30.04.2021Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht April 2021

Verdeckte Videoüberwachung und Tatkündigung

LAG Nürnberg 8. Dezember 2020 – 7 Sa 226/20

Immer wieder versuchen Arbeitgeber, technologische Mittel wie die Videoüberwachung einzusetzen, um Pflichtverletzungen von Arbeitnehmern zu dokumentieren und anschließend für Abmahnungen oder Kündigungen zu nutzen. Das Landgericht (LAG) Nürnberg hat diesbezüglich nun ein wenig Klarheit geschaffen, wann Videoaufzeichnungen als Beweis verwertet werden dürfen. Zudem hat es zum Verhältnis Tatkündigung / Verdachtskündigung Stellung bezogen.

Im entschiedenen Fall arbeitete der gekündigte Arbeitnehmer in einem Großhandelslager, in dem in einem Teilbereich Spirituosen aufbewahrt wurden. In diesem Lagerbereich kam es öfter zu Fehlmengen, weswegen der Arbeitgeber dort heimlich eine Videokamera mit Bewegungsmelder installieren ließ. Die Kamera nahm Videos nur bei Bewegung im Aufnahmebereich selbst auf. Zu einem Zeitpunkt, als sich in dem Lagerbereich keine anderen Arbeitnehmer aufhielten, fuhr der Arbeitnehmer in diesen Bereich, hielt sich dort für kurze Zeit auf und bückte sich an einer Stelle. An dieser Stelle wurde später eine Fehlmenge festgestellt. Der Arbeitnehmer stritt den Vorwurf des Diebstahls ab und erklärte, er habe in dem anderen Lagerbereich nur einen Getränkeautomaten aufsuchen wollen.

Der Arbeitgeber hörte den Betriebsrat zu einer Tatkündigung an und sprach anschließend eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung aus. Eine Woche später sprach der Arbeitgeber erneut eine ordentliche Kündigung aus, hörte den Betriebsrat aber nicht noch einmal an.

Entscheidung des Gerichts

Das LAG erklärte alle ausgesprochenen Kündigungen für unwirksam. Die erste Tatkündigung, sowohl die außerordentliche als auch die hilfsweise ordentliche, seien unwirksam. Der Arbeitgeber habe nicht beweisen können, dass der gekündigte Arbeitnehmer die Flaschen an sich genommen habe. Die Videoaufzeichnungen bzw. Screenshots von dieser Aufzeichnung könnten in dem Kündigungsschutzverfahren nicht als Beweis berücksichtigt werden. Das Gericht macht zwar deutlich, dass nicht jede rechtswidrige Datenerhebung ein Beweisverwertungsverbot bedeute. Allerdings sei das Einbringen der Videoaufzeichnungen an dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen. Der Arbeitgeber hätte jegliche anderen (mildere) Mittel zu Sachverhaltsaufklärung nutzen müssen, bevor er ein solches, stark in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingreifendes, Mittel einsetzt. Das Gericht nennt beispielsweise die Eingrenzung der für den Diebstahl in Frage stehenden Arbeitnehmer durch Abgleichung von Anwesenheitszeiten in dem jeweiligen Bereich. Da der Arbeitgeber keine anderweitigen Versuche unternommen hatte und der Arbeitnehmer, nachvollziehbarerweise, nicht in die Verwertung des Videos einwilligte, durften die Aufzeichnungen nicht verwertet werden. Leider macht das LAG keine Ausführungen, warum die Videoüberwachung im vorliegenden Fall nicht vom Bundesdatenschutzgesetz gedeckt ist und es die Überwachung als rechtswidrig einstuft. Vielmehr nimmt es diesen Umstand als gegeben an und widmet sich direkt dem zweiten Schritt, einem möglichen Beweisverwertungsverbot. Der Arbeitgeber konnte den Diebstahl durch den gekündigten Arbeitnehmer daher nicht beweisen. Eine Tatkündigung kam somit weder als außerordentliche noch als ordentliche in Betracht. 

Der Arbeitgeber konnte sich auch nicht auf eine Verdachtskündigung berufen, da der Betriebsrat nachweislich nur zu einer Tatkündigung angehört wurde. Das Nachschieben des Verdachts des Diebstahls als Kündigungsgrund wäre nur möglich gewesen, wenn dem Arbeitgeber nachträglich neue Verdachtsmomente bekannt geworden wären und die maßgeblichen Verdachtsmomente objektive vor Zugang der Kündigung vorlagen. Dann hätte der Arbeitgeber den Betriebsrat noch einmal, ergänzend, anhören können. Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall. Das LAG stellte auch noch einmal klar, dass in der Anhörung des Betriebsrats zu einer Tatkündigung nicht auch ein „Minus“ einer Anhörung zu einer Verdachtskündigung gegeben sei.

Das LAG erklärte auch die eine Woche nach der ersten Kündigung ausgesprochene, weitere ordentliche Kündigung für unwirksam. Hier fehle es, unabhängig vom nicht erbrachten Tatnachweis, bereits an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG. Die Betriebsratsanhörung, welche ursprünglich durchgeführt wurde, sei durch den Ausspruch der außerordentlichen bzw. hilfsweise ordentlichen Kündigung bereits „verbraucht“. Eine neue, zweite Anhörung gab es nicht. 

Konsequenzen für die Praxis

Für die Praxis ist wichtig, zunächst alle möglichen milderen und weniger einschneidenden Mittel zur Sachverhaltsaufklärung auszuschöpfen, bevor auf eine Videoüberwachung zurückgegriffen wird. Wenn es im zweiten Schritt dann zur Kündigung kommt, ist in der Vorbereitung zu bedenken, den Betriebsrat umfassend und gegebenenfalls auch zu einer Verdachtskündigung anzuhören.

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