16.09.2016Fachbeitrag

Update Compliance 17/2016

Stärkung der Beschuldigtenrechte im Strafverfahren

Der Bundestag befasst sich in Kürze mit den Beschuldigtenrechten im Strafprozess. Der Beschuldigte sieht sich in einem Strafverfahren der geballten staatlichen Macht gegenüber, die sich in Durchsuchungen, Beschlagnahmen, der Anordnung von Haft, der Vermögensarrestierung und schließlich der Anklage und einer öffentlichen Hauptverhandlung niederschlägt. Die Verteidigungsrechte des Beschuldigten sind daher von zentraler Bedeutung im Strafverfahren. Diese Rechte sollen nun gestärkt werden.

Am 22. September 2016 wird der Bundestag erstmalig über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts beraten. Ziel ist es, insbesondere die Vorgaben der EU-Verordnung (2013/48/EU) vom 22. Oktober 2013 umzusetzen. Das deutsche Recht entspricht den Vorgaben der EU zwar weitestgehend entspricht. Allerdings sind punktuelle Änderungen und Ergänzungen erforderlich.

Durch mehrere Änderungen in der Strafprozessordnung (StPO) soll das Recht des Beschuldigten bzw. Verdächtigen u.a. auf Zugang zu einem Rechtsbeistand gestärkt werden. Insbesondere sind folgende Maßnahmen geplant:

  • Für den Verteidiger soll ein ausdrückliches Anwesenheitsrecht bei polizeilichen Vernehmungen und Gegenüberstellungen mit dem Beschuldigten normiert werden.
  • Sofern der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen möchte, sollen ihm außerdem allgemeine Informationen zur Verfügung gestellt werden, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Ferner soll er auf den anwaltlichen Notdienst hingewiesen werden.
  • Das Recht des Beschuldigten, bei seiner Verhaftung einen Dritten zu benachrichtigen, wird durch das Gesetzesvorhaben gestärkt. In Zukunft soll das Benachrichtigungsrecht nur noch bei einer „erheblichen“ Gefährdung des Untersuchungszwecks beschränkt werden dürfen.
  • Personen, die auf Grundlage eines Europäischen Haftbefehls festgenommen werden, sollen künftig darüber unterrichtet werden, dass sie auch im ersuchenden Mitgliedstaat einen Rechtsbeistand benennen können.
  • Ebenfalls der Stärkung der Beschuldigtenrechte dient die Änderung der Vorschriften über eine Kontaktsperre. Eine Kontaktsperre ist die Unterbrechung jeder Verbindung eines Gefangenen zu anderen Inhaftierten und der Außenwelt. Künftig soll zumindest nicht mehr in allen Fällen eine Kontaktsperre den Zugang zum Verteidiger ausschließen.
  • Auch der Erziehungsberechtigte und der gesetzliche Vertreter eines Jugendlichen sollen unter Angabe von Gründen so bald wie möglich darüber unterrichtet werden, wenn dem Jugendlichen die Freiheit entzogen wird.

Über die Stärkung der Beschuldigtenrechte hinaus enthält der Gesetzesentwurf auch Änderungen im Schöffenrecht. Geplant ist, die verpflichtende Unterbrechung der Schöffentätigkeit nach zwei aufeinanderfolgenden Amtsperioden zu streichen. Gleichzeitig sollen die Möglichkeiten erweitert werden, ein Schöffenamt abzulehnen. Hintergrund der Neuregelungen ist, dass sie einerseits den Gemeinden erlaubt, leichter genügend ehrenamtliche Richter zu finden, andererseits schützt sie die Schöffen besser vor Überlastung.

Die Umsetzung der Vorgaben der EU stößt auf ein durchwachsenes Echo. Sowohl das ausdrücklich normierte Anwesenheitsrechts des Verteidigers bei polizeilichen Vernehmungen als auch die Regelungen zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls werden von der Anwaltschaft begrüßt. Hingegen wird die Beibehaltung der Kontaktsperre trotz der geplanten Lockerungen kritisiert. Hierbei handele es sich um Relikt aus Zeiten des RAF-Terrors, das heute nicht mehr erforderlich sei und seit Jahrzehnten schon nicht mehr angewandt werde. Eine Abschaffung der Kontaktsperre sei wünschenswert. Ebenso wenig finden die Neuregelungen zum Schöffenamt Anklang: Es wird bemängelt, dass eine Wahl ins Schöffenamt ohne zeitliche Begrenzung zu einer nicht gewollten Professionalisierung führe. Die Schöffen sollen das Vertrauen der Bürger in die Strafjustiz stärken und zu einer lebensnahen Rechtsprechung beitragen. Sie bilden in dieser Weise ein Bindeglied zwischen Staat und Bürger, was aber nur für einen zeitlich begrenzten Zeitraum möglich sei.

Praxishinweis: Durch die Stärkung der Beschuldigtenrechte im Strafverfahren setzt die Bundesregierung nicht nur die von der EU gemachten Vorgaben um. Zugleich kommt sie mit ihrem Gesetzesentwurf den schon seit geraumer Zeit von der Praxis ausgesprochenen Forderungen nach. Sowohl für Individualpersonen als auch Unternehmen bedeuten die geplanten Änderungen, dass sie sich selbst bzw. ihren Mitarbeitern vergegenwärtigen müssen, welche Rechte sie im Ernstfall – Vernehmung als Verdächtiger oder Beschuldigter oder Festnahme – haben. Trotz der gesetzlichen Vorgaben, werden die Beschuldigtenrechte von den Ermittlungsbehörden immer wieder missachten. Die anschließende Rüge solcher Verletzungshandlungen kann sehr zeitintensiv sein und ist (leider) oftmals erfolgslos. Sofern sich aber der Betroffene seiner Beschuldigtenrechte bewusst ist, kann er bspw. schon zu Beginn seiner polizeilichen Vernehmung auf die Kontaktierung eines Rechtsbeistands und die Beachtung seiner weiteren Rechte hinwirken.

Heuking Kühn Lüer Wojtek verfügt über ausgewiesene Expertise im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht. Wir beraten und verteidigen Unternehmen wie Führungskräfte in allen strafrechtlichen Fragestellungen und Situationen – präventiv, aber auch in der Krise. Zudem unterstützen wir bei der Einrichtung und Optimierung von Compliance Management-Systemen und führen interne Ermittlungen im Verdachtsfall durch.

Weitere Informationen über die Praxisgruppe finden Sie auf der Website der Praxisgruppe Wirtschafts- und Steuerstrafrecht.

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