29.05.2019Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Mai 2019

EuGH: Mitgliedstaaten müssen Arbeitgeber zur systematischen Arbeitszeiterfassung verpflichten

Sachverhalt

Das spanische Arbeitszeitrecht verlangt von Arbeitgebern eine systematische Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer nur für Überstunden. Der Nationale Gerichtshof in Spanien hatte Zweifel, ob diese Regelung mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und den Richtlinien RL 2003/88/EG (Richtlinie über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung) sowie RL 89/391/EWG (Richtlinie über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit) vereinbar sei. Er legte den Fall daher dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vor.

Entscheidung

Der EuGH hat am 14. Mai 2019 die Zweifel bestätigt und entschieden, die spanische Regelung sei nicht mit den vorstehend genannten Regelungen vereinbar. Die Mitgliedstaaten müssten die Arbeitgeber dazu verpflichten, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ zur Erfassung der Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers einzuführen, und dies ab der ersten Arbeitsstunde. Nur dies böte den Arbeitnehmern ein wirksames Mittel, mit dem die Einhaltung der europarechtlich vorgesehenen wöchentlichen Höchstarbeitszeit gewährleistet werden könne. Zudem sei nur so sichergestellt, dass auch tatsächlich die in der RL 2003/88/EG festgelegten (Mindest-)Ruhezeiten eingehalten werden.

Einordnung der Entscheidung in deutsches Recht

In Deutschland bestehen bis dato umfassende Dokumentationspflichten von geleisteter Arbeitszeit lediglich in besonders geregelten Konstellationen. Dies betrifft einerseits Arbeitsverhältnisse mit „Mini-Jobbern“, also zeit- oder entgeltgeringfügig Beschäftigten im sozialversicherungsrechtlichen Sinne, § 17 Abs. 1 Satz 1 MiLoG i.Vm. § 8 Abs. 1 SGB IV. Es betrifft andererseits Arbeitgeber, die Arbeitnehmer in den in § 2a SchwarzArbG aufgeführten Wirtschaftsbereichen beschäftigen. Hierzu zählen insbesondere das Bau-, aber auch das Speditionsgewerbe. Außerhalb dieser Bereiche sieht § 16 Abs. 2 ArbZG allein eine Dokumentations- und zweijährige Aufbewahrungspflicht für geleistete „Mehrarbeit“ vor. Arbeitgeber sind demnach nur zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet, soweit Arbeitnehmer die nach § 3 ArbZG werktäglich zulässige Höchstarbeitszeit von acht Stunden überschreiten.

Folgen der Entscheidung

Aus unserer Sicht sind unmittelbare Rechtsfolgen mit dem Urteil nicht verbunden. Einer richtlinienkonformen Auslegung dürften die in Deutschland geltenden arbeitszeitrechtlichen Vorschriften schon aufgrund ihres eindeutigen Wortlauts nicht zugänglich sein. Damit ist aber zugleich belegt, dass auch das hierzulande geltende Recht den Richtlinienvorgaben nicht genügt und damit EU-rechtswidrig ist. Vor diesem Hintergrund ist das Urteil vor allem ein Aufruf an den Gesetzgeber, die deutsche Rechtslage richtlinienkonform anzupassen. Auf welchem Wege und wann dies geschehen wird, bleibt abzuwarten. Bei einer Anpassung stünde dem Gesetzgeber ein durchaus weiter Gestaltungsspielraum zu. So sollte es aus unserer Sicht möglich sein, die Dokumentationspflicht erst ab einer bestimmten Mitarbeiterzahl in einem Unternehmen gelten zu lassen. Es wäre ebenso denkbar, bestimmte Personengruppen auszunehmen, wie zum Beispiel Führungskräfte. Hinsichtlich des Zeitpunkts einer möglichen Gesetzesanpassung besteht in der Koalition schon jetzt Streit. Während Bundesarbeitsminister Heil für eine rasche Anpassung plädiert, äußerte sich Bundeswirtschaftsminister Altmaier vor einigen Tagen, es sei zunächst keine Gesetzesänderung beabsichtigt.

Praxishinweis

Obgleich sich das Urteil allein mit der Gewährleistung der Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitvorgaben auseinandersetzt, kommt eine Diskussion darüber in Gange, ob sich nunmehr die - derzeit strenge - Darlegungs- und Beweislast in Arbeitsgerichtsprozessen für angeblich geleistete Überstunden zugunsten des Arbeitnehmers verschieben könnte. Dies könnte etwa dann in Betracht kommen, wenn der Arbeitgeber überhaupt kein System zur Arbeitszeiterfassung vorhält und damit in jedem Falle EU-rechtswidrig handelt. Aufgrund der eindeutigen aktuellen Gesetzeslage und den allgemeinen prozessualen Grundsätzen zur Darlegungs- und Beweislast halten wir eine Verschiebung jedoch nicht für richtig.

Vor dem Hintergrund, dass momentan nicht ansatzweise absehbar ist, welche konkreten Gesetzesänderungen wann zu erwarten sind, ist es aus unserer Sicht nicht geboten, allein aufgrund des Urteils bestehende Vertrauensarbeitszeitmodelle abzuändern. Insbesondere verhalten sich Arbeitgeber nicht ordnungswidrig, wenn sie kein den Vorgaben des EuGH entsprechendes Arbeitszeiterfassungssystem vorhalten. Hierfür fehlt es an einer hinreichend bestimmten normativen Grundlage.

Arbeitgeber, die sich derzeit mit dem Gedanken tragen, die Dokumentationsdichte bestehender Zeiterfassungssysteme zu lockern, sollten im Hinblick auf die zu erwartenden Anpassungen hinreichenden Spielraum für nachträgliche Anpassungen lassen.

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