07.01.2015Fachbeitrag

Newsletter IP, Media & Technology Januar 2015

Neue Auslegungshilfe zum „berechtigten Interesse“ des Datenverarbeiters

Im April diesen Jahres hat die Artikel 29-Datenschutzgruppe ein interessantes neues Papier herausgegeben: Mit der „Opinion 06/2014 on the notion of legitimate interests of the data controller under Article 7 of Directive 95/64/EC“ steht für die Rechtfertigung einer Datenerhebung/-verarbeitung auf Basis von „berechtigten Interessen“ eine neue Bibel des europäischen Datenschutzes zur Verfügung, die vor allem auch als Gegenentwurf zu den Äußerungen des Düsseldorfer Kreises über die Nutzung von personenbezogenen Daten für werbliche Zwecke gelesen werden kann.

Der Erlaubnistatbestand des berechtigten Interesse
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Kernelement des Datenschutzrechtes ist das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Für jede Erhebung, Verarbeitung und Nutzung (im Folgenden insgesamt „Verarbeitung“) von personenbezogenen Daten ist eine Erlaubnisnorm notwendig. Art. 7 lit. f der EUDatenschutzrichtlinie (95/46/EG) zwingt sämtliche Mitgliedsstaaten dazu, die Verarbeitung von personenbezogenen Daten zu erlauben, wenn „berechtigte Interessen“ des Verarbeitenden gegeben sind und nicht von den Interessen der betroffenen Person überwogen werden. Im BDSG wurde dieses Prinzip schon vor Erlass der Richtlinie in § 28 Abs. 1 Nr. 2 kodifiziert. Aber wann liegt ein berechtigtes Interesse vor und wann überwiegt das stets vorhandene Interesse an der Geheimhaltung von Daten des Berechtigten?

Bislang europaweit uneinheitliche Handhabung


Aufgrund des großen Auslegungsspielraums des Begriffs „berechtigte Interessen“ wurde die entsprechende Erlaubnisnorm bislang in den Mitgliedsstaaten höchst unterschiedlich ausgelegt, auch wenn der EuGH gerade anhand von Art. 7 lit. f zuletzt erneut die Vollharmonisierung durch die EU-Datenschutzrichtlinie festgestellt hatte (EuGH, Urt. v. 24.11.2011, Rs. C-468/10 u. a.). Dieses Urteil und seine Vorgänger fanden in den Mitgliedsstaaten keine hinreichende Beachtung. Die deutsche Literatur will die Vorschrift relativ restriktiv anwenden. Bislang liegt nur wenig Rechtsprechung vor, die eine Datenverarbeitung aufgrund von § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG gestattet. Bekanntestes Beispiel sind bislang Wirtschaftsauskunfteien, insbesondere die Schufa.

Der Begriff des berechtigten Interesses

Dies könnte sich nun ändern, denn die Art. 29-Datenschutzgruppe hat sich auf 68 Seiten allein mit der Interessenabwägung auf der Basis von Art. 7 lit. f der EU-Datenschutzrichtlinie beschäftigt und klare Linien für die Abwägung vorgegeben. Die Anwendung dieser Abwägungsrichtlinien wurde zudem anhand von einigen Szenarien und 26 Beispielsfällen vorexerziert. Damit steht dem europäischen Datenschutzrecht ein einheitliches „Abwägungskompendium“ bislang unbekannten Ausmaßes zur Verfügung.

Die Artikel 29-Datenschutzgruppe

Rechtsverbindlich ist die Opinion nicht im strengen Sinne. Um deren Bedeutung zu erfassen, muss man die Zusammensetzung und die Stellung der Artikel 29-Datenschutzgruppe näher betrachten. Namensgebend ist Art. 29 der EU-Datenschutzrichtlinie.
Gemäß dieser Vorschrift entsendet jedes Mitgliedsland ein durch die nationale Datenschutzaufsicht bestimmtes Mitglied in die Gruppe, die ihre Beschlüsse mit einfacher Mehrheit fasst. Zusätzlich ist der Europäische Datenschutzbeauftragte stimmberechtigt. Für Deutschland ist die Bundesdatenschutzbeauftragte Angelika Vosshoff Mitglied der Gruppe. Die höchste deutsche Datenschützerin hat also Einfluss auf die Opinion nehmen können. Daher kann die Opinion in Deutschland bei den Datenschutzbehörden nicht ignoriert werden. Und das ist für Unternehmen positiv, da die Interessenabwägung in der Opinion durchaus liberaler gehandhabt wird, als dies bislang durch die deutschen Datenschutzbehörden der Fall war.

