27.09.2023Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht September 2023

Einstandspflicht des Arbeitgebers für Versorgungsleistungen trotz Verjährung gegenüber dem Versorgungsträger

LAG Niedersachsen Urt. v. 24.4.2023 – 15 Sa 125/22

Sachverhalt

Können Versorgungsberechtigte unter Umständen Zahlungen direkt vom Arbeitgeber verlangen, wenn Ansprüche aus einer Direktversicherung oder einer Pensionskasse bereits verjährt sind? Diese grundlegende Frage hatten die Richterinnen und Richter in Hannover mit ihrem Urteil vom 24. April 2023 zu beantworten. In dem Fall stritten die Parteien um die Zahlung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Der im Jahre 1965 geborene Kläger war ab dem 1. Januar 1990 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der B-Bank AG als Kreditsachbearbeiter beschäftigt. § 3 des zwischen dem Kläger und der B-Bank geschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrags lautet wie folgt: „Betriebliche Altersversorgung. Während der Zugehörigkeit zur B-Bank ist der Mitarbeiter als Ergänzung zu den Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung bei dem B-Verein des D-Bank- und Bankiersgewerbe (AG), B. und W., versichert. Die Beiträge werden von der B-Bank übernommen. Alles Weitere ergibt sich aus der Satzung und den Versicherungsbedingungen.

Mit Schreiben vom 16. und 26. Februar 2001 bot die B-Bank dem Kläger die Umstellung der Altersversorgung von der BVV Pensionskasse auf die BVV Versorgungskasse an. Der Kläger nahm das Angebot nicht an. Das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der B-Bank-AG endete zum 30. Juni 2003. Ab dem 1. Juli 2003 wurde die Versicherung des Klägers bei der B. beitragsfrei geführt. Sie sieht eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente iHv 189,29 EUR vor. Mit Bescheid vom 28. Juni 2002 stufte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte den Kläger ab dem 18. Februar 2002 als teilweise erwerbsgemindert ein. Mit Bescheid vom 2. Januar 2014 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Bund dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Dezember 2012 befristet bis zum 30. November 2015. Seit März 2014 ist der Kläger berufsunfähig und es liegen die Voraussetzungen für die Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente nach der Satzung des BVV vor.

Mit Schreiben vom 17. Januar 2014 erkundigte sich der Kläger bei dem BVV unter Bezugnahme auf den Rentenbescheid nach dem Bestehen von Versorgungsansprüchen. Mit Schreiben vom 5. August 2014 lehnte der BVV die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente ab. Eine im Dezember 2019 erhobene Klage gegen den BVV vor dem Landgericht auf Zahlung einer monatlichen Rente iHv 189,29 EUR ab März 2014 war erfolglos. Der geltend gemachte Anspruch war gem. § 14 I VVG mit dem ablehnenden Schreiben der Beklagten vom 5. August 2014 fällig geworden, so dass die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB bereits Ende 2017 abgelaufen war.

Seinen Anspruch verfolgte der Kläger sodann mit seiner am 4. Juni 2021 beim Arbeitsgericht Hannover eingegangenen Klage. Er trug vor, im Hinblick auf die seit März 2014 bestehende Berufsunfähigkeit sei die Beklagte verpflichtet, ihm die zugesagte Berufsunfähigkeitsrente iHv 189,29 EUR zu zahlen. Die Beklagte hafte als Rechtsnachfolgerin der Arbeitgeberin trotz der Durchführung der betrieblichen Altersversorgung über eine Pensionskasse, da die Ansprüche gegen die BVV nicht durchsetzbar seien.  

Das Arbeitsgericht Hannover hat die Klage abgewiesen (ArbG Hannover Urt. v. 12.1.2022 – 1 Ca 123/21). Gegen das Urteil hat der Kläger Berufung beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingelegt.

Entscheidung

Die Berufung war erfolgreich. Im Ergebnis wurden dem Kläger Versorgungsleistungen vom Arbeitgeber, bzw. dessen Rechtsnachfolger, zugesprochen, obwohl die Pensionskasse selbst die Zahlungen wegen Verjährung erfolgreich ablehnen konnte. Nach Auffassung des Berufungsgerichts habe der Arbeitgeber dem Kläger im Arbeitsvertrag eine Zusage auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung erteilt, die über eine Pensionskasse im Sinn von § 1b Abs. 3 BetrAVG – dem BVV – durchgeführt werden sollte, und nicht lediglich eine reine Beitragszusage gegeben, die nicht dem Recht der betrieblichen Altersversorgung unterfalle. Nach § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG habe der Arbeitgeber für die Erfüllung der von ihm zugesagten Leistungen auch dann einzustehen, wenn die Durchführung der betrieblichen Altersversorgung nicht unmittelbar über ihn erfolgt.

Eine teleologische Reduktion der Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG sei nicht geboten. Es fehle bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Sinn und Zweck der Einstandspflicht des Arbeitgebers sei es, die Ansprüche des Arbeitnehmers auf betriebliche Altersversorgung besonders zu schützen. Aus diesem Grund stehe ihm der Anspruch gegen den Arbeitgeber neben dem gegen den externen Versorgungsträger zu. Dieser unterliege der langen 30-jährigen Verjährungsfrist des § 18a BetrAVG. Die Vorschrift liefe leer, wenn der Anspruch über die Einschränkung des § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG der kurzen Verjährung des § 14 VVG jedenfalls mittelbar unterworfen wäre. Zudem habe der externe Versorgungsträger die Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente im Jahre 2014 unstreitig zu Unrecht verweigert.

Ansprüche des Klägers gegen den Arbeitgeber seien auch nicht verjährt, so die Richterinnen und Richter in Hannover weiter. Die Verjährung richte sich gemäß § 18a S. 2 BetrAVG nach der regelmäßigen Verjährungsfrist des BGB, also drei Jahre gemäß § 195 BGB. Der Beginn der Verjährungsfrist richte sich nach § 199 Abs. 1 BGB. Danach könne die Verjährungsfrist nicht vor dem 31. Dezember 2018 begonnen haben, da der Kläger bis zum Ablauf des 31. Dezember 2017 (Eintritt der Verjährung gegenüber dem Versorgungsträger) gehindert war, seine Versorgungsansprüche gegenüber der Beklagten geltend zu machen, da der Arbeitgeber lediglich subsidiär, also nachrangig nach dem primär haftenden Versorgungsträger und nicht etwa als Gesamtschuldner hafte. Eine gesamtschuldnerische Haftung des Versorgungsträgers und des Arbeitgebers ergebe sich weder aus einer vertraglichen Abrede, noch aus § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG, noch aus allgemeinen Grundsätzen.

Insofern sei die Rechtslage anders als im Fall einer Versorgung über eine Unterstützungskasse nach § 1b Abs. 4 BetrAVG, wo nach der Rechtsprechung des BAG zwischen dem Arbeitgeber und der Unterstützungskasse eine Gesamtschuld bestehe. Dies sei vor dem Hintergrund zu sehen, dass Unterstützungskassen nach § 1b Abs. 4 Satz 1 BetrAVG rechtsfähige Versorgungseinrichtungen seien, die – anders als bei anderen mittelbaren Durchführungswegen – auf ihre Leistungen keinen Rechtsanspruch gewährten.

Hinweise für die Praxis

Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Revision (Az. 3 AZR 164/23) ist beim Bundesarbeitsgericht (BAG) anhängig. Nach Auskunft des BAG ist die mündliche Verhandlung auf den 7. Mai 2024 bestimmt. Vor dem Hintergrund, dass insbesondere Fälle der Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit anfällig für Auseinandersetzungen mit externen Versorgungsträgern sind und Voraussetzungen nicht immer klar geregelt sind, bleibt mit Spannung abzuwarten, ob die Richterinnen und Richter in Erfurt eine Korrektur der Entscheidung vornehmen werden. Bereits jetzt ist jedoch klar, dass derartige Sachverhalte möglichst vor Ablauf der dreijährigen versicherungsrechtlichen Verjährungsfrist durch den Arbeitgeber geklärt werden sollten. Arbeitgeber sollten Versorgungsberechtigte zur Mitwirkung und Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber dem externen Versorgungsträger anhalten und ggf. auch dabei unterstützen.

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