29.04.2024Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht April 2024

Unbefristete Einstellung einer Krankheitsvertretung

LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 10.01.2024 – 3 Sa 74/23

In der betrieblichen Praxis kommt es häufiger vor, dass Mitarbeiter krankheitsbedingt für einen längeren Zeitraum ausfallen. Hier stellt sich für Arbeitgeber die Frage, ob und inwieweit der krankheitsbedingte Ausfall mit einer befristeten Einstellung einer Vertretung überbrückt werden kann. Gleichzeitig kann ein Arbeitgeber auch gezwungen sein, über den Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung nachzudenken. Das LAG Schleswig-Holstein hatte sich in diesem Zusammenhang jüngst mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Voraussetzungen eine krankheitsbedingte Kündigung möglich erscheint.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Grund einer krankheitsbedingten Kündigung. Die 1969 geborene, verheiratete und einer Tochter zum Unterhalt verpflichtete Klägerin war bei der Beklagten seit dem 01.08.2020 als Bilanzbuchhalterin bei einer Wochenarbeitszeit von 35 Stunden beschäftigt. Die Klägerin ist seit dem 06.12.2021 dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt. Bereits ab Oktober 2021 fiel die Klägerin mehrfach vorübergehend wegen Erkrankung arbeitsunfähig aus. Die letzte Arbeitsunfähigkeit vor der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit begann am 22.11.2021 und endete am 03.12.2021. Die Beklagte wollte ein Betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 167 Abs. 2 SGB IX durchführen. Die Klägerin lehnte die Teilnahme ab. Auch einer weiteren Einladung zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement folgte die Klägerin nicht. Die Beklagte hörte den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung an und teilte in diesem Zusammenhang rudimentär mit, warum durch den langfristigen Ausfall der Klägerin erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen entstanden sind. Das Arbeitsgericht Elmshorn gab der Klage statt, weil die Beklagte keine hinreichenden betrieblichen Beeinträchtigungen vorgetragen habe. Die Berufung der Beklagten vor dem LAG Schleswig-Holstein blieb erfolglos.

Entscheidung

Das LAG Schleswig-Holstein stellte fest, dass die ausgesprochene Kündigung nicht sozial gerechtfertigt ist. Die soziale Rechtfertigung von Kündigungen, die aus Anlass von Krankheiten ausgesprochen werden, ist in drei Stufen zu prüfen. Eine Kündigung ist im Falle einer langanhaltenden Krankheit sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG, wenn eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt – 1. Stufe –, eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist – 2. Stufe – und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen – 3. Stufe –.

Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen. Hierauf konnte sich die Beklagte allerdings nicht berufen. Die Beklagte habe nicht dargelegt, dass mit keiner Genesung der Klägerin in den nächsten 24 Monaten ab Zugang der Kündigung gerechnet werden könne. Das LAG Schleswig-Holstein führt insofern aus, dass für einen Zwei-Jahres-Zeitraum eine zur Vertretung befristete Kraft einzustellen ist, um beispielsweise eine dauerhafte Doppelbelastung zu vermeiden. Die Beklagte habe in diesem Zusammenhang aber nicht dargelegt, warum eine solche Vertretung vorliegend nicht möglich gewesen ist.

Das LAG Schleswig-Holstein hat ferner festgestellt, dass der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 102 Abs. 1 BetrVG angehört worden ist. Es sei erforderlich gewesen, dass der Betriebsrat über die langfristige Erkrankung sowie die dadurch eintretenden betrieblichen Beeinträchtigungen hinreichend informiert werde. Dies sei nicht geschehen. Insbesondere habe die Beklagte nicht konkret vorgetragen, warum eine Vertretung nicht möglich gewesen sei.

Das LAG Schleswig-Holstein hat demzufolge der Klage stattgegeben, weil die Beklagte keine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung durchgeführt habe und auch die Voraussetzungen für eine krankheitsbedingte Kündigung nicht hinreichend dargelegt worden sind.

Praxistipp

Bei einer krankheitsbedingten Kündigung ist stets der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren. Demzufolge müssen Arbeitgeber vorrangig prüfen, ob ein krankheitsbedingter Ausfall durch eine Vertretung überbrückt werden kann. Dies wäre dann eine mildere Maßnahme, die vom Arbeitgeber umzusetzen wäre. Nur wenn eine solche Vertretung beispielsweise aufgrund des Arbeitsmarktes nicht realisiert werden kann oder betrieblich nicht möglich wäre, käme eine krankheitsbedingte Kündigung in Betracht, weil eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen anzunehmen ist.

Ungeachtet dessen zeigt die vorliegende Entscheidung, dass Arbeitgeber bereits bei der Betriebsratsanhörung im Detail darauf achten müssen, dem Betriebsrat hinreichend darzulegen, warum eine befristete Vertretung im jeweiligen Einzelfall nicht umsetzbar ist. Erfolgt dies nicht, kann eine krankheitsbedingte Kündigung bereits an diesem formellen Erfordernis scheitern.

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