28.09.2022Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht September 2022

Beleidigung eines Kollegen als „Bastard“ rechtfertigt ordentliche Kündigung ohne Abmahnung

LAG Hamm, Urteil vom 20.01.2022 - 18 Sa 645/21

Das LAG Hamm hat entschieden, dass die Beleidigung eines Kollegen als „Bastard“ eine ordentliche Kündigung auch ohne Abmahnung rechtfertigen kann.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung wegen der Beleidigung eines Kollegen als „Bastard“.

Die Klägerin, verheiratet und Mutter von zwei Kindern, ist seit 2009 bei der Beklagten, die mehr als zehn Arbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt, als Verkäuferin tätig. Nach einem zunächst reibungslos verlaufenden Arbeitsverhältnis erteilte die Beklagte der Klägerin in den Jahren 2018 und 2019 mehrere Abmahnungen. Mit einer Abmahnung von Mitte Mai 2019 monierte die Beklagte unter anderem unangemessenes Verhalten der Klägerin gegenüber Kunden und anderen Mitarbeitern der Beklagten; die Klägerin solle in Zukunft „jegliche Art von abfälligen Äußerungen gegenüber oder über Kollegen, Vorgesetzten oder Kunden [...] unterlassen“.
Am 14. Dezember 2019 kam es nach einem physischen Zusammenstoß der Klägerin mit einem Kollegen zu einer Auseinandersetzung, im Zuge derer die Klägerin ihren Kollegen im Pausenraum als „Bastard“ bezeichnete. Nach der Auseinandersetzung versuchte die Klägerin mehrfach bei der Teamleitung arbeitsrechtliche Konsequenzen für den Arbeitskollegen zu erreichen. Mit Schreiben vom 8. Januar 202 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin schließlich zum 30. Juni 2020.
Die Klägerin erhob zunächst erfolgreich Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Dortmund. Laut Arbeitsgericht liege noch keine so erhebliche Pflichtverletzung vor, dass sie ohne vorhergehenden Ausspruch einer Abmahnung eine Kündigung hätte rechtfertigen können, insbesondere da die Auseinandersetzung im Rahmen eines Vieraugengesprächs erfolgte und von Kunden nicht bemerkt worden sei. Die Beklagte ging in Berufung. 

Entscheidung des LAG Hamm

Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg. Das LAG hat entschieden, dass die Kündigung der Beklagten wirksam ist und das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien beendet wurde. Die soziale Rechtfertigung der Kündigung begründete das LAG damit, dass die Klägerin durch die Beleidigung des Arbeitskollegen als „Bastard“ in grober Weise ihre vertraglichen Rücksichtnahmepflichten massiv verletzt habe.

Der ständigen Rechtsprechung des BAG nach könne die schwerwiegende Verletzung vertraglicher Nebenpflichten eine verhaltensbedingte (im Einzelfall auch außerordentliche) Kündigung rechtsfertigen. Dies gilt auch für grobe Beleidigungen von Arbeitskollegen mit nach Form und Inhalt erheblich ehrverletzendem Charakter, bei denen ein gewichtiger Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers (§ 241 Abs. 2 BGB) vorliegen kann. 

Gemäß § 241 Abs. 2 BGB sei der Arbeitnehmer verpflichtet, im Rahmen des Arbeitsverhältnisses Störungen des Betriebsfriedens zu vermeiden. Der Arbeitgeber sei im Rahmen seiner Fürsorgepflicht dafür verantwortlich, den Ehrschutz von Mitarbeitern im Betrieb zu gewährleisten. Bei beleidigenden Äußerungen könne sich der Arbeitnehmer normalerweise nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen, da das Grundrecht seine Grenze im Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG fände.

Das LAG stellte für die negative Prognose und für die Abwägung zwischen Beendigungsinteresse der Beklagten und Weiterbeschäftigungsinteresse der Klägerin entscheidend auf die Schwere der Beleidigung ab. Trotz der Länge des zu Beginn beanstandungsfreien Arbeitsverhältnisses falle die Interessenabwägung daher zulasten der Klägerin aus. Mit dem Schimpfwort „Bastard“ habe die Klägerin den Kollegen als unterwertigen Menschen von illegitimer Abstammung bezeichnet. Dies stelle eine gravierende Ehrkränkung dar. Diese schwere Beleidigung sei nicht im Ansatz nachvollziehbar, sei es zuvor doch lediglich zu einem physischen Zusammenstoß zwischen der Klägerin und dem Kollegen gekommen.  Das Fehlverhalten der Klägerin habe zudem betriebliche Auswirkungen hervorgerufen, insbesondere da die Klägerin den Konflikt immer weiter angeheizt habe, indem sie fortwährend auf arbeitsrechtliche Konsequenzen für den betroffenen Arbeitskollegen bestand. 

Im vorliegenden Fall sei ferner auch eine vorherige Abmahnung entbehrlich gewesen. Einer solchen bedürfe es nach Maßnahme des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dann nicht, wenn es sich um eine derart schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich ausgeschlossen ist. Überdies habe der Klägerin spätestens nach der im Jahr 2019 ausgesprochenen Abmahnung klar sein müssen, dass die Beklagte Beleidigungen von Arbeitskollegen als arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen ansieht und unter keinen Umständen duldet, unabhängig davon, ob die Abmahnung in formaler Hinsicht zu beanstanden sei. Eine kündigungsrechtliche Warnfunktion sei bereits erfüllt, wenn der Arbeitnehmer erkennen konnte, welches Verhalten der Arbeitgeber erwartet und welches Fehlverhalten er als so schwerwiegend ansieht, dass es ihm aus seiner Sicht Anlass zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gibt. 

Praxishinweis

Straftaten im oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis können schnell zu einer – auch außerordentlichen – Kündigung führen. Die Entscheidung des LAG zeigt, dass dies bereits bei einer Beleidigung der Fall sein kann. Insbesondere die Schwere der Beleidigung ist hierbei heranzuziehen. Bei Formalbeleidigungen, die einen erheblich herabwürdigenden Charakter haben, sollten Arbeitgeber deshalb stets überprüfen, ob eine Kündigung – auch ohne vorherige Abmahnung – möglich ist. 
Auffällig an dem Urteil ist ferner, dass nur eine ordentliche Kündigung ausgesprochen wurde. Erkennbar war zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Zwei-Wochen-Frist ab Kenntnis von dem Kündigungsgrund bereits abgelaufen. Dieses Versäumnis ist vermeidbar. Sollte es zu erheblichen Pflichtverletzungen kommen, ist deshalb bei Arbeitgebern Eile geboten, den Sachverhalt aufzuklären, etwaig den Betriebsrat anzuhören und eine Kündigungsentscheidung zu treffen. Ansonsten bleibt nur noch die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung.
 

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