20.07.2015Fachbeitrag

Newsletter IP, Media & Technology Juli 2015

EuGH: Zutatenverzeichnis neutralisiert nicht irreführende Verpackungsgestaltung

EuGH, Urteil vom 4.6.2015 (Rs. C-195/14)

Leitsatz der Redaktion

Erweckt die Etikettierung eines Lebensmittels und die Art und Weise, in der sie erfolgt, durch das Aussehen, die Bezeichnung oder die bildliche Darstellung einer bestimmten Zutat den unzutreffenden und für den durchschnittlichen Verbraucher irreführenden Eindruck, diese Zutat sei in dem Lebensmittel enthalten, so wird diese Irreführung nicht durch das zutreffende Zutatenverzeichnis auf der Verpackung (ohne die betreffende Zutat) beseitigt.

Anmerkung

Diese aktuelle Entscheidung des EuGH ist auf einen Vorlagebeschluss des BGH hin ergangen (BGH, Beschluss vom 26.2.2014, Az. I ZR 45/13 – Himbeer-Vanille-Abenteuer). In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit klagt der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) gegen einen Teehersteller wegen einer von ihm als irreführend beanstandeten Verpackungsgestaltung für einen Kinder-Früchtetee mit der Produktbezeichnung  „Felix Himbeer-Vanille Abenteuer“. Auf der Verpackung sind an mehreren Stellen frische Himbeeren und Vanilleblüten abgebildet, außerdem finden sich mehrfach die Hinweise „Früchtetee mit natürlichen Aromen“ und „nur natürliche Zutaten“. Tatsächlich sind in dem Tee weder Bestandteile noch Aromen von Himbeeren oder Vanillepflanzen enthalten, sondern lediglich natürliche Aromen mit Himbeer- und Vanillegeschmack (die jedoch nicht aus Himbeeren und Vanille gewonnen werden, sonst wären sie als „natürliches Himbeeraroma“ bzw. „natürliches Vanillearoma“ deklariert worden). Die tatsächliche Produktzusammensetzung wird im Zutatenverzeichnis auf der Rückseite der Verpackung zutreffend angegeben.

Die liberale Auffassung des OLG Düsseldorf unter Berufung auf ältere EuGH-Rechtsprechung


Das Berufungsgericht (OLG Düsseldorf) hatte die Klage des vzbv abgewiesen unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH. Dieser hatte bereits vor einigen Jahren mehrfach entschieden, dass der durchschnittlich informierte und situationsadäquat aufmerksame Verbraucher, auf den es nach dem europäischen Verbraucherleitbild beim Irreführungsschutz allein ankommt, sich jedenfalls dann intensiver mit dem Zutatenverzeichnis auf der Verpackung befasst, wenn er seine Kaufentscheidung vom Vorhandensein oder Fehlen bestimmter Zutaten abhängig machen will. Wer lediglich auf sonstige Verpackungsbestandteile achtet und allein daraus Schlüsse auf die Zutaten zieht, wird unter Zugrundelegung dieser Auffassung nicht vor entsprechenden Irreführungsgefahren geschützt.

Der Vorlagebeschluss des BGH

Der BGH wollte dies im vorliegenden Fall anders sehen und hat den Fall daher dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Er begründete seine abweichende Auffassung u. a. damit, dass angesichts der zahlreichen, insgesamt klar auf die Verwendung von Bestandteilen echter Himbeeren bzw. Vanillepflanzen hindeutenden Verpackungselemente auch ein durchschnittlich aufmerksamer Verbraucher davon ausgehen werde, solche Bestandteile seien in dem Produkt enthalten, und sich daher nicht mehr im Einzelnen mit dem Zutatenverzeichnis befassen werde.

