27.04.2023Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht April 2023

„Bestimmtheit” eines Titels bei „ordnungsgemäßer Abrechnung”

LAG Hamm, Urteil vom 8. Februar 2023, 12 Ta 233/22

Um vollstreckungsfähig zu sein, muss ein Titel „bestimmt” sein. Wann das bei einer „ordnungsgemäßen Abrechnung” der Fall ist, beleuchtet das LAG Hamm in einer aktuellen Entscheidung.

Sachverhalt

Die Klägerin war bei der Beklagten als Arbeitnehmerin beschäftigt. Für einen gewissen Zeitraum in den Jahren 2020 und 2021 wurde zwischen der Beklagten und der Klägerin Kurzarbeit vereinbart. Über den für diesen Zeitraum zu zahlenden Lohn bestand Streit zwischen den Parteien.

Das Arbeitsgericht verurteilte die Beklagte auf Zahlung von rückständigem Lohn und „ordnungsgemäße Abrechnung“ der korrigierten Lohnzahlungen. Die „ordnungsgemäße Abrechnung“ stützte das Arbeitsgericht in seiner Entscheidung ausdrücklich auf § 108 GewO.

Die Nachzahlungen erbrachte die Beklagte im Laufe des Rechtsstreits. Eine „ordnungsgemäße Abrechnung“ über die korrigierten Lohnzahlungen erfolgte hingegen nicht.

Mangels „ordnungsgemäßer Abrechnung“ leitete die Klägerin im Mai 2022 das Zwangsvollstreckungsverfahren hinsichtlich der nicht korrigierten Abrechnungen ein.

Die Beklagte wandte sich mit einer sofortigen Beschwerde gegen die gerichtlich festgesetzte Vollstreckungsmaßnahme (hier Zwangsgeld in Höhe von EUR 400).

Die sofortige Beschwerde blieb allerdings erfolglos. Nach Ansicht des LAG Hamm, hatte das Arbeitsgericht das Zwangsgeld zu Recht festgesetzt.

Entscheidungsgründe

Das LAG Hamm führt zur Begründung seiner Entscheidung aus:

Vollstreckungstitel müssten „bestimmt“ sein. Hinreichend bestimmt sei ein Titel, wenn der ausgeurteilte Anspruch konkret bezeichnet sei und eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren ermöglicht werden könne.

Das Vollstreckungsverfahren sei formalisierter als das Erkenntnisverfahren. Das Vollstreckungsverfahren biete daher auch wesentlich weniger Erkenntnismöglichkeiten als das Erkenntnisverfahren. Es könnten weder Zeugen vernommen oder andere Beweise erhoben werden noch finde eine mündliche Verhandlung statt.

Der Inhalt eines Titels müsse daher für sich selbst sprechen und für jeden Dritten verständlich sein. Der Tatbestand und die Entscheidungsgründe könnten zur Auslegung des Titels herangezogen werden.

Die Tenorierung „ordnungsgemäße Abrechnung“ sei im Hinblick darauf und im konkreten Streitfall nicht zu beanstanden.

Zunächst sei zwischen dem allgemeinen Abrechnungsanspruch und dem Abrechnungsanspruch nach § 108 GewO zu unterscheiden.

Der allgemeine Abrechnungsanspruch diene der Bezifferung noch nicht befriedigter Zahlungsansprüche und der Vorbereitung der Durchsetzung dieser Zahlungsansprüche. In Bezug auf diesen allgemeinen Abrechnungsanspruch sei der Titel „ordnungsgemäße Abrechnung“ in der Tat zu unbestimmt.

Der Abrechnungsanspruch nach § 108 GewO diene jedoch dem Zweck, den Arbeitnehmer darüber zu informieren, warum er gerade den ausgezahlten Netto-Betrag erhält. Das Bezugsobjekt liege im Falle des § 108 GewO in der Vergangenheit, nämlich einer bereits erfolgten Zahlung und der abgeführten Steuern und Abgaben. Der Anspruch aus § 108 GewO sei eine reine Wissenserklärung und eben keine Willenserklärung.

Was nun aber Teil der „ordnungsgemäßen Abrechnung“ im Sinne des § 108 GewO ist, ergebe sich aus dem Gesetz, nämlich aus § 108 GewO und der Entgeltbescheinigungsverordnung. Entsprechend können – so das LAG Hamm – fehlende Angaben im zu vollstreckenden Titel nicht zu dessen Unbestimmtheit führen. Eine Abrechnung sei daher „ordnungsgemäß“, wenn sie den Anforderungen an § 108 GewO entspreche.

Hinweise

Das LAG stellt mustergültig den Unterschied zwischen dem allgemeinen Abrechnungsanspruch und dem Abrechnungsanspruch aus § 108 GewO dar.

Der Abrechnungsanspruch aus § 108 GewO ist seiner Natur nach ein reiner Auskunfts- bzw. Informationsanspruch, der den Arbeitnehmer transparent über die Höhe der Lohnzahlung informieren soll und der erst nach der erfolgten Zahlung entsteht (vgl. BAG Urt. v. 12.10.2022 – 10 AZR 496/21). Ohne Zahlung ist der Anspruch aus § 108 GewO in der Regel nicht einklagbar (vgl. BAG, Urt. v. 27.1.2016 – 5 AZR 277/14). Insoweit muss der Abrechnungsanspruch, als unselbstständiger Anspruch, in Verbindung mit dem Zahlungsanspruch geltend gemacht werden. Um nicht Gefahr zu laufen einen unbestimmten Antrag zu stellen, sollte daneben zumindest auch der Abrechnungszeitraum benannt werden.

Demgegenüber handelt es sich bei dem allgemeinen Auskunftsanspruch um einen selbstständigen Anspruch auf Abrechnung zur Vorbereitung eines Zahlungsanspruchs. Damit hat der allgemeine Auskunftsanspruch einen völlig anderen Rechtscharakter als der Anspruch nach § 108 GewO.

Die Frage, ob der Titel über eine „ordnungsgemäße Abrechnung“ vollstreckbar ist oder nicht, hängt also entscheidend damit zusammen, ob der Titel eine Abrechnung nach § 108 GewO oder einen allgemeinen Abrechnungsanspruch in Bezug nimmt. Ob das der Fall ist, ist unter Einbezug der Entscheidungsgründe und des Tatbestandes zu ermitteln, wenn der Titel darüber keine ausdrückliche Auskunft liefert.

Sofern eine Abrechnung entsprechend des allgemeinen Abrechnungsanspruchs gewünscht ist, ist zu Raten diesen Anspruch so bestimmt wie möglich zu fassen. Anderenfalls laufen Vereinbarungen oder gerichtliche Titel Gefahr nicht vollstreckbar zu sein, was zu Verzögerungen und im schlimmsten Fall zum Rechtsverlust führen kann.

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