27.03.2024Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht März 2024

Arbeitsunfähigkeit bei regelmäßigem Bereitschaftsdienst – Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 05.10.2023, Az. 6 AZR 210/22

Das Bundesarbeitsgericht stellt fest, dass die Regelungen des § 4 EFZG auch im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse zwingend gelten. Auf dem sog. Dritten-Weg zustande gekommenen Arbeitsvertragsrichtlinien können nicht aufgrund der Öffnungsklausel des § 4 Abs. 4 S. 1 EFZG zuungunsten des Arbeitnehmers von den gesetzlichen Regelungen abweichen. Das verstößt weder gegen das Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrecht der Kirchen noch gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. In welchem Umfange jedoch Gutschriften für Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle auf ein Arbeitszeitkonto zu buchen sind, bestimmt sich nach den diesem Konto zugrunde liegenden Bedingungen.

Sachverhalt

Die Parteien stritten über Stundengutschriften auf einem Arbeitszeitkonto für Bereitschaftsdienste, die der Kläger aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht geleistet hat.

Der Kläger war als Anästhesiepfleger bei der Beklagten beschäftigt. Im Arbeitsvertrag wurde auf die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR, im Folgenden AVR Caritas) verwiesen. Diese sahen zum einen vor, dass Entgelt für Bereitschaftsdienste in Freizeit ausgeglichen und auf ein Arbeitszeitkonto gebucht werden kann. Zum anderen waren Regelungen zur Entgeltfortzahlung bei Krankheit enthalten, die letztlich eine durchschnittliche Entgeltfortzahlung – anstelle einer Vergütung der tatsächlich ausgefallenen Zeiten – vorsahen.

Der Kläger hatte stets von der Möglichkeit des Freizeitausgleichs anstelle der Auszahlung des Bereitschaftsdienstentgelt Gebrauch gemacht. Nachdem der Kläger an drei Tagen, an denen er zu einem Bereitschaftsdienst eingeteilt war, arbeitsunfähig erkrankt war, zahlte die Beklagte das nach den AVR Caritas vorgesehene Entgelt fort. Der Kläger forderte dagegen die Gutschrift des Arbeitsentgeltes, dass konkret für die entfallenen Zeiten entstanden war, auf seinem Arbeitszeitkonto.

Inhalt der Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht verwies das Verfahren zur weiteren Sachverhaltsermittlung zurück an das Landesarbeitsgericht, hielt jedoch einige Grundsätze fest:

Die Entgeltfortzahlung für die Bereitschaftsdienste, die aufgrund der Dienstpläne bereits im Einzelnen feststanden und an deren Erbringung ein Arbeitnehmer aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit in Folge Krankheit verhindert war, richten sich nach § 4 Abs. 1 EFZG. Hätte der Kläger diese tatsächlich geleistet, hätte er hierfür ein Arbeitsentgelt erhalten.

Die AVR Caritas würden nicht in zulässiger Weise von diesen gesetzlichen Vorgaben abweichen, da sie weder allein vorteilhaft für die Arbeitnehmer wirkten noch von der Öffnungsklausel für Tarifverträge in § 4 Abs. 4 EFZG erfasst seien. Die auf dem sog. Dritten-Weg zustande gekommenen kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien seien keine Tarifverträge im Sinne der gesetzlichen Öffnungsklausel. Ihnen fehle deren normative Wirkung. Der Gesetzgeber habe die Regelwerke der Kirchen und öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften – anders als in § 7 Abs. 4 ArbZG, § 21a Abs. 3 JArbSchG, § 3 Abs. 1 Nr. 1 AltersteilzeitG und § 2 Abs. 4 NachwG – auch nicht ausdrücklich benannt. Es sei daher zu schließen, dass § 4 Abs. 4 EFZG keine solche Ausnahme genehmigen wollte.

Dieses Verständnis des § 4 Abs. 4 EFZG verletze kirchliche Einrichtungen – so das BAG – auch nicht in ihren verfassungsmäßigen Rechten. Zwar umfasse das Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrecht der Kirche nach Art. 140 GG iVm Art. 137 Abs. 3 WRV auch das Recht zur Ausgestaltung der Dienstverhältnisse der Beschäftigten zugeordneter Institutionen, jedoch könnten so keine rechtsfreien Räume geschaffen werden. Vielmehr müssten sich auch die kirchlichen Institutionen innerhalb der zwingenden Vorgaben des staatlichen Arbeitsrechts halten. Im Übrigen beschränkten die gesetzlichen Vorgaben der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nicht die verfassungsrechtlich geschützte Eigenart des kirchlichen Dienstes.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht etwa aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Kirchen seien nicht zwingend mit den Tarifvertragsparteien gleichzusetzen. § 4 Abs. 4 EFZG halte sich innerhalb des dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsspielraum.

Das BAG verwies das Verfahren zurück an das LAG, da bislang keine ausreichenden Erkenntnisse zur Art und Grundlage des für den Kläger geführten Arbeitszeitkontos vorliege. Das LAG habe zudem zu prüfen, inwieweit ein etwaiger Anspruch des Klägers auf Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto bereits durch die Auszahlung des Entgelts erfüllt worden sei.

Praxishinweis

Die Entscheidung zeigt, dass sich kirchliche Arbeitgeber nicht immer auf ihr verfassungsrechtlich begründeten Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrecht berufen können. Vielmehr müssen auch sie sich innerhalb des bestehenden rechtlichen Rahmens bewegen. Ausnahmebestimmungen für die Tarifvertragsparteien können die Kirchen durch auf dem sog. Dritten-Weg getroffenen Vereinbarungen nicht uneingeschränkt für sich nutzen. Ein genaues Studium der Rechtsgrundlagen ist daher stets zu empfehlen.

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