15.02.2016Fachbeitrag

zuerst erschienen im Behörden Spiegel am 15. Februar 2016

Kein Vergabe-Freibrief

Beschaffung von Unterkünften bei explodierenden Asylbewerberzahlen

Viele Kommunen meinen, Vergaberecht wäre bei der Beschaffung von Flüchtlingsunterkünften nicht zu beachten. Sie meinen, die große Zahl der Flüchtlinge berechtigte per se zu Direktvergaben. Richtig ist: Zahlreiche Bundesländer, der Bund und selbst die EU-Kommission wollen mit Rundschreiben und Erlassen der öffentlichen Hand die Beschaffung von Flüchtlingsunterkünften erleichtern. Diese Erleichterungen stellen jedoch keine grundsätzliche Befreiung dar.

Vielmehr muss, wie die EU-Kommission in ihrer "Mitteilung zu den Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe im Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingsproblematik" vom 09.09.2015 zutreffend ausführt, der öffentliche Auftraggeber von Fall zu Fall entscheiden, welches Verfahren er anwenden darf.

Das, was bisher bereits vom Vergaberecht befreit war, unterfällt selbstverständlich auch nicht durch die neuen Erlasse und Rundschreiben dem Vergaberecht. So unterliegen Mietverträge weiterhin nicht dem Vergaberecht. Die öffentliche Hand darf somit wettbewerbsfrei die entsprechenden Räumlichkeiten anmieten. Für den Kauf einer fertigen Immobilie darf eine Kommune ebenfalls auf ein förmliches Vergabeverfahren verzichten. Sie muss aber die haushaltsrechtlichen Gebote der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit beachten. Weit über dem Marktpreis liegende Kauf- oder Mietzahlungen sind somit nur ausnahmsweise zulässig. Abweichendes gilt für den Bau neuer Asylbewerberunterkünfte. Kommunen müssen hierfür regelmäßig die vergaberechtlichen Bestimmungen beachten. Der Beschaffungsakt ist ein öffentlicher Bauauftrag. Wenn ein Auftragswert von aktuell 5,225 Mio. Euro (netto) überschritten wird, ist der Auftrag sogar europaweit auszuschreiben. Da häufig die Zeit drängt, sieht selbst das Vergaberecht bestimmte Beschleunigungsmöglichkeiten - beispielsweise Fristverkürzungen - für das erforderliche Vergabeverfahren vor. Direktvergaben an ein bestimmtes Unternehmen oder Verhandlungen mit einigen wenigen Bauunternehmen sind nur ausnahmsweise erlaubt.

Die verschiedenen Erlasse und Rundschreiben geben den Kommunen gute Argumentationshilfen, um sich auf die Ausnahmetatbestände für beschleunigte Verfahren oder Vergaben mit eingeschränktem Teilnehmerkreis zu berufen. So wird in der aktuellen Situation davon ausgegangen, dass aufgrund der unvorhersehbaren Ereignisse im Regelfall die Ausnahmetatbestände der Dringlichkeit gegeben sind. Kommunen sollten jedoch nicht blindlings darauf vertrauen, dass auch die Nachprüfungsinstanzen dies anerkennen. Die Vergabekammern werden sicherlich die Gesamtumstände und Erlasse berücksichtigen.

Dennoch müssen Auftraggeber für jeden einzelnen Fall eine nachvollziehbare Begründung dokumentieren. Die Dokumentationspflichten, gerade bei Ausnahmetatbeständen, sind stets zu beachten. Andernfalls kann der Angriff eines  Unternehmens vor den Nachprüfungsinstanzen bereits allein schon aufgrund von Dokumentationsmängeln erfolgreich sein.

Zudem ist nicht auszuschließen, dass der Begriff der Dringlichkeit bei mittlerweile schon länger steigenden Asylbewerberzahlen seine Rechtfertigungswirkung verliert.

Jede Abweichung von den vergaberechtlichen Anforderungen sollte daher ausführlich mit einer individuellen Begründung dokumentiert werden. Denn die Erlasse und Rundschreiben sind kein Freibrief für Vergaberechtsverstöße. Dr. Ute Jasper ist Partnerin, Dr. Jens Biemann Rechtsanwalt bei der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek.

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