29.04.2024Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht April 2024

Wirkung einer Bezugnahmeklausel bei Versetzung in ein anderes Tarifgebiet

LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 31.01.2024 – 4 Sa 24/23

Zwecks vereinfachter Gestaltung von Arbeitsverträgen und zur Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen werden in der Praxis insbesondere von tarifgebundenen Arbeitgebern oft Bezugnahmeklauseln verwendet. Denn mittels vertraglich vereinbarter Bezugnahme eines Tarifvertrags oder des gesamten Tarifwerks einer Branche oder eines Verbandes kann die unzulässige Frage nach der Gewerkschaftsmitgliedschaft im Rahmen der Einstellung vermieden und der Anreiz zum Gewerkschaftsbeitritt stark reduziert werden.

Nicht selten geben Bezugnahmeklauseln und deren Auslegung aber auch Anlass für (gerichtliche) Streitigkeiten. So musste sich jüngst das LAG Baden-Württemberg mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Versetzung eines Mitarbeiters in ein anderes Tarifgebiet gleichzeitig dazu führt, dass auch ein anderes Tarifwerk Anwendung findet.

Sachverhalt

Der Kläger war seit 1990 als Produktionsmitarbeiter bei der Beklagten tätig und wurde bis Oktober 2021 an deren Stammsitz in Baden-Württemberg beschäftigt. Er war kein Gewerkschaftsmitglied. Das beklagte Unternehmen unterhält neben dem Stammsitz unter anderem noch einen Produktionsbetrieb in Rheinland-Pfalz.

Sowohl in Baden-Württemberg (Südwestmetall) als auch in Rheinland-Pfalz (Pfalzmetall) ist die Beklagte Mitglied des jeweiligen Landesverbands der Metall- und Elektroindustrie. Im Arbeitsvertrag wurde folgende Bezugnahmeklausel vereinbart:

„Für Ihr Arbeitsverhältnis gelten die gesetzlichen Vorschriften, die Tarifbestimmungen für Arbeiter der Metallindustrie in Nordwürttemberg und Nordbaden sowie die Betriebsordnung und die Betriebsvereinbarungen unseres Unternehmens.“

Auf Basis dieses in Bezug genommenen Tarifwerks zahlte die Beklagte dem Kläger seit 2019 eine tarifliche Alterssicherung von monatlich EUR 4.044,57.

Da die Beklagte die Produktion am Stammsitz in Baden-Württemberg bis 2022 sukzessive stilllegte, wurde der Kläger einvernehmlich zum Oktober 2021 an den Produktionsbetrieb in Rheinland-Pfalz versetzt. Im Rahmen der Versetzung vereinbarte die Beklagte mit dem Kläger neben der Eingruppierung in die Metalltarifverträge Rheinland-Pfalz auch die tarifliche Arbeitszeit und die Geltung betrieblicher Regelungen für außertarifliche Zulagen. Alle anderen bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen sollten unverändert fortbestehen. Seither zahlte die Beklagte dem Kläger unter Verweis auf die aus ihrer Sicht nunmehr vollständig anzuwendenden Metalltarifverträge Rheinland-Pfalz eine im Vergleich zum bisherigen Alterssicherungsbetrag geringere Vergütung.

Mit seiner Klage hat der Kläger Differenzvergütungsansprüche geltend gemacht. Er vertrat die Ansicht, dass er trotz der Versetzungsvereinbarung nach wie vor Anspruch auf eine Verdienstsicherung nach den Vorschriften der Metalltarifverträge Baden-Württemberg hat. Diese Ansprüche wurden in erster Instanz vom Arbeitsgericht Stuttgart abgewiesen. Hiergegen richtete sich die Berufung des Klägers, über die das LAG Baden-Württemberg zu entscheiden hatte.

Entscheidung

Das LAG Baden-Württemberg gab der Berufung statt und entschied, dass dem Kläger ein vertraglicher Anspruch auf Zahlung des ursprünglichen Alterssicherungsbetrags nach Maßgabe der Metalltarifverträge Baden-Württemberg zusteht.

Die Entscheidung stützt sich auf die Grundsätze der Rechtsprechung zur Auslegung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln und wurde vom LAG Baden-Württemberg wie folgt begründet:

  • Im Ausgangspunkt habe es sich bei der Bezugnahmeklausel um eine sog. Gleichstellungsabrede gehandelt. Denn der Arbeitsvertrag wurde vor Inkrafttreten der Schuldrechtsreform in 2002 abgeschlossen, die Beklagte war tarifgebunden und es wurde die Geltung der fachlich und örtlich einschlägigen Tarifverträge vereinbart.
  • Inhalt einer solchen Gleichstellungsabrede ist eine kleine dynamische Bezugnahmeklausel, nach welcher auf das Arbeitsverhältnis stets die konkret in Bezug genommenen Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung finden sollen.
  • Weiter seien auch keine Anhaltspunkte ersichtlich gewesen, die für eine große dynamische Bezugnahme (Tarifwechselklausel) sprechen würden. Denn hierfür hätte es eines allgemein gehaltenen Verweises auf die für den Betrieb jeweils einschlägigen Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung bedurft.
  • Dies zugrunde gelegt, würde die kleine dynamische Bezugnahme eigentlich dazu führen, dass der Arbeitsplatzwechsel in ein anderes Bundesland mit anderem Tarifgebiet, gleichsam zu einem Herauswachsen des Arbeitnehmers aus dem Anwendungsbereich der in Bezug genommenen Tarifverträge führt. Die konkret in Bezug genommenen Tarifverträge wären demnach also nicht länger anwendbar.
  • Hier sei die Situation jedoch aufgrund der der vertraglichen Abrede im Versetzungsschreiben ausnahmsweise anderes zu beurteilen. Zwar müsse die Bezugnahmeklausel angesichts des Altvertrags und der gewählten Formulierung grundsätzlich als Gleichstellungsabrede ausgelegt werden. Sie wurde jedoch nach 2002 – aufgrund der getroffenen Versetzungsabrede in 2021 – abgeändert, sodass die Auslegungsregelung zur Gleichstellungsbindung nicht länger greife.
  • Dass die Klausel aufgrund der Versetzungsabrede erneut zum Gegenstand rechtsgeschäftlicher Willensbildung gemacht worden sei, ergebe sich aus der Formulierung, „alle anderen Vereinbarungen aus dem Anstellungsvertrag bleiben unberührt“. Hiermit sei im Versetzungsschreiben ausdrücklich zugesichert worden, dass es im Übrigen bei den bisherigen vertraglichen Bedingungen – und damit auch bei der kleinen dynamischen Bezugnahme auf die Metalltarifverträge Baden-Württemberg – verbleibe. Aus diesem Grund gelte seit der Versetzung eine kleine dynamische Bezugnahme auf die Metalltarifverträge Baden-Württemberg ohne Tarifwechselklausel und ohne Gleichstellungsbindung.

Praxistipp

Mit der Entscheidung verdeutlicht das LAG Baden-Württemberg, wie sich die die Grundsätze der Rechtsprechung des BAG zur Auslegung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln in der Praxis auswirken können.

Um bei örtlichen Versetzungen einen Tarifwechsel der betroffenen Mitarbeiter in das entsprechende Tarifgebiet zu sicherzustellen, sollten Arbeitgeber daher stets die anwendbaren Bezugnahmeklauseln vorab gründlich prüfen und bei Unsicherheiten eine klarstellende Versetzungsvereinbarung abschließen.

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