05.04.2016Fachbeitrag

Newsletter Health Care, Pharma & Life Sciences 1/2016

Lockerung des Verbots der Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien!

Jeder, der sich zumindest am Rande mit Vergabeverfahren beschäftigt, dürfte schon einmal von dem Verbot der Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien als eines der wesentlichen Prinzipien im Vergaberecht gehört haben. Sowohl die Gerichte als auch der Gesetzgeber selbst lockern dieses Prinzip derzeit immer mehr.

Öffentliche Auftraggeber prüfen die in Vergabeverfahren eingehenden Angebote auf vier Wertungsstufen. Diese Stufen ergeben sich aus den Vergabe- und Vertragsordnungen (vgl. §§ 16 VOL/A, 19 EG VOL/A, 16 VOB/A, 16 EG VOB/A). Die erste Wertungsstufe umfasst die Prüfung des Angebots auf Formfehler, die zweite Wertungsstufe beschäftigt sich mit der Eignung des an dem Auftrag interessierten Unternehmens, auf der dritten Wertungsstufe wird die Angemessenheit des Angebotspreises überprüft, und auf der vierten Wertungsstufe wird das Angebot anhand der bekanntgemachten Zuschlagskriterien ausgewertet und damit seine Wirtschaftlichkeit festgestellt. Diese Wertungsstufen sind gemäß des vergaberechtlichen Vermischungsverbots grundsätzlich voneinander zu trennen.

Bisherige Rechtsprechung zum Verbot der Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien

Insbesondere die Vermischung der zweiten und der vierten Wertungsstufe, also die allgemeine, unternehmensbezogene Eignungsprüfung und die konkrete, leistungsbezogene Wirtschaftlichkeitsprüfung des Angebots, gab in der Vergangenheit häufig Anlass zu Rechtstreitigkeiten vor den Vergabekammern. § 11 Abs. 5 Satz 2 VOF regelt ausdrücklich: „Bei der Festlegung der Zuschlagskriterien ist auf die klare und nachvollziehbare Abgrenzung zu den Eignungskriterien bei der Auswahl der Bewerber zu achten.“

Die Vergabekammern haben überwiegend eher restriktiv entschieden, also häufig Sachverhalte als unzulässige Vermischung eingeordnet. Als auf der vierten Wertungsstufe unzulässige Zuschlagskriterien wurden beispielsweise folgende Eignungskriterien erachtet:

  • Erfahrungen
  • Referenzen
  • Mitarbeiterqualifikationen
  • personelle/sachliche Ausstattung
  • Beschreibung des Personalkonzepts

(Vgl. hierzu beispielsweise EuGH, Urteil vom 12.11.2009, Rs. C-199/07, Urteil vom 24.1.2008, Rs. C-532/06, Urteil vom 19.6.2003, Rs. C-315/01; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20.7.2011, Az. 15 Verg 6/11; OLG München, Beschluss vom 29.7.2010, Az. Verg 9/10.)

Neuere Rechtsprechung zum Verbot der Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien

In dem im letzten Jahr vom EuGH (Urteil vom 26.3.2015, Rs. C-601/13) entschiedenen Fall schrieb ein portugiesischer öffentlicher Auftraggeber Fortbildungs- und Beratungsleistungen aus. Eines der Zuschlagskriterien, anhand derer er die Angebote auf der vierten Wertungsstufe werten wollte, war die Bewertung des Teams (Zusammensetzung des Teams, nachgewiesene Erfahrung, berufliche Werdegänge). Nachdem ein Bieter die unzulässige Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien gerügt hatte, entschied der EuGH, dass die Qualität des Teams, das den konkreten Auftrag ausführe, bei Dienstleistungen mit individuellem Charakter als Zuschlagskriterium berücksichtigt werden darf. Die Qualität der Auftragsausführung hänge in einem solchen Fall nämlich maßgeblich von derjenigen des Teams ab. Die Qualität des übrigen Personals des an dem Auftrag interessierten Unternehmens, das nicht an der Auftragsausführung beteiligt werde, dürfe allerdings nicht auf der vierten Wertungsstufe berücksichtigt werden.

Entsprechend hat das OLG Düsseldorf entschieden (Beschluss vom 29.4.2015, Az. Verg 35/14). Es ließ bei einer Ausschreibung von Krankenkassen über die Beantwortung von Forschungsfragen die Qualität der Projektorganisation (Erfahrungen des Projektleiters und der Mitarbeiter) als Zuschlagskriterium auf der vierten Wertungsstufe zu.

Aktuelle Regelungen in der VgV

Seit dem 25. Oktober 2013 gibt es zudem Regelungen in § 4 Abs. 2 und in § 5 Abs. 1 VgV, die dieselbe Tendenz wie die neuere Rechtsprechung aufweisen. Allerdings bleiben sie insofern hinter ihr zurück, als sie ausschließlich für nachrangige Dienstleistungen gelten und eine starre prozentuale Grenze für die Gewichtung von Eignungsaspekten als Zuschlagskriterien festlegen.