Die Klarstellung durch den EuGH

Der EuGH hat sich in dem jetzt vorliegenden Beschluss der  vom BGH geäußerten Rechtsauffassung angeschlossen und klargestellt, dass ein durch eine Verpackungsgestaltung verursachter insgesamt irreführender Eindruck über die Zutaten eines Lebensmittels auch gegenüber dem Durchschnittsverbraucher nicht ohne Weiteres durch das Zutatenverzeichnis neutralisiert werde. Wenn sich aus der Verpackungsgestaltung der Eindruck ergebe, eine bestimmte Zutat werde verwendet, sei es mit europäischem Recht nicht vereinbar, wenn sich deren Fehlen erst aus dem Zutatenverzeichnis ergebe. Ob die Verpackungsgestaltung einen entsprechenden Eindruck erwecke, sei von dem nationalen Gericht zu beurteilen.

Die Entscheidung behält ihre Relevanz ungeachtet der 2014 erfolgten Ablösung der Lebensmittel-Kennzeichnungsrichtlinie durch die Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV, VO (EU) Nr. 1169/2011), da diese natürlich ebenfalls ein Verbot irreführender Informationen über Lebensmittel, insbesondere durch ihre Aufmachung, enthält (Art. 7 LMIV).

Weiterer Fortgang des Rechtsstreits

Die abschließende Entscheidung des Rechtsstreits über den Früchtetee obliegt dem BGH. Dass das „Himbeer-Vanille-Abenteuer“ für den Hersteller voraussichtlich nicht gut ausgehen wird, kann man aufgrund der Formulierung des Vorlagebeschlusses jedoch bereits erahnen.

Fazit

Lebensmittelhersteller müssen sich darauf einstellen, dass ihre Produkte in Zukunft häufiger Gegenstand wettbewerbsrechtlicher Beanstandungen werden mit der Begründung, die Verpackungsgestaltung suggeriere eine Produktzusammensetzung, die nicht der Wirklichkeit entspreche. Das Verteidigungsargument, das zutreffende Zutatenverzeichnis schließe eine Irreführung des Durchschnittsverbrauchers aus, verliert dabei aufgrund der neuen EuGH-Rechtsprechung an Überzeugungskraft. Allerdings kann man aus der aktuellen Rechtsprechung auch nicht den Schluss ziehen, dass dem Zutatenverzeichnis jetzt keine Bedeutung für die Beurteilung der Irreführungsgefahr mehr zukäme; es kommt nach wie vor auf die Sichtweise des Durchschnittsverbrauchers an, der je nach Art des Produkts und der Verpackungsgestaltung aus deren Elementen unterschiedliche Schlüsse ziehen kann und je nach Fall ohne einen Blick in das Zutatenverzeichnis keine konkrete Vorstellung von den verwendeten Zutaten gewinnen muss. Die Maßgeblichkeit der Gesamtumstände im jeweiligen Einzelfall wird auch vom EuGH betont. Im streitgegenständlichen Fall kamen mehrere Verpackungselemente, die jeweils auf die Verwendung von echten Himbeer- bzw. Vanillebestandteilen hindeuteten, zusammen und haben in ihrer Gesamtheit die beanstandete Irreführung verursacht. Bei Verwendung nur einzelner dieser Elemente hätte unter Umständen schon die Vorlageentscheidung des BGH anders ausfallen können. Die bisher in der Rechtsprechung durchaus umstrittene Abgrenzung zulässiger von unzulässiger Verpackungsgestaltung bleibt nach allem eine Frage des Einzelfalls. Erhebliche Bedeutung wird dabei der Frage zukommen, ob einzelne (potenziell irreführende) Gestaltungselemente „blickfangmäßig“ verwendet werden, wie dies  vorliegend vom BGH für die Abbildung von Himbeeren und Vanilleblüten angenommen wurde; dann kann eine ausreichende Richtigstellung lediglich durch das Zutatenverzeichnis nach der Rechtsprechung des BGH zur Blickfangwerbung nämlich bereits hieran scheitern (so z. B. auch schon OLG Köln, Urteil vom 18.1.2008, Az. 6 U 144/07 – Fruit2Day, Tz. 19 f.).

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