15.06.2015Fachbeitrag

Newsletter Arbeitsrecht Juni 2015

Vorrang gesetzlicher Mindestkündigungsfristen

BAG, Urteil vom 29.1.2015 – 2 AZR 280/14

Das Gesetz sieht in § 622 Abs. 2 BGB Mindestkündigungsfristen für arbeitgeberseitige Kündigungen des Arbeitsverhältnisses vor. Abweichungen sind individualvertraglich nur zugunsten des Arbeitnehmers möglich, d. h. nur längere Kündigungsfristen können wirksam vereinbart werden. Das BAG hat jüngst die Grundsätze, nach denen der notwendige Günstigkeitsvergleich vorzunehmen ist, präzisiert.

Zu beurteilen hatte das BAG den Fall einer Arbeitnehmerin, in deren Anstellungsvertrag beiderseits eine Kündigungsfrist von „sechs Monaten zum 30. Juni oder zum 31. Dezember des Jahres“ vereinbart war. Bei Unterzeichnung des Vertrages war die Mitarbeiterin schon seit fast 30 Jahren für den Arbeitgeber tätig. Mithin galt die längste gesetzliche Mindestkündigungsfrist gemäß § 622 Abs. 2 Nr. 7. BGB von sieben Monaten zum Ende eines jeden Kalendermonats. Der Arbeitgeber erklärte im Dezember 2012 eine betriebsbedingte ordentliche Kündigung mit Wirkung zum 30. Juni 2013.

Günstigkeitsvergleich zwischen vertraglichen und gesetzlichen Kündigungsfristen verlangt die Beachtung verschiedener Grundsätze

Anders als das LAG Berlin-Brandenburg, das die Kündigung zum 30. Juni 2013 für fristgerecht erachtet hatte, hat das BAG entschieden, dass die Kündigung in eine Kündigung zum 31. Juli 2013 umzudeuten ist. Dabei hat das BAG klare Grundsätze aufgezeigt, nach denen die Beurteilung, ob eine einzelvertraglich vereinbarte Kündigungsfrist gegenüber den gesetzlichen Mindestfristen als „günstiger“ einzustufen ist, vorzunehmen ist.

„Ensemblevergleich“ von Kündigungsfrist und Kündigungstermin

Zunächst bestätigt das BAG die schon bisher vorherrschende Auffassung, dass im Rahmen des notwendigen Günstigkeitsvergleichs in aller Regel die getroffenen Vereinbarungen über die Kündigungsfrist (Dauer) und den Kündigungstermin (Wirkungszeitpunkt) als Einheit zu betrachten sind. Das BAG spricht von einem „Ensemble-“ oder „Gruppenvergleich“. Regelmäßig ist davon auszugehen, dass die Parteien mit der Festlegung eines bestimmten Beendigungstermins (hier z. B. 30. Juni oder 31. Dezember) keine besonderen, eigenständigen Ziele verfolgen, sondern letztlich nur die jeweils maßgebliche Kündigungsfrist insgesamt beeinflussen möchten. Der Arbeitnehmer kann also grundsätzlich nicht beanspruchen, dass eine etwaige individuelle Vereinbarung über eingeschränkte Kündigungstermine mit der längeren Mindestfrist gemäß § 622 Abs. 2 BGB kombiniert wird. In dem nun ausgeurteilten Fall hätte die Kündigung ansonsten erst zum 31. Dezember 2013 wirken können.

Vergleich ist abstrakt, d. h. unabhängig vom konkreten Termin der Kündigungserklärung, vorzunehmen

Zu prüfen war im konkreten Fall vielmehr, ob die vereinbarte kürzere Frist von 6 Monaten, die eine Kündigung jeweils nur zum 30. Juni oder zum 31. Dezember zuließ, im „Ensemble“ als günstiger anzusehen war als die längere gesetzliche Mindestfrist von 7 Monaten, die aber eine Kündigung uneingeschränkt zu jedem Monatsende zulässt. Nach den jetzt aufgestellten Grundsätzen des BAG kommt es dabei nicht darauf an, welche Regelung zum konkreten Zeitpunkt der Kündigungserklärung zu einem günstigeren Ergebnis führt. Es war also entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung nicht streitentscheidend, dass der konkrete Ausspruch der Kündigung im Dezember 2012 nach dem Vertrag zum 30. Juni 2013, nach dem Gesetz aber erst zum 31. Juli 2013 möglich war.

Nicht ausreichend ist die überwiegende Günstigkeit während der meisten Zeit eines Kalenderjahres

Es ist des Weiteren auch nicht relevant, ob bei einer abstrakten Betrachtung über ein volles Kalenderjahr hinweg die vertragliche Vereinbarung häufiger zu einem günstigeren Ergebnis führt als die gesetzlichen Regelungen (in diese Richtung hatten noch Ausführungen des BAG in den Gründen seines Urteils vom 4.7.2011 – 2 AZR 469/00 gedeutet). Dies hatte das LAG so gesehen und hatte deswegen die vertraglichen Regelungen wegen der wenigen zugelassenen Beendigungstermine als abstrakt günstiger eingestuft, so dass es die Kündigung per 30. Juni 2013 für wirksam erachtete.

Vertragliche Vereinbarung muss immer günstiger sein

Laut BAG können sich vertragliche Regelungen vielmehr nur dann als „günstiger“ durchsetzen, wenn sie nicht nur für die meiste Zeit innerhalb eines Kalenderjahres, sondern immer zu einem günstigeren Ergebnis führen. Da dies im entschiedenen Fall nicht gegeben war, wurden nach Auffassung des BAG die vertraglichen Vereinbarungen zur Kündigungsfrist insgesamt durch die gesetzliche Mindestfrist von 7 Monaten zum Monatsende verdrängt. So hätte der Arbeitgeber z. B. im Januar 2013 eine Kündigung wirksam zum 31. August 2013 erklären können.

Fazit

Einzelvertragliche Kündigungsabreden setzen sich gegenüber den gesetzlichen Mindestkündigungsfristen nach § 622 Abs. 2 BGB nur durch, wenn sie bei abstrakter Prüfung des „Ensembles“ von vereinbarter Kündigungsfrist und etwaig vereinbarten eingeschränkten Kündigungsterminen unabhängig vom konkreten Tag der Kündigungserklärung in jedem Fall zu einem für den Arbeitnehmer günstigeren Ergebnis führen. Sonst geht das Gesetz vor.

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