03.06.2015Fachbeitrag

Newsletter Arbeitsrecht Juni 2015

Verdachtskündigung im Berufsausbildungsverhältnis

BAG, Urteil vom 12.2.2015 – 6 AZR 845/13

Ein Berufsausbildungsverhältnis nach dem Berufsausbildungsgesetz (BBiG) kann auch durch eine außerordentliche Verdachtskündigung beendet werden. Der Kläger absolvierte bei der Beklagten seit dem 1. August 2010 eine Berufsausbildung zum Bankkaufmann. Am 20. Juni 2011 zählte er das in den Nachttresor-Kassetten einer Filiale befindliche Geld. Später wurde ein Kassenfehlbestand von 500,00 Euro festgestellt. Nach Darstellung der Beklagten nannte der Kläger in einem Personalgespräch von sich aus die Höhe dieses Fehlbetrags, obwohl er nur auf eine unbezifferte Kassendifferenz angesprochen worden war. Die Beklagte kündigte das Berufsausbildungsverhältnis wegen des durch die Offenbarung von Täterwissen begründeten Verdachts der Entwendung des Fehlbetrags. Der Kläger hielt die Kündigung für unwirksam. Ein Berufsausbildungsverhältnis könne nicht durch eine Verdachtskündigung beendet werden. Auch fehle es an seiner ordnungsgemäßen Anhörung. Ihm sei vor dem fraglichen Gespräch nicht mitgeteilt worden, dass er mit einer Kassendifferenz konfrontiert werden solle. Auf die Möglichkeit der Einschaltung einer Vertrauensperson sei er ebenfalls nicht hingewiesen worden. Zudem habe die Beklagte Pflichten aus dem Bundesdatenschutzgesetz verletzt. Das ArbG Trier und das LAG Rheinland-Pfalz wiesen die Klage ab. Das BAG hat die gegen die Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz eingelegte Revision zurückgewiesen und die Kündigung als außerordentliche Verdachtskündigung für wirksam erachtet.

Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG

Mit dieser Entscheidung, die Möglichkeit der Verdachtskündigung auch in Berufsausbildungsverhältnissen anzuerkennen, hat das BAG einen seit Langem währenden Streit in Rechtsprechung und Literatur zu Gunsten der Arbeitgeber entschieden.
In einer Entscheidung vom 19. Juni 2006 (9 Sa 1555/05) war das LAG Köln noch der Auffassung, dass Verdachtskündigungen im Berufsausbildungsverhältnis grundsätzlich nicht zuzulassen seien. Dies liege daran, dass ein Berufsausbildungsverhältnis nicht im gleichen Maße wie ein normales Arbeitsverhältnis von einer besonderen Vertrauensbasis geprägt sei.

Besonderheiten des Berufsausbildungsverhältnisses

Dem ist das BAG jetzt entgegengetreten und hat klargestellt, dass der dringende Tatverdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung durch den Auszubildenden die Fortsetzung des Berufsausbildungsverhältnisses für den Ausbildenden unzumutbar machen könne. Dies stelle einen wichtigen Grund zur Kündigung nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG dar. Einschränkend hat das BAG jedoch festgehalten, dass dem besonderen Charakter des Berufsausbildungsverhältnisses Rechnung zu tragen sei. Nach Ansicht des BAG seien Berufsausbildungsverhältnisse und Arbeitsverhältnisse zwar nicht generell gleichzusetzen. Beide seien aber von einer starken Bindung der Vertragsparteien geprägt, wodurch das Verständnis des wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dem des § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG entspreche. Eine Verdachtskündigung sei somit auch im Berufsausbildungsverhältnis möglich.

Es gelten bei einer Verdachtskündigung die strengen Anforderungen der Rechtsprechung

Bei einer Verdachtskündigung sind auch im Berufsausbildungsverhältnis die gewohnt strengen Anforderungen der Rechtsprechung zu beachten. Insbesondere ist regelmäßig eine vorherige Anhörung des Auszubildenden erforderlich. Bei der Durchführung der Anhörung sind dann als Besonderheit des Berufsausbildungsverhältnisses die typischerweise bestehende Unerfahrenheit des Auszubildenden und die daraus resultierende Gefahr einer Überforderung zu berücksichtigen. Dem Auszubildenden ist bei erkennbarer Überforderung eine angemessene Vorbereitungszeit auf die Äußerung zu den Tatvorwürfen zu geben. Daraus folgt aber nicht, dass es für eine wirksame Anhörung erforderlich wäre, den Auszubildenden vorab über den beabsichtigten Gesprächsinhalt zu informieren, da sonst die Gefahr der Verdunkelung der Tat bestünde.

Berücksichtigung der Besonderheiten des Berufsausbildungsverhältnisses im Rahmen der Anhörung
Das BAG stellt damit im Ergebnis keine wesentlich höheren Anforderungen an die Rechtmäßigkeit einer Verdachtskündigung im Berufsausbildungsverhältnis im Vergleich zu einem normalen Arbeitsverhältnis. Die Besonderheiten des Berufsausbildungsverhältnisses berücksichtigt es im Rahmen der Anhörung, bei der die individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse des Auszubildenden zu beachten sind.

Fazit

Der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Auszubildenden kann einen wichtigen Grund zur Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG darstellen, wenn der Verdacht auch bei Berücksichtigung der Besonderheiten des Berufsausbildungsverhältnisses dem Ausbildenden die Fortsetzung der Berufsausbildung objektiv unzumutbar macht. Die Entscheidung sorgt für Rechtsklarheit und ist für Arbeitgeber zu begrüßen. Die Möglichkeit der Verdachtskündigung besteht somit auch im Berufsausbildungsverhältnis.

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