30.01.2024Fachbeitrag

Update Datenschutz Nr. 169 & Update Arbeitsrecht Januar 2024

Arbeitnehmerüberwachung: Französische Datenschutzbehörde verhängt 32 Millionen Euro Strafe gegen großen Online-Versandhändler

Die französische Datenschutzbehörde „Commission Nationale de l’Informatique et des Libertés“ (CNIL) hat am 27. Dezember 2023 gegen die französische Tochtergesellschaft eines großen Online-Versandhändlers eine Geldstrafe in Höhe von 32 Millionen Euro verhängt. Das Unternehmen setze ein System zur Überwachung der Leistungen und Aktivitäten der Mitarbeiter ein, das nach Auffassung der Behörde unverhältnismäßig in die Rechte der Mitarbeiter, insbesondere das Recht auf Privatsphäre, eingreife.

Hintergrund

Das Unternehmen unterhält unter anderem in Frankreich große Lagerhäuser, in welchen täglich zahlreiche Artikel entnommen und eingelagert werden. Zur Messung der Produktivität  werden die Mitarbeiter mit Scannern ausgestattet, welche eine Identifizierung des jeweiligen Mitarbeiters ermöglicht. Mit Hilfe dieser Scanner können die Artikel, die gerade bearbeitet werden oder die Plätze, von denen Artikel entnommen oder eingelagert werden, erfasst werden. Zudem können Mitarbeiter darüber Anweisungen erhalten. Dies ermöglicht, dass einzelne Schritte eines Artikels verfolgt und die Aktivität der Mitarbeiter erfasst werden. So wird insbesondere die Anzahl an Artikeln, die von einem Mitarbeiter in einem bestimmten Zeitraum bearbeitet werden, die Zeiträume der Inaktivität oder auch das Qualitätsniveau der Bearbeitung aufgezeichnet. Dadurch können auch Fehler und Fehlerwahrscheinlichkeiten, wie z. B. zu schnelles Scannen der Artikel, erkannt werden. Durch diese Aufzeichnung der Daten werden eine Vielzahl an personenbezogenen Daten erhoben, welche Aussagen über die Qualität, Produktivität sowie Inaktivitätszeiten der Mitarbeiter treffen lässt.

Die Indikatoren „Qualität, Produktivität und Inaktivitätszeiten“ der Mitarbeiter, die in Echtzeit erfasst werden, stehen den Vorgesetzten zur Verfügung und werden 31 Tage lang gespeichert.

Anhand der Indikatoren wurden wöchentlich Leistungsberichte für jeden Mitarbeiter erstellt, welche wöchentliche, tägliche und stündliche Statistiken über die Einhaltung der Qualitätsverfahren, der Produktivität sowie Rohdaten über Qualitätsfehler enthalten.

Als Zweck der Verarbeitung führt das verantwortliche Unternehmen zusammengefasst aus, dass die Indikatoren insbesondere der Qualitätssicherung und Sicherheit, der Verwaltung der Lager sowie der Mitarbeiterbewertung und des Bedürfnisses von Coachings und individuellen Schulung dienen.

Entscheidungsgründe

Durch diese umfassende Erhebung, Verarbeitung und Speicherung der Daten verstoße das Unternehmen nach Ansicht der CNIL gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Dies ergab sich aus einer umfassenden Interessenabwägung zwischen den Interessen von des Unternehmens, insbesondere an der Gewährleistung von Sicherheit und Qualität, gegenüber den Rechten der Mitarbeiter. Die CNIL kam insbesondere aufgrund der nachstehenden Punkte zur Auffassung der fehlenden Erforderlichkeit und Übermäßigkeit der Datenerhebung und -speicherung.

  • Zum einen führe das sekundenschnelle Scannen zu einer kontinuierlichen Erfassung der konkreten Zeitspannen und der direkten Aufgaben der Mitarbeiter, was nach Ansicht der CNIL geeignet sei, negative moralische Auswirkungen auf die Mitarbeiter zu haben. Zudem übersteige dies die vernünftigen Erwartungen von Mitarbeitern, die zwar erwarten können, dass ihre Arbeit in einem gewissen Maße überwacht wird, vernünftigerweise aber nicht erwarten können, dass ihre Arbeit sekundengenau verfolgt werden kann. Diese Art der Überwachung sei für die legitimen Interessen des Unternehmens zur Gewährleistung der Qualität und Sicherheit im Unternehmen nicht erforderlich, da die Mitarbeiter übermäßig, insbesondere in ihrem Recht auf Schutz der Privatsphäre und ihres persönlichen Lebens sowie ihrem Recht auf Arbeitsbedingungen (insbesondere der Gesundheit und Sicherheit) beeinträchtigt werden würden.
  • Zum anderen seien auch Aufzeichnungen von sehr kurzen Zeiten von unter zehn Minuten unverhältnismäßig, da sie Arbeitnehmer dazu zwinge, sehr kurze Zeiten, die als unproduktive Arbeitszeit gewertet werden, zu rechtfertigen.
  • Hingegen hielt die CNIL die Erfassung der Daten in Echtzeit zur Optimierung von Arbeitsabläufen durch eine Umverteilung von Mitarbeitern oder durch Beratung oder Unterstützung für legitim. Sobald ein Problem erkannt werde, könne dieses behoben werden. Allerdings sei nicht erforderlich, dass die einzelnen Daten detailgenau über einen Zeitraum von 31 Tagen gespeichert werden. Vielmehr seien nach Auffassung der französischen Behörde wöchentliche Arbeitsstatistiken ausreichend, um einen repräsentativen Überblick über die Leistung der Mitarbeiter darzustellen.
  • Dasselbe gelte auch für die Arbeitsplanung im Lager, um anhand von Produktivitätsstatistiken der Mitarbeiter verschiedene Aufgaben beurteilen zu können und passende Teams zusammenzustellen zu können. Dies könne ebenfalls anhand von wöchentlichen Produktivitätsstatistiken erfolgen.
  • Bezüglich Aufzeichnungen von mehr als zehn Minuten zu Zwecken der Beurteilung von Mitarbeitern sowie der Ermittlung des erforderlichen Schulungsbedarfs, sei eine Speicherdauer von 31 Tagen ebenfalls nicht erforderlich. Die Mitarbeiterbeurteilung und Ermittlung eines erforderlichen Schulungsbedarfs könne bereits durch die erhobenen Produktivitäts- und Qualitätsindikatoren ermöglicht werden. Die Verarbeitung von Leerlaufzeiten und Unterbrechungen von mehr als zehn Minuten beeinträchtige übermäßig das Recht auf Privatleben der Mitarbeiter sowie das Recht auf Arbeitsbedingungen, welche die Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeiter respektieren.

Insgesamt sei daher die Speicherung von 31 Tagen nicht notwendig und damit unverhältnismäßig. Dies missachte die in Art. 5 Abs. 1 c) und 6 DSGVO genannten Grundsätze (Grundsatz der Datenminimierung).

Auswirkungen

Da die Entscheidung des CNIL noch nicht rechtskräftig ist, bleibt abzuwarten, ob und wie ggf. eine nächste Instanz darüber entscheiden wird.

Im Hinblick auf die rechtliche Einordnung solcher Sachverhalte in Deutschland ist die Entscheidung der französischen Behörde ebenfalls bemerkenswert. Dem VG Hannover (Urt. v. 9.2.2023 - 10 A 6199/20) lag ebenfalls die Beurteilung der Zulässigkeit der Überwachung von Mitarbeitern mittels Einsatzes durch Handscanner desselben Konzerns in einem deutschen Logistikzentrum zu Grunde. Das VG Hannover hat allerdings die Auffassung vertreten, dass die Verwertung von Beschäftigtendaten zulässig sei und hat dies insbesondere auf die offene und transparente Datenerhebung und -ausübung gestützt sowie darauf, dass die Daten in den Geschäftsbereich der Arbeitgeberin fallen und keine Daten besonderer Kategorien betroffen sind (Art. 9 DSGVO), siehe hierzu unser Update Nr. 138.

Auch gegen das Urteil in Deutschland wurde Berufung eingelegt. Es ist wünschenswert, dass sich hier länderübergreifend eine einheitliche Rechtsaufassung durchsetzen wird.

Für Unternehmen verbleibt in jedem Fall die Verpflichtung, jede Art der Überwachung von Beschäftigten unter Einbeziehung der relevanten Beteiligten im Vorfeld sorgfältig rechtlich zu prüfen.

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