31.08.2022Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht August 2022

Anfechtung einer Betriebsratswahl

ArbG Braunschweig, 13. Juli 2022 – 3 BV 5/22

Die verspätete Versendung der Briefwahlunterlagen kann ebenso zur Unwirksamkeit der Betriebsratswahl führen wie die Aufbewahrung der Wahlrückläufer über eine längere Zeitspanne in offenen Boxen.

Sachverhalt

Ausgangspunkt der gerichtlichen Auseinandersetzung vor dem Arbeitsgericht Braunschweig war die Anfechtung der Betriebsratswahl durch neun wahlberechtigte und selbst kandidierende Arbeitnehmer. Nach Auffassung dieser Arbeitnehmer sei die Betriebsratswahl durch das Arbeitsgericht Braunschweig für unwirksam zu erklären, weil es im Laufe der Betriebsratswahl zu mehreren Verstößen gegen die Wahlvorschriften gekommen sei, die zu einer Anfechtung der Betriebsratswahl berechtigen würden. Konkret sei die Betriebsratswahl nach Auffassung der die Anfechtung betreibenden Arbeitnehmer anfechtbar, weil

  •    die Anordnung einer Briefwahl für alle Beschäftigten im Homeoffice rechtswidrig sei,
  • die Anordnung der Briefwahl für alle Mitarbeiter, für die Kurzarbeit angeordnet worden ist, unzulässig sei,
  • der Wahlvorstand den Briefkasten vor seinem Büro nicht regelmäßig geleert habe, Briefwahlunterlagen schon herausgequollen seien und jederzeit hätten entwendet werden können,
  • die verwendeten Freiumschläge mit einer handelsüblichen Taschenlampe durchleuchtbar gewesen seien und deshalb erkennbar gewesen sei, bei welchen Listen ein Kreuz gemacht worden ist, 
  • die populärste Wahlliste das Intranet bevorzugt über eine eigene Homepage für Wahlwerbung hat nutzen können sowie 
  • einem antretenden Arbeitnehmer nur verkürzt Redezeit während der digitalen Betriebsversammlung gewährt wurde.

Darüber hinaus haben die die Wahl anfechtenden Arbeitnehmer weitere Verstöße vorgetragen wie bspw. eine Störung der Wahlplakate sowie einen gestörten Postlauf.

Entscheidung

Das Arbeitsgericht Braunschweig hat die stattgefunden habende Wahl für anfechtbar und damit für unwirksam erklärt. Die Anfechtbarkeit und Unwirksamkeit der Wahl wurden vom Arbeitsgericht Braunschweig auf folgende Gesetzesverstöße gestützt:

1. Der für die Betriebsratswahl zuständige Wahlvorstand hat gegen die Bestimmung des § 24 Abs. 2 der Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz verstoßen, indem die Briefwahlunterlagen in einer das Wahlverfahren verletzenden Art und Weise zu spät an die wahlberechtigten Arbeitnehmer versendet wurden. Der Wahlvorstand hätte dafür Sorge tragen müssen, dass die sich in Kurzarbeit und im Homeoffice befindenden Arbeitnehmer rechtzeitig Kenntnis vom Wahlausschreiben erlangen, um ihr aktives und passives Wahlrecht ausüben zu können. Dies sei im vorliegenden Fall zu spät geschehen.
 
2. Weiter sei die Betriebsratswahl nach Auffassung des Arbeitsgerichts Braunschweig anfechtbar, weil der Wahlvorstand für sogenannte Wahlrückläufer, also die von den Briefwählern zurückgesandten Unterlagen zur schriftlichen Stimmabgabe unzureichende Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass diese Manipulationen ausgesetzt waren. Denkbar sei bspw., dass einzelne Wahlrückläufer wegen der offenen Postboxen oder der unverschlossenen Aufbewahrung entwendet und damit nicht bei der Stimmauszählung berücksichtigt worden seien. Auch seien Manipulationen denkbar gewesen, weil ein Wahlvorstandsmitglied regelmäßig alleine verschiedene Wahlunterlagen offen transportiert hat. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass dieses Mitglied einzelne Unterlagen entwendet hat. 

Weil ein bloßer Verstoß gegen Wahlvorschriften für eine Anfechtbarkeit einer Betriebsratswahl ausreicht, sondern vielmehr dieser Gesetzesverstoß sich auch gemäß § 19 Abs. 1 BetrVG auf das konkrete Wahlergebnis auswirken können muss, hatte das Arbeitsgericht Braunschweig sich auch hiermit auseinanderzusetzen. Nach Auffassung des Gerichts kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die soeben benannten beiden Wahlverstöße auf das konkrete Wahlergebnis ausgewirkt haben und im Falle einer Verhinderung dieser Verstöße ein anderes Wahlergebnis zustande gekommen wäre. So könne nicht ausgeschlossen werden, dass eine Vielzahl von Arbeitnehmern durch eine ordnungsgemäße und rechtzeitige Information über die Wahlmodalitäten und Übermittlung der Wahlunterlagen von ihrem passiven Wahlrecht Gebrauch gemacht hätten. Auch hätte es bei ordnungsgemäßer Übermittlung der Wahlunterlagen zu einer anderen Wahlbeteiligung kommen können. Zudem könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Wahlergebnis anders ausgefallen wäre, wenn die Briefwahlrückläufer vom Wahlvorstand ordnungsgemäß aufbewahrt worden wären. 
Ob die von den anfechtenden Arbeitnehmern vorgetragenen weiteren Verstöße tatsächlich vorlagen und sich diese im Falle eines Vorliegens auf das Wahlergebnis hätten auswirken können, lässt das Arbeitsgericht Braunschweig hingegen ausdrücklich offen. 

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Eine Entscheidung in zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen steht noch aus.

Praxistipp

Der hier dargelegte Fall zeigt anschaulich, dass auch in großen, internationalen Unternehmen die Durchführung von Betriebsratswahlen keine Leichtigkeit ist. Gerade in internationalen Unternehmen mit vielen tausenden Beschäftigten in einem Betrieb können aufgrund der großen Anzahl von Wahlberechtigten eine Vielzahl von Fehlern im Ablauf der Betriebsratswahl geschehen. Die Liste möglicher Fehlerquellen ist grenzenlos. Zu berücksichtigen ist aber, dass nicht jeder Rechtsverstoß auch automatisch zur Anfechtbarkeit der Wahl führt. Insbesondere die Feststellung, dass ein Rechtsverstoß sich auf das konkrete Wahlergebnis auswirken konnte und im Falle dessen Vermeidung ein anderes Wahlergebnis möglich wäre, stellt oft kein leichtes Unterfangen dar. 

Arbeitgebern und wahlberechtigten Arbeitnehmern ist zu empfehlen, die bei ihnen stattfindenden Betriebsratswahlen kritisch zu begleiten, um eine ordnungsgemäße und rechtskonforme Durchführung sicherzustellen. Die anwaltliche Praxis zeigt, dass insbesondere der Einsatz und auch die Aufbewahrung von Briefwahlunterlagen seitens des zuständigen Wahlvorstandes sehr unachtsam erfolgt und es hier häufig zu Rechtsverstößen kommt.
 

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