Liberale Interessenabwägung im Direktmarketing

Dies wird vor allem anhand der Beispiele im Direktmarketing deutlich: So wird etwa in einem Beispiel eine Werbe-E-Mail, die bestehende Kunden über Produkte informieren soll, aufgrund des „legitimen Interesses“ des Shopbetreibers erlaubt, obwohl keine Einwilligung hierzu vorlag. Dabei spielt zwar auch eine Rolle, dass in dem konkreten Beispielsfall kein „komplexes Profil“ des Kunden angelegt wurde und eine deutliche Opt-Out-Möglichkeit vorhanden war. Dennoch wird in rein datenschutzrechtlicher Hinsicht (auf europäischer Ebene wurde der strenge § 7 UWG nicht mitdiskutiert) der klare Widerspruch zu der bisherigen Linie der deutschen Datenschutzbehörden deutlich.

Strenge Regeln für das Direktmarketing durch den Düsseldorfer Kreis


Die strenge Auffassung des Düsseldorfer Kreises – des Zusammenschlusses aller deutschen Datenschutzbehörden – im Bereich des Direktmarketings zeigt sich in den „Anwendungshinweisen zur Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten für werbliche Zwecke“ von Dezember 2013. Hier ziehen die Behörden teilweise überzogene Grenzen für die Anwendung von § 28 Abs. 3 BDSG, der Zentralnorm des Marketings im deutschen Datenschutzrecht. Zu dieser strengen Auslegung gehört auch die ebenfalls in der deutschen Literatur bislang herrschende Ansicht, dass § 28 Abs. 3 BDSG eine Sperrwirkung gegenüber der allgemeinen Interessenabwägungsregel aus § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG entfalte. Datenverarbeitungen zu Marketingzwecken sollen, so die Datenschutzaufsichtsbehörden, ausschließlich anhand von § 28 Abs. 3 BDSG entschieden werden.

Artikel 29-Gruppe erlaubt Lösung über allgemeine Abwägung bei Direktmarketingfällen

Ganz ausdrücklich spricht die Artikel 29-Gruppe an, dass ein paar Mitgliedsstaaten die allgemeine Interessenabwägungsregel falsch verstanden hätten. Diese sei nicht dazu da, nur in wenigen Ausnahmefällen die Lücke zu füllen, welche durch die Begrenztheit der anderen Erlaubnistatbestände entsteht. Vielmehr stehe der Erlaubnistatbestand des legitimen Interesses selbstständig neben den anderen Erlaubnistatbeständen. Eine Verdrängung des Anwendungsbereichs der berechtigten Interessen ergebe sich aus dem Text der EU-Datenschutzrichtlinie nicht.

Früherer oder späterer Abschied von § 28 Abs. 3 BDSG


Dazu passt gut, dass der gegenwärtige Entwurf der Datenschutzgrundverordnung keinen mit § 28 Abs. 3 BDSG vergleichbaren Erlaubnistatbestand aufweist. Vielmehr sind die Gründe für die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung der alten Datenschutzrichtlinie nachempfunden. Art. 6 Nr. 1 lit. f des Entwurfes der Datenschutzgrundverordnung enthält den Rechtfertigungsgrund des „berechtigten Interesses“, welcher große Ähnlichkeit zu Art. 7 lit. f der Datenschutzrichtlinie aufweist. Es wird zukünftig daher ohnehin vermehrt auf ein „berechtigtes Interesse“ ankommen.

Beziehung zu § 7 UWG

§ 7 UWG wird weiterhin parallel zu den datenschutzrechtlichen Vorschriften zu prüfen sein. Der wettbewerbsrechtliche Aspekt des Direktmarketings wird durch die angesprochenen Entwicklungen nicht beeinflusst. Ob der Ansatz der Datenschutzbehörden, die Wertung aus § 7 UWG in die Abwägungen des Datenschutzrechts hineinzunehmen, nach der Opinion der Artikel 29-Gruppe und nach dem Erlass der Datenschutzgrundverordnung noch aufrechterhalten werden kann, bleibt abzuwarten.

Fazit

Die Opinion der Artikel 29 Gruppe verleiht dem datenschutzrechtlichen Erlaubnistatbestand des „berechtigten Interesses“ einen neuen Stellenwert. Dadurch können alte BDSG-Fragen an vielen Punkten neu bewertet werden. Insbesondere im Bereich des Direktmarketings ergeben sich durch die Opinion interessante Argumentationsmöglichkeiten gegen die deutschen Datenschutzaufsichtsbehörden.

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