Nach § 4 Abs. 2 und § 5 Abs. 1 VgV dürfen die Organisation, die Qualifikation und die Erfahrung des bei der Durchführung des betreffenden Auftrags eingesetzten Personals bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots auf der vierten Wertungsstufe berücksichtigt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie erheblichen Einfluss auf die Qualität der Auftragsausführung haben können. Bei der Bewertung dieser Kriterien können insbesondere der Erfolg und die Qualität bereits erbrachter Leistungen berücksichtigt werden. Allerdings soll die Gewichtung der Organisation, der Qualifikation und der Erfahrung des mit der Durchführung des betreffenden Auftrags betrauten Personals zusammen 25 Prozent der Gewichtung aller Zuschlagskriterien nicht überschreiten.

Nochmals zu betonen ist, dass sich diese Regelungen nur auf die Vergabe von nachrangigen Dienstleistungsaufträgen nach der VOL/A beziehungsweise nach der VOF beziehen. Nachrangige Dienstleistungen in diesem Sinne sind solche, die in Anlage 1 Teil B zur VgV (und auch zur VOL/A und zur VOF) aufgelistet sind und für die auch im Übrigen erleichterte vergaberechtliche Regelungen gelten.

Zudem sind die Regelungen nach ihrem in § 2 VgV definierten Anwendungsbereich nur auf Vergaben anwendbar, deren geschätzte Auftragswerte die europäischen Schwellenwerte erreichen oder überschreiten. Es erscheint zur Wahrung der Einheitlichkeit des Vergaberechtsregimes sowie vor dem Hintergrund der oben aufgezeigten neueren Rechtsprechung allerdings sinnvoll, ihre Inhalte auch auf Vergaben unterhalb der europäischen Schwellenwerte anzuwenden. Eine belastbare Rechtsprechung zur Unterstützung dieser Position existiert soweit ersichtlich nicht.

Zukünftige Regelung in der VgV

Die in der Mantelverordnung zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20. Januar 2016 enthaltene neue VgV sieht nunmehr in § 58 Abs. 2 Nr. 2 n.F. vor, dass bei der Vergabe von Aufträgen oberhalb der europäischen Schwellenwerte die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Auftragsausführung betrauten Personals als Zuschlagskriterien berücksichtigt werden können, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung, also auf den wirtschaftlichen Wert der Leistung, haben kann. Eine prozentuale Begrenzung für die Gewichtung der Eignungskriterien als Zuschlagskriterien wird nicht festgelegt. Die neue VgV, die bis zum 18. April 2016 in Kraft treten soll, setzt damit Art. 67 Abs. 2 Satz 2 lit. b) der neuen „klassischen“ Vergaberichtlinie 2014/24/EU in deutsches Recht um.

In Erwägungsgrund 94 der Richtlinie 2014/24/EU werden als Anwendungsbereiche der Regelung beispielhaft geistigschöpferische Dienstleistungen wie Beratungstätigkeiten oder Architektentätigkeiten aufgeführt. Die Regelung ist zwar im Gegensatz zu den oben genannten aktuellen Normen in der VgV nicht auf (nachrangige) Dienstleistungen beschränkt, Dienstleistungsaufträge werden aber der Natur der Sache nach weiterhin zu ihrem Hauptanwendungsfall gehören. (Im Übrigen werden nachrangige Dienstleistungen in ihrer bisherigen Form nach der Umsetzung der neuen EU-Vergaberichtlinien in deutsches Recht ohnehin nicht mehr existieren.)

Zudem wird in Erwägungsgrund 94 der Richtlinie 2014/24/EU darauf hingewiesen, dass öffentliche Auftraggeber mit Hilfe geeigneter vertraglicher Mittel sicherstellen sollen, dass die zur Auftragsausführung eingesetzten Mitarbeiter die angegebenen Qualitätsnormen effektiv erfüllen und dass diese Mitarbeiter nur mit Zustimmung des jeweiligen öffentlichen Auftraggebers ersetzt werden können, wenn dieser sich davon überzeugt hat, dass das Ersatzpersonal ein gleichwertiges Qualitätsniveau hat.

Fazit

Die Rechtsprechung und Gesetzgebung lassen allmählich Ausnahmen von dem Verbot der Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien zu. Ab dem 18. April 2016 wird in der VgV eine Regelung existieren, die die Grundsätze für die Lockerung des Vermischungsverbots für Vergaben oberhalb der europäischen Schwellenwerte klar definiert und die nicht nur (nachrangige) Dienstleistungen betrifft. Ob diese Regelung auch in den Unterschwellenbereich Einzug halten wird, bleibt abzuwarten, wäre aber zur Vereinheitlichung des Ober- und Unterschwellenbereichs nach Umsetzung des neuen EU-Vergaberechts in nationales Recht zu begrüßen.

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