27.10.2023Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Oktober 2023

Unterrichtungsschreiben nach § 613a Abs. 5 BGB erfordert keine Unterrichtung eines außertarifvertraglichen Arbeitnehmers über nicht geltende Tarifverträge

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.06.2023 – 2 AZR 326/22

Ein Betriebsübergang ist nicht selten für die Belegschaft des betroffenen Betriebs mit einschneidenden Veränderungen verbunden. Häufig ist ein Betriebsübergang nämlich nicht nur mit einem Wechsel des Vertragsarbeitgebers, sondern darüber hinaus auch mit einer Veränderung der betrieblichen Organisationsstrukturen verbunden. Auch weil gerade Letzteres dazu führen kann, dass sich infolge des Betriebsübergangs die kollektiven Arbeitsbedingungen der betroffenen Mitarbeiter erheblich verändern, hat der Gesetzgeber dem Arbeitgeber in § 613 Abs. 5 BGB die Pflicht auferlegt, diese Mitarbeiter insbesondere über die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs zu unterrichten. In der Praxis stellt die fehlerfreie Unterrichtung der Belegschaft die Arbeitgeber häufig vor Probleme, da der erforderliche Inhalt durch die Rechtsprechung im Laufe der Zeit sehr detailreich präzisiert wurde. Mangelt es an einer ordnungsgemäßen Unterrichtung, so erhält der Mitarbeiter ein unbefristetes, lediglich verwirkbares Widerspruchsrecht, was Arbeitgeber vor erhebliche Prozessrisiken stellen kann.

In diesem Zusammenhang hatte das Bundesarbeitsgericht jüngst über die Einzelfrage zu entscheiden, ob ein außertariflicher Arbeitnehmer im Unterrichtungsschreiben auch über Tarifverträge zu informieren ist, die gerade auf ihn nicht anwendbar sind.

Sachverhalt

In dem zugrunde liegenden Fall stritten die Parteien über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nach einem Widerspruch des Klägers gegen einen Betriebsübergang.

Der seit 2014 im Energiekonzern RWE tätige Kläger war nicht Mitglied einer Gewerkschaft und übte seine Tätigkeit als IT-Referent als außertariflicher Mitarbeiter der Konzerngesellschaft RWE IT GmbH aus. Genau wie bei anderen Konzerngesellschaften fand auch bei der Arbeitgeberin des Klägers seit Ende 2014 der Tarifvertrag zur sozialverträglichen Begleitung von Personalanpassungsmaßnahmen im RWE-Konzern für alle tarifgebundenen Mitarbeiter Anwendung.

2015 entschied der RWE-Konzern, die bisher konzernintern von der Arbeitgeberin erbrachten IT-Service-Dienstleistungen an einen externen Dienstleister mit Wirkung zum Februar 2017 outzusourcen. Die Arbeitgeberin und der externe Dienstleister unterrichteten den Kläger Ende 2016 anlässlich einer ganztätigen Informationsveranstaltung in einem Schreiben über den geplanten Betriebsübergang. Ab Februar 2017 erbrachte der Kläger seine Arbeitsleistung dann ausschließlich für den externen Dienstleister. Kurz darauf, im April 2017, wurde die Arbeitgeberin mit einer anderen Konzerngesellschaft verschmolzen.

Erst im Jahr 2019 widersprach der Kläger dann dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den externen Dienstleister und begehrte Feststellung des Bestands seines Arbeitsverhältnisses zur Rechtsnachfolgerin der Arbeitgeberin. Der Kläger argumentierte dabei, dass die Monatsfrist für den Widerspruch nicht zu laufen begonnen habe, da die Unterrichtung fehlerhaft gewesen sei. Insbesondere würden Informationen darüber fehlen, ob gewisse tarifliche Regelungen individualrechtlich oder kollektivrechtlich für sein Arbeitsverhältnis gelten.

In erster Instanz folgte das Arbeitsgericht Essen der Argumentation des Klägers nicht und wies die Klage ab. Das LAG Düsseldorf meinte hingegen, dass Unterrichtungsschreiben sei fehlerhaft gewesen und gab der Klage daher zweitinstanzlich statt. Zum einen seien selbst nach mehr als zwei Jahren keine Umstände für eine Verwirkung des Widerspruchsrechts ersichtlich. Zum anderen sei das Unterrichtungsschreiben fehlerhaft, weil diesem nicht zu entnehmen sei, ob der zum Teil bei der Arbeitgeberin geltende Tarifvertrag nun gelte oder nicht. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Revision der beklagten Rechtsnachfolgerin der Arbeitgeberin.

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht hat der Arbeitgeberin nunmehr Recht gegeben und die Klage auf Feststellung des Bestands des Arbeitsverhältnisses zur beklagten Rechtsnachfolgerin abgewiesen.

Als außertariflicher Arbeitnehmer musste der Kläger nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht über einen Tarifvertrag unterrichtet werden, der für ihn weder beim Betriebsveräußerer (der Arbeitgeberin) noch beim Betriebserwerber (dem externen Dienstleister) normativ oder aufgrund einer Bezugnahmeklausel gilt. Zwar müsse ein Arbeitgeber grundsätzlich nach § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB darüber unterrichten, welche tariflichen Regelungen anwendbar sind oder gegebenenfalls beim Erwerber wie abgelöst werden. Denn die Unterrichtung soll den Arbeitnehmer in die Lage versetzen, eine sachgerechte Entscheidung darüber zu treffen, ob er dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen wolle oder nicht.

Im hiesigen Fall seien jedoch keine Tatsachen erkennbar, nach denen die Anwendung des Tarifvertrages auf den nicht gewerkschaftlich organisierten Kläger nicht ausgeschlossen werden könnte. Die im Tarifvertrag enthaltene vage Absichtserklärung, dessen Regelungen zu späterer Zeit auch auf nichttarifgebundene Arbeitnehmer zu erstrecken, sei jedenfalls nicht ausreichend. Vielmehr bleibe es dabei, dass der Tarifvertrag weder vor noch nach dem Betriebsübergang auf das Arbeitsverhältnis des Klägers anwendbar gewesen sei. Für Mitarbeiter wie den Kläger, für die mangels Tarifbindung oder Bezugnahmeklausel beim Betriebsveräußerer kein Tarifvertrag gilt, müsse im Unterrichtungsschreiben nicht darauf hingewiesen werden, dass diese Rechtslage durch den Betriebsübergang keine Änderung erfährt.

Abschließend hob das Bundesarbeitsgericht hervor, dass nicht verschiedene Unterrichtungsschreiben für die einzelnen Arbeitnehmergruppen (tarifgebundene Arbeitnehmer/ nichttarifgebundene Arbeitnehmer) gefertigt werden müssen, sondern mit einem einzigen Unterrichtungsschreiben alle Gruppen unterrichtet werden können. Das Standardschreiben müsse jedoch etwaige Besonderheiten der Arbeitsverhältnisse erfassen.

Praxistipp

Fälle wie dieser zeigen, wie wichtig es ist, vor einem Betriebsübergang unbedingt auf eine fehlerfreie Unterrichtung zu achten. Denn ansonsten besteht das Risiko, dass ehemalige Mitarbeiter auch Jahre nach dem Betriebsübergang noch ihr Widerspruchsrecht geltend machen und Weiterbeschäftigung beim bisherigen Arbeitgeber beanspruchen können.

Auch wenn das Bundesarbeitsgericht im hiesigen Fall überzeugend darlegt, dass die fortbestehende Nichtanwendbarkeit von Tarifverträgen vor und nach dem Betriebsübergang nicht im Unterrichtungsschreiben erwähnt werden muss, sollte mit Blick auf etwaige Streitvermeidung im Unterrichtungsschreiben dennoch lieber ein Satz zu viel, als ein Satz zu wenig aufgenommen werden. Denn Unterrichtungsschreiben zum Betriebsübergang sind per se sehr fehleranfällig, da die Rechtsprechung aus den in § 613 Abs. 5 BGB genannten Inhalten bereits sehr weitreichende Unterrichtungsinhalte ableitet.

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