24.08.2016Fachbeitrag

Update Compliance 15/2016

Doppelte Strafverfolgung im Schengen-Raum unter bestimmten Voraussetzungen zulässig

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass ein Staat des Schengen-Raums eine Straftat verfolgen darf, wenn dieselbe Tat bereits in einem anderen Mitgliedstaat verfolgt wurde, dort jedoch keine eingehenden Ermittlungen stattgefunden haben.

Im Fall des EuGH verfolgte die Staatsanwaltschaft Hamburg den Beschuldigten wegen schwerer räuberischer Erpressung.  Allerdings hatte zuvor schon die polnische Staatsanwaltschaft ermittelt, das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts jedoch eingestellt: Der Beschuldigte hatte die Aussage verweigert. Der Geschädigte, der schon zuvor widersprüchliche Aussagen getätigt hatte, sowie ein weiterer Zeuge vom Hörensagen wohnten in Deutschland. Die polnische Staatsanwaltschaft hatte es abgelehnt, die Zeugen zu vernehmen. Den Tatvorwurf konnte sie daher nicht erhärten.

Unter diesen Voraussetzungen sah der EuGH eine erneute Strafverfolgung in Deutschland als zulässig an. Das Gericht erkennt zwar das Vertrauen von Beschuldigten, nicht mehrfach wegen derselben Tat verfolgt zu werden, an, betont aber zugleich, dass die zugrunde liegende Regelung – hier Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens – voraussetzt, dass die jeweiligen Staaten den Tatverdacht auch in der Sache prüfen. Daran fehlte es nach Ansicht des EuGH, weil keine „eingehenden Ermittlungen“ stattgefunden haben; die unterlassene Vernehmung des Geschädigten und eines möglichen Zeugen stellten hierfür ein Indiz dar.

Praxishinweis: Es gehört zu den Grundlagen eines Rechtsstaats, dass eine Person wegen einer Straftat nicht mehrfach verfolgt werden darf („ne bis in idem"). Doch so einfach wie es sich anhört, ist es selten. Oftmals stellen sich schwierige Rechtsfragen, und gerade in grenzüberschreitenden Fällen legen Staatsanwaltschaften und Gerichte dieses Gebot eng aus. Die Rechtsprechung des EuGH überzeugt nicht vollends. Sie stellt das gegenseitige Vertrauen der Staaten in die Effektivität der Strafverfolgung über das Interesse der Verfolgten, nicht mehrfach belangt zu werden.

Das Verbot der doppelten Strafverfolgung wird auf diese Weise aufgeweicht. Gerade wer - etwa aus beruflichen Gründen - grenzüberschreitend oder im Ausland tätig wird, dem droht bei Rechtsverstößen Verfolgung in zwei Staaten, wenn ein Staat „nicht eingehend" ermittelt hat.

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