15.12.2015Fachbeitrag

Newsletter Health Care 4/2015

Unterlassene Bestandsermittlung rechtfertigt kein Verhandlungsverfahren

VK Rheinland, Beschluss vom 24.7.2015, Az. VK VOL 7/15

Die Entscheidung der Vergabekammer (VK) Rheinland betrifft die Zulässigkeit der Durchführung eines Verhandlungsverfahrens für die Beschaffung von Leistungen der Bewirtschaftung und Instandhaltung von medizinischen Geräten und Einrichtungen für ein Krankenhaus. Die VK unterstreicht die restriktive Auslegung der Ausnahmetatbestände und entscheidet, dass ein Offenes Verfahren hätte durchgeführt werden müssen. In ihrer Begründung stützt sich die VK weitreichend auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 10. November 2009, der das Verhandlungsverfahren zur Beschaffung eines Endoskopiegeräts für unzulässig erklärt hatte.

Sachverhalt

Ein Krankenhaus der Akutversorgung schrieb in einem europaweiten Verhandlungsverfahren die Bewirtschaftung und Instandhaltung von medizinischen Geräten und Einrichtungen über einen Zeitraum von fünf Jahren aus. Das Krankenhaus suchte laut Bekanntmachung ein Unternehmen, welches in der Lage ist, die mit der Medizintechnik verbundenen Leistungen, Bewirtschaftung und Instandhaltung von medizinischen Geräten und Einrichtungen in Form eines Werkvertrages verantwortlich zu übernehmen mit dem Ergebnis, dass sich die mit dem Auftrag verbundene Leistung dauerhaft und ohne Qualitätsverluste wirtschaftlich spürbar verbessert. Für die so beschriebene Leistung sollte zwischen dem Krankenhaus und dem obsiegenden Bieter eine feste Jahrespauschale auf Grundlage eines detaillierten Vertragsentwurfs vereinbart werden. Der Antragssteller rügte die Wahl des Verhandlungsverfahrens und forderte das Krankenhaus auf, die Ausschreibung aufzuheben und die Leistungen in einem Offenen Verfahren neu auszuschreiben.

Rechtsrahmen

§ 101 Abs. 7 S. 1 GWB begründet ein Hierarchieverhältnis der einzelnen Verfahrensarten. Vorrangige Regel-Verfahrensart ist das Offene Verfahren. Damit stellt die Nutzung jeder anderen Verfahrensart eine begründungsbedürftige Ausnahme dar, bei der das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale eines der geschriebenen Ausnahmetatbestände aus VOB/A, VOL/A und VOF nachweisbar sein muss. Für die Beschaffung medizinischer Geräte und zugehöriger Liefer- und Dienstleistungen im Krankenhausbereich ist § 3 EG VOL/A maßgeblich. Dieser erlaubt in Abs. 3 b) und c) die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens mit vorherigem Teilnahmewettbewerb, wenn die vorherige Festlegung eines Gesamtpreises nicht möglich ist (b)) bzw. die zu erbringende Dienstleistung in ihrer vertraglichen Spezifikation nicht hinreichend genau festgelegt werden kann (c)).

Spielraum und Gegenstand des Verhandlungsverfahrens

Die Vergabekammer stellt zunächst zum Regel-Ausnahme- Verhältnis der Verfahrensart klar, dass die Ausnahmetatbestände restriktiv angewendet und dementsprechend ihre Tatbestandsmerkmale eng ausgelegt werden müssen. Beim Verhandlungsverfahren liege der Fokus auf dem Verhandeln von Auftragsbedingungen. Die von einem öffentlichen Auftraggeber ausgeschriebene Leistung müsse demnach hinsichtlich der Bedingungen des Auftrags überhaupt einen Spielraum für Verhandlungen bieten. Klargestellt wird ebenfalls, dass zulässiger Verhandlungsgegenstand in der Verhandlungsphase der gesamte Vertragsinhalt einschließlich des Angebotspreises ist.

Ausnahmetatbestand keine Festlegung des Gesamtpreises möglich

§ 3 EG Abs. 3b) VOL/A erlaubt ein Verhandlungsverfahren, wenn die vorherige Festlegung eines Gesamtpreises nicht möglich ist. Die Vergabekammer stellte fest, dass diese Voraussetzung zwar mangels abgeschlossener Bestandsaufnahme des Krankenhauses über die vorhandenen medizinischen Geräte zum Zeitpunkt der Vergabe vorlag, da ohne Kenntnis des Umfangs an medizinischen Geräten und Einrichtungen die zu vereinbarende Jahrespauschale nicht kalkuliert werden konnte. Diese teilweise unterbliebene Bedarfsermittlung rechtfertige aber gerade nicht die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens. Denn das Krankenhaus habe diesen Umstand zu vertreten und könne den offenen Bedarf nicht auf potenzielle Teilnehmer der Verhandlungsrunde abwälzen. Eine Bestandsaufnahme müsse vor Einleitung des Vergabeverfahrens abgeschlossen sein. Erst nach ihrem Abschluss stehe die Zahl der medizinischen Geräte und Einrichtungen fest und es könne beurteilt werden, welche Geräte im vollen Umfang funktionstüchtig seien, welche repariert werden müssten und welche vollständig zu ersetzen seien. Diese Umstände seien jedoch gerade nicht verhandelbar.

Ausnahmetatbestand keine Festlegung vertraglicher Spezifikationen möglich

Nach § 3 EG Abs. 3c) VOL/A ist ein Verhandlungsverfahren zulässig, wenn die vertraglichen Spezifikationen für die zu erbringende Dienstleistung nicht hinreichend genau festgelegt werden können. Zwar war dieser Ausnahmetatbestand hier vordergründig ebenfalls erfüllt, da der Vertrag über Bewirtschaftung und Instandhaltung von medizinischen Geräten und Einrichtungen tatsächlich zum Zeitpunkt der Bekanntmachung mangels Bestandsaufnahme nicht genau festgelegt werden konnte. Unterstellt, die unterbliebene, aber erforderliche Bestandsermittlung sei durchgeführt, ist die Dienstleistung jedoch in allen Einzelheiten bestimmbar. Dies gelte – so die VK – vor allem deshalb, weil für die überwiegende Zahl der Geräte sowohl Wartungsqualität als auch Wartungsabstände vom Hersteller bzw. vom Gesetzgeber genau vorgegeben würden und die Dienstleistung auch aus diesem Grund per se nicht verhandelbar sei.

In ihrer Begründung verweist die Vergabekammer auf die Entscheidung des BGH vom 10. November 2009, Az. X ZB 8/09. Im dort entschiedenen Fall wurden durch ein Krankenhaus Endoskopiesysteme für die Diagnose und Therapie beschafft. Der BGH erklärte auch damals bereits die Wahl des Verhandlungsverfahrens für unzulässig. Zur Antragsbefugnis hatte das Gericht 2009 ausgeführt, dass Bieter in ihren subjektiven Rechten verletzt würden, wenn das Verhandlungsverfahren zu Unrecht gewählt werde. Denn im Verhandlungsverfahren sei jeder Bieter der in anderen Verfahrensarten nicht gegebenen Gefahr ausgesetzt, im Rahmen von Nachverhandlungen von einem Mitbewerber unterboten zu werden. Darüber hinaus bedeute die Wahl des Verhandlungsverfahrens eine (gesetzlich vorgesehene) Einschränkung der Vergabe von Leistungen in einem wettbewerblichen Verfahren, was ebenfalls für eine restriktive Handhabung der Ausnahmetatbestände spreche.

Fazit

Die Vergabe der Bewirtschaftung und Instandhaltung von medizintechnischen Geräten und Einrichtungen hat nach der vergaberechtlichen Rechtsprechung regelmäßig im Wege eines Offenen bzw. Nichtoffenen Verfahrens zu erfolgen. Öffentliche Auftraggeber sind gut beraten, vor Bekanntmachung eines Vergabeverfahrens Vergabereife dadurch herzustellen, dass der Beschaffungsgegenstand klar und erschöpfend ermittelt und dokumentiert wird. Ist dazu eine Bestandsaufnahme erforderlich, die der öffentliche Auftraggeber selbst nicht leistenkann oder will, so kann die Leistung der Bestandsaufnahme auch durch einen Dritten durchgeführt werden. In diesem Fall ist die Leistung der Durchführung der Bestandsaufnahme – sofern im Einzelfall ausschreibungspflichtig – separat zu vergeben. Bei späterer Vergabe von Leistungen, die sich auf den so ermittelten Bestand beziehen, sind dann die Grundsätze der Projektantenproblematik – also die Regeln zur Vermeidung von Wettbewerbsvorteilen für vorbefasste Unternehmen – sorgfältig zu beachten.

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