30.06.2020Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Juni 2020

Außerordentliche Kündigung eines Schwerbehinderten durch den Arbeitgeber

BAG, Urteil vom 27. Februar 2020, 2 AZR 390/19

Der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer kann in der Regel noch binnen einer Woche nach Erhalt der Zustimmung des Integrationsamts erfolgen. 

Arbeitgeber können einem schwerbehinderten Arbeitnehmer auch nach Ablauf der für die außerordentliche Kündigung geltenden 2-Wochen-Frist außerordentlich und fristlos kündigen, wenn der Ausspruch der Kündigung unverzüglich, d. h. „ohne schuldhaftes Zögern“ nach Erhalt der Zustimmung des Integrationsamt erfolgt. Nach einer Zeitspanne von mehr als einer Woche ist – ohne Vorliegen besonderer Umstände – grundsätzlich nicht mehr von einer Unverzüglichkeit auszugehen. Die Frage der Rechtzeitigkeit der Antragsstellung beim Integrationsamt ist allein vom Integrationsamt bzw. im Falle der Anfechtung von den Verwaltungsgerichten, nicht jedoch von den Arbeitsgerichten zu prüfen, sofern die Zustimmung zur Kündigung nicht nichtig ist bzw. rechtskräftig aufgehoben wurde. 

SACHVERHALT

Die Arbeitgeberin, die eine Oberschule betreibt, kündigte einer seit 1998 bei ihr als Lehrerin beschäftigten Arbeitnehmerin mit Schreiben vom 16. März 2016 außerordentlich und fristlos. Sie warf der Arbeitnehmerin vor, während einer am 29. Februar 2016 durgeführten Klassenarbeit nur einzelnen Schülern Hilfeleistungen gegeben zu haben. Die Arbeitnehmerin informierte die Arbeitgeberin dann mit Schreiben vom 28. März 2016 über ihren (vor Erhalt der Kündigung) gestellten Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung. Daraufhin beantragte die Arbeitgeberin am 8. April 2016 die Zustimmung des Integrationsamts zu einer weiteren außerordentlichen Kündigung. Mit Bescheid vom 20. April 2016, welcher der Arbeitgeberin am 22. April 2016 zugestellt wurde, erteilte das Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung. Die Arbeitgeberin kündigte mit Schreiben vom 26. April 2016, der Arbeitnehmerin am 28. April 2016 zugegangen, das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich und fristlos. Die Arbeitnehmerin griff sowohl die Kündigung vom 16. März 2016, als auch die Kündigung vom 26. April 2016 im Wege der Kündigungsschutzklage an. 

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Auch das Landesarbeitsgericht wies die Berufung der Arbeitgeberin zurück. Beide Gerichte waren der Auffassung, dass der Ausspruch der Kündigung nach Erhalt der Zustimmung des Integrationsamt nicht binnen der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgt sei.

ENTSCHEIDUNG

Die Revision der Arbeitgeberin hatte Erfolg. Das BAG ist der Ansicht, dass eine außerordentliche Kündigung auch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB noch wirksam ausgesprochen werden kann, sofern der Ausspruch der Kündigung unