kriterien zur Feststellung einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung aufgeführt:
Die Feststellung einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung ist gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 GWB auf fünf Jahre zu befristen. Sie kann mittels Beschwerde zum BGH gemäß § 73 Abs. 5 Nr. 1 GWB auch isoliert angegriffen werden.
Im Fall der Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung kann diesen Unternehmen – neben den weiterhin geltenden allgemeinen Missbrauchsvorschriften – nach § 19a Abs. 2 Satz 1 GWB explizit untersagt werden,
In Regelbeispielen hat der Gesetzgeber für jeden der vorgenannten Tatbestände zu verdeutlichen versucht, welches volkswirtschaftliche Schädigungspotenzial er jeweils annimmt.
Unternehmen mit marktübergreifender Bedeutung können sich gegen eine Untersagungsverfügung damit verteidigen, dass die jeweilige Verhaltensweise sachlich gerechtfertigt ist; die Darlegungs- und Beweislast hierfür liegt allerdings beim Unternehmen (§ 19a Abs. 2 Satz 2 und 3 GWB).
Neuerungen gibt es außerdem für die Marktbeherrschungsprüfung: In den Katalog der bei der Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens insbesondere zu berücksichtigenden Umstände wird nun in § 18 Abs. 3 Nr. 3 GWB n.F. ausdrücklich auch der Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten aufgenommen. Hierdurch soll klargestellt werden, dass der Zugang zu Daten in allen Wirtschaftsbereichen und nicht nur für mehrseitige Märkte und Netzwerke als Kriterium für die Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens in Betracht kommt. Denn bisher findet sich der Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten lediglich als insbesondere bei mehrseitigen Märkten und Netzwerken bei der Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens zu berücksichtigender Umstand (§ 18 Abs. 3a Nr. 4 GWB).
Außerdem wird mit dem neuen § 18 Abs. 3b GWB das Konzept der „Intermediationsmacht“ etabliert, um der Vermittlungs- und Steuerungsfunktion von Plattformen (Intermediäre) Rechnung tragen zu können. Danach ist bei der Prüfung der marktbeherrschenden Stellung eines Unternehmens, das als Vermittler auf mehrseitigen Märkten tätig ist, insbesondere auch die Bedeutung der von ihm erbrachten Vermittlungsdienstleistungen für den Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten zu berücksichtigen.
Durch die Neufassung des § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB wird die deutsche Kodifizierung der „essential facilities doctrine“ an die Entwicklung in der europäischen Anwendungspraxis und Rechtsprechung angepasst. Die bisherige Regelung war geprägt vom engen Verständnis einer missbräuchlichen Zugangsverweigerung insbesondere bei physischer Infrastruktur. Die Neufassung soll dagegen mit ihrer offeneren Formulierung klarstellen, dass auch eine Verweigerung des Zugangs zu Plattformen oder Schnittstellen oder zu wettbewerbsrelevanten Daten missbräuchlich sein können, ebenso die Verweigerung der Lizensierung von Immaterialgüterrechten.
Mit der Neufassung zur Regelung der relativen Marktmacht in § 20 Abs. 1 Satz 1 GWB wird die Beschränkung des Schutzbereichs auf „kleine oder mittlere“ Unternehmen aufgehoben. In der Folge kann sich die relative Marktmacht eines Unternehmens auch gegenüber großen Unternehmen ergeben, die von einem relativ marktmächtigen Unternehmen abhängig sind. Einschränkend wird allerdings klargestellt, dass eine Normadressateneigenschaft nicht besteht, wenn die abhängigen Unternehmen im Hinblick auf die jeweilige konkrete Abhängigkeitslage mit einer entsprechenden Gegenmacht ausgestattet sind. Diese Änderung wird weit über die Digitalwirtschaft hinaus von erheblicher praktischer Bedeutung sein.
Mit dem neuen § 20 Abs. 1 Satz 2 GWB wird klargestellt, dass das Konzept der „Intermediationsmacht“ von Unternehmen, die als Vermittler auf mehrseitigen Märkten tätig sind, auch im Rahmen der Abhängigkeitsprüfung zu berücksichtigen ist.
Der neue § 20 Abs. 1a GWB stellt klar, dass sich eine Abhängigkeit auch aus dem Angewiesensein des Zugangspetenten auf den Zugang zu Daten ergeben kann. In diesem Zusammenhang wird zudem klargestellt, dass eine unbillige Behinderung auch dann vorliegen kann, wenn ein Geschäftsverkehr für diese Daten bisher nicht eröffnet ist.
Die Einfügung des neuen § 20 Abs. 3a GWB dient der Etablierung eines neuen Eingriffstatbestandes zur Verringerung der wettbewerblichen Probleme durch das sog. Tipping, d.h. die Transformation eines durch starke positive Netzwerkeffekte geprägten Marktes mit mehreren Anbietern zu einem monopolistischen bzw. hoch konzentrierten Markt. Hierzu sieht die Neuregelung vor, dass eine unbillige Behinderung auch dann vorliegt, wenn ein Unternehmen mit überlegener Marktmacht auf einem Markt im Sinne des § 18 Abs. 3a GWB n.F. die eigenständige Erzielung von Netzwerkeffekten durch Wettbewerber behindert und hierdurch die ernstliche Gefahr begründet, dass der Leistungswettbewerb in nicht unerheblichem Maße eingeschränkt wird. Hierdurch wird ein kartellbehördliches Eingreifen zu einem frühen Zeitpunkt ermöglicht, zu dem ein betroffenes Unternehmen noch nicht die Schwelle zur Markbeherrschung überschritten hat, weil ein einmal erfolgtes Tipping praktisch nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Der Gesetzgeber hat hier insbesondere an das Verbot oder die Behinderung des sog. Multi-Homing (parallele Nutzung mehrerer Plattformen) und die Erschwerung des Plattformwechsels gedacht, ohne die Regelung auf diese Fälle zu begrenzen.
Kurzfristig vor Verabschiedung der Novelle durch den Bundestag hat der Wirtschaftsausschuss eine erhebliche Anhebung der Umsatzschwellen in die Novelle aufgenommen. Künftig sind Zusammenschlüsse auf Basis der Umsatzerlöse der beteiligten Unternehmen gemäß § 35 Abs. 1 GWB nur noch dann beim Bundeskartellamt anzumelden, wenn im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss
erzielt haben. Diese Anhebung der Umsatzschwellen soll das Bundeskartellamt von der Prüfung kleinerer Zusammenschlüsse entlasten.
Zudem wurde die Bagatellmarktschwelle (§ 36 Abs. 1 Nr. 2 GWB) erhöht, so dass ein Zusammenschluss künftig nicht untersagt werden kann, wenn auf einem Markt im letzten Kalenderjahr im Inland weniger als EUR 20 Mio. (bisher: EUR 15 Mio.) erzielt wurden. Auch die Medienrechenklausel (§ 38 Abs. 3 GWB) wurde reduziert, so dass bei Zusammenschlüssen von Presse- und Rundfunkunternehmen künftig nicht mehr das Achtfache, sondern nur noch das Vierfache der Umsatzerlöse anzusetzen ist.
Entfallen ist auch die Pflicht, dem Bundeskartellamt den Vollzug von angemeldeten Zusammenschlüssen mitzuteilen.
Die Novelle bringt aber auch im Bereich der Fusionskontrolle nicht nur Erleichterungen: Das Bundeskartellamt kann Unternehmen künftig gemäß § 39a GWB nach einer Sektoruntersuchung verpflichten, jeden Zusammenschluss in einem oder mehreren bestimmten Wirtschaftszweigen anzumelden, wenn insbesondere
Erfasst werden sollen hierdurch Fälle, in denen ein Unternehmen mehrere kleinere, nicht anmeldepflichtige Erwerbsvorgänge auf den gleichen sachlich relevanten Märkten durchführt, insbesondere, wenn diese in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehen. Es kann hierbei zu wettbewerblich problematischen Konzentrationen kommen, wenn sich größere Unternehmen in Regionalmärkten eine Vormachtstellung erkaufen.
Die Novelle verlängert die in § 40 Abs. 2 GWB geregelte Frist des Bundeskartellamtes für die vertiefte Prüfung von Zusammenschlüssen („Hauptprüfverfahren“) von bisher vier Monaten auf fünf Monate. In der Praxis hat das Bundeskartellamt bereits bisher viele Verfahren mit Zustimmung der Parteien verlängert, so dass die Neuregelung nur begrenzte Auswirkungen haben dürfte.
Von der Anwendung der Fusionskontrolle ausgenommen sind künftig vor dem 31. Dezember 2027 vollzogene standortübergreifende Zusammenschlüsse im Krankenhausbereich, sofern ihnen keine anderen wettbewerbsrechtlichen Vorschriften entgegenstehen und sie die Voraussetzungen für eine öffentliche Förderung nach den entsprechenden krankenhausrechtlichen Vorschriften erfüllen (vgl. § 186 Abs. 9 GWB).
Anders als bei der 9. GWB-Novelle steht das Kartellschadensersatzrecht bei dieser Novelle nicht im Fokus. In § 33a Abs. 2 GWB wird aber eine widerlegliche Vermutung dafür eingeführt, dass sachlich, zeitlich und räumlich in den Bereich eines Kartells fallende Rechtsgeschäfte mit kartellbeteiligten Unternehmen vom Kartell betroffen sind. Auch zugunsten mittelbarer Abnehmer soll diese Vermutung greifen.
Damit reagiert der Gesetzgeber auf die jüngere Rechtsprechung des BGH in den „Schienenkartell-Fällen“ (KZR 26/17 und KZR 24/17), die Anscheinsbeweise für das Vorliegen der Kartellbetroffenheit abgelehnt hatte.
Diese neue Vermutung dürfte nach allgemeinen Grundsätzen allerdings erst auf nach Inkrafttreten des Gesetzes entstehende Schadensersatzansprüche anwendbar sein. Ob sie praktische Auswirkungen haben wird, bleibt abzuwarten, da die Gerichte auch schon jetzt mit tatsächlichen Vermutungen und Schätzungen arbeiten können. Im Hinblick auf die Schadenshöhe gilt jedenfalls weiterhin die allgemeine richterliche Schätzungsbefugnis gemäß § 287 ZPO; eine spezifische Regel zur Bestimmung oder Schätzung des Schadens wurde in das GWB nicht neu aufgenommen.
Die 10. GWB-Novelle enthält zahlreiche Änderungen des Verfahrensrechts. Diese Änderungen betreffen im Wesentlichen die Aufnahme eines eigenständigen Akteneinsichtsanspruchs in das GWB sowie die Umsetzung zahlreicher Regelungen der ECN+-Richtlinie, insbesondere die gesetzliche Verankerung des bisher nur auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften des Bundeskartellamtes geregelten Kronzeugenprogramms:
Mit § 56 Abs. 3 bis 6 GWB regelt der Gesetzgeber erstmals die Akteneinsicht im Kartellverwaltungsverfahren. Beteiligte müssen ein rechtliches Interesse für die Akteneinsicht geltend machen. Ebenso erhalten Dritte ein Akteneinsichtsrecht, sofern sie ein berechtigtes Interesse haben.
Soweit die Einsicht zur Vorbereitung eines Schadensersatzanspruchs dient, ist die Akteneinsicht eingeschränkt. Dies soll sicherstellen, dass die in § 89c GWB geregelte Akteneinsicht in die Behördenakte im Falle von Kartellschadensersatzprozessen nicht unterlaufen wird.
Die Einschränkung der Akteneinsicht ist u.a. aufgrund von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen möglich. Explizit ausgenommen von der Akteneinsicht sind Entwürfe zu Entscheidungen, Arbeiten zu ihrer Vorbereitung sowie Dokumente, die Abstimmungen betreffen. Abzuwarten bleibt, ob die Rechtsprechung diese Regelung im Hinblick auf das Informationsfreiheitsgesetz als ebenso abschließend sieht wie die Gesetzesbegründung.
Mit zahlreichen, teilweise sehr detaillierten Vorschriften setzt der Gesetzgeber die ECN+-Richtlinie um. Die Richtlinie soll eine wirksamere Durchsetzung der europäischen Wettbewerbsregelung sicherstellen. Im Fokus stehen dabei der Informationsaustausch und die Amtshilfe zwischen den nationalen Kartellbehörden.
Mit § 59b GWB konkretisiert das GWB die Befugnisse der Kartellbehörden bei Durchsuchungen (bisher: § 59 Abs. 4 GWB). Erforderlich ist ein Anfangsverdacht der Kartellbehörden. Insbesondere haben Vertreter und Mitarbeiter des betroffenen Unternehmens nunmehr eine Mitwirkungspflicht bei Fragen der Kartellbehörden. Die dabei herausgegebenen Informationen können allerdings einem bedingten Beweisverwertungsverbot unterliegen. Die Kartellbehörden können die Duldung der Durchsuchung mittels eines Zwangsgeldes durchsetzen.
Die neu eingeführten §§ 50a bis 50e GWB regeln die Pflicht des Bundeskartellamtes zur Amtshilfe bei Ermittlungen sowie bei Zustellungen und Vollstreckungsmaßnahmen von Kartellbehörden der Mitgliedstaaten.
So behandelt § 50a GWB die Zusammenarbeit der nationalen Kartellbehörden bei Ermittlungen, während § 50b GWB die Zustellung von Dokumenten (z.B. Entscheidungen einer Kartellbehörde eines Mitgliedstaats) an das betroffene Unternehmen durch das Bundeskartellamt regelt. Auch die Vollstreckung von Entscheidungen der Kartellbehörden der Mitgliedstaaten obliegt nach § 50c GWB nunmehr dem Bundeskartellamt. Bei Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit von Zustellung und Vollstreckung entscheidet das nach dem GWB zuständige Gericht nach deutschem Recht.
Im Rahmen des Informationsaustausches nach § 50d GWB (bisher: § 50a GWB) gelten nunmehr Einschränkungen für die Weitergabe von Kronzeugenanträgen.
In Umsetzung der ECN+-Richtlinie sind die Bußgeldvorschriften grundlegend überarbeitet worden und nun in §§ 81a bis 81g GWB niedergelegt.
Der Gesetzgeber hat die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmensvereinigungen wie z.B. Branchenverbänden erweitert und in § 81b GWB Regelungen aufgenommen, mit denen die Zahlung der gegen eine Unternehmensvereinigung verhängten Geldbuße letztlich durch ihre Mitglieder sichergestellt wird.
Grundlegend erweitert wurden auch die gesetzlichen Regelungen zur Bußgeldzumessung, die bisher im Wesentlichen in den Bußgeldleitlinien des Bundeskartellamts geregelt waren. In § 81d GWB wurde ein nicht abschließender Kriterienkatalog für die Bußgeldbemessung aufgenommen. Dieser soll Kartellbehörden und Gerichten die Ausfüllung des gesetzlichen Rahmens erleichtern und die Einheitlichkeit der Bußgeldbemessung fördern. Ausdrücklich geregelt ist unter anderem auch, dass sich ein positives Nachtatverhalten bußgeldmindernd auswirken kann. Insbesondere Compliance-Maßnahmen, die nach der Tat ergriffen wurden, um die durch den Kartellverstoß aufgedeckten Defizite in der Compliance zu beheben, können nunmehr von den Kartellbehörden bei der Bußgeldbemessung berücksichtigt werden. Auch Bemühungen des Unternehmens zur Aufklärung des Verstoßes und zur Schadenswiedergutmachung finden bei der Bemessung Berücksichtigung.
Eine weitreichende Änderung enthält § 81g GWB: Abweichend von § 33 Abs. 3 OWiG hemmt § 81g Abs. 4 S. 2 GWB die absolute Verjährungsfrist für die Dauer eines Gerichtsverfahrens. In einem laufenden Gerichtsverfahren kann die absolute Verjährung damit nicht mehr geltend gemacht werden. Nach der zugrundeliegenden Regelung der ECN+-Richtlinie hätte der Gesetzgeber die absolute Verjährungsfrist unberührt lassen können. Aufgrund der langen Dauer vieler Gerichtsverfahren hat sich der Gesetzgeber für eine Hemmung der Verjährung entschieden.
Die ECN+-Richtlinie erfordert eine gesetzliche Regelung eines nationalen Kronzeugenprogramms. Das bisher in der sog. Bonusregelung als Bekanntmachung des Bundeskartellamtes geregelte Kronzeugenprogramm wird ohne größere Modifikationen in §§ 81h bis 81n GWB überführt. Das Kronzeugenprogramm umfasst nur horizontale Absprachen. Nach der Gesetzesbegründung liegt eine Berücksichtigung auch bei vertikalen Absprachen im Ermessen der Kartellbehörden. Die Staatsanwaltschaft ist durch das Kronzeugenprogramm nicht gebunden: Eine Verurteilung natürlicher Personen z.B. nach § 298 StGB (Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen) ist trotz Kronzeugenstatus möglich.