24.01.2017Fachbeitrag

zuerst erschienen im Unternehmermagazin 5/6 2016

Perspektiven an der Peripherie

Aus Sicht eines Landes wie Deutschland, dessen Waren und Dienstleistungen nicht nur auf lokalen Märkten, sondern global nachgefragt werden, ist ein Land mit nur rund 330.000 Einwohnern zunächst eher nicht interessant. Island, immerhin der zweitgrößte Inselstaat Europas, wurde daher bewusst zum ersten Mal 2008 wahrgenommen, als seine Bankenlandschaft kollabierte. 2010 legte dann die Flugasche des unaussprechlichen Vulkans Eyjafjallajökull den europäischen Luftverkehr lahm. Viel beachtet sorgte dann zuletzt die Fußball-Nationalmannschaft im Juli bei der EM in Frankreich für erhebliche Furore.

Als Teil des europäischen Wirtschaftsraums (EWR), einer Erweiterung des europäischen Binnenmarkts, von der ansonsten auch Norwegen und Liechtenstein profitieren, ist das kleine Island jedoch einen zweiten Blick wert. Das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt ist durchaus mit unserem vergleichbar, die Arbeitslosenquote ist mit 1,9% so gering wie nirgendwo sonst in der OECD und auch die PISA-Studien qualifizieren das Land in der Nähe des Polarkreises regelmäßig auf Plätzen, die sich nichts mit unseren nehmen. Zudem ist Island viel enger mit den anderen skandinavischen Ländern, mit Großbritannien und uns verflochten, als man es wegen seiner isolierten Lage im Nordatlantik annehmen würde.

Dies deshalb, weil das Land, das flächenmäßig in etwa den fünf neuen Bundesländern entspricht, aufgrund der Struktur seiner Wirtschaftweit überproportional auf Importe angewiesen ist. Dabei dominierte die Fischfang-Industrie bis vor rund zehn Jahren noch viel mehr als heute, obwohl sie immer noch für rund 50 % der Exporte verantwortlich ist. Seit geraumer Zeit hat nun die florierende Tourismusbranche dank massenhaft preiswerter Flüge europäischer und amerikanischer Airlines großen Anteil an der Prosperität. Darüber hinaus siedeln sich neue Industrien an, die von dem günstigen Strom aus der reichlich vorhandenen Wasserkraft und aus geothermischen Anlagen profitieren. In diesem Zusammenhang gab es mehrere bedeutsame ausländische Direktinvestitionen, beispielsweise durch die PCC SE aus Duisburg, die im Norden Islands eine Siliziumfabrik gebaut hat. Energieintensive Industrien erkennen diese Standortvorteile und errichten ihre Produktionsstätten meist mit eigenen Kaianlagen direkt an der Küste, so dass nicht nur die Rohstoffe und die Versorgungsgüter über See angeliefert werden, sondern auch die örtlichen Erzeugnisse kostengünstig global verschiffbar sind.

Deutsche Unternehmen sind in Island allgemein gefragt und geschätzt. Dies gilt im Einkauf von Komponenten für neue Aluminiumwerke, aber auch im Hinblick auf die Erschließung von Energiequellen, etwa im Bereich Wasser- oder Geothermie-Kraftwerke, die in vielen Landesteilen für günstige Elektrizität, Fernwärme und heißes Wasser sorgen. Dass letzteres naturgemäß schweflig riecht, mag beim Duschen gewöhnungsbedürftig sein, an die vielerorts mit Thermalwasser beheizten Bürgersteige und Parkplätze, die jeden Winterdienst überflüssig machen, gewöhnt man sich dafür sehr schnell.

Da der Energiebedarf durch die Ansiedlung energieintensiver Industrien aber steigt, werden gerade erste Windparks errichtet, so dass die Palette der erneuerbaren Energien um noch eine klimaschonende Erzeugungsart reicher wird. Kohlekraftwerke und Atomenergieanlagen sucht man dafür vergeblich.

Bei alledem scheint die Lage südlich des Polarkreises ungünstig für intensive Handelsbeziehungen mit anderen Ländern zu sein, und doch ist man sich seiner geostrategischen Bedeutung in einer Welt bewusst, die sich im Klimawandel befindet. Island ist der erste Staat in Europa, der mit China ein Freihandelsabkommen abgeschlossen hat, denn Fernost liegt über die Polarregion nah. Die Passage durch das Eismeer nördlich von Russland ist inzwischen schon bedingt so befahrbar, dass auch normale Containerschiffe statt den Suezkanal zu nutzen diese um tausende Kilometer kürzere Strecke von und nach Asien wählen. Diesbezüglich haben deutsche Hafenbauingenieure erkannt, dass der optimale Standort für einen Umschlaghafen auf dieser Route in Nordostisland liegt, so dass dort bereits seit Jahren Messungen als Vorarbeiten für einen geplanten Tiefwasserhafen durchgeführt werden. Hier könnten einmal Container von Großschiffen mit leichter Eisklassifikation auf »Feeder«, also auf Zubringerschiffe, umgeladen und in die Häfen Europas sowie an der Westküste Nordamerikas weiterverbracht werden.

Solche prominenten Infrastrukturprojekte sorgen dafür, den Import von Gütern und Know-how voran zu treiben. Deutsche Unternehmen dürften ebenfalls ganz vorn mit dabei sein, wenn die derzeit diskutierte Schnellbahnverbindung auf der rund 50 km langen Strecke zwischen dem internationalen Flughafen Keflavík und der isländischen Hauptstadt Reykjavík gebaut werden sollte.

Generell spielt die globale Verzahnung Island in die Hände. Noch vor 30 Jahren wurden kaum hoch qualifizierte Spezialisten gebraucht, so dass sich viele junge Leute nach weiterführenden Studien oder nach der Promotion im Ausland schwer mit der Rückkehr in eine Heimat taten, in der Lesen und Schach die beliebtesten Freizeitbeschäftigungen waren. Das hat sich sehr geändert. Heute gibt es diverse Möglichkeiten, beruflich anspruchsvolle Dinge zu tun, da der Arbeitsort dank des Internets irrelevanter wird.

Isländische Naturwissenschaftler forschen mit Kollegen in den USA in der Gentechnik und in der Pharmaindustrie, isländische Ingenieure arbeiten für norwegische Kunden und sind in Geothermieprojekte in Asien und Afrika sowie in Mittel- und Südamerika involviert. Außerdem kommt isländische Software weltweit unter anderem im Versicherungswesen, im Bildungsbereich sowie zur Energieoptimierung auf Kreuzfahrtschiffen und Handelsschiffen zum Einsatz.

Derzeit wird darauf hingewirkt, die Landeswährung der isländischen Krone besser gegen Schwankungen zu schützen, um die heimische Wirtschaft noch kompatibler mit den Märkten der europäischen Nachbarn zu machen. Sofern dieser Weg eingeschlagen wird und der Internethandel weiter wächst, dürfte auch der Austausch von Waren und Dienstleistungen mit Deutschland strukturell wachsen. Die guten Flug- und Fährverbindungen nach Mitteleuropa erlauben rege ökonomische Beziehungen und noch stärkere Zusammenarbeit. Der rechtliche Rahmen ist übrigens etwas anders als bei uns, aber nicht ganz fremd und beherrschbar.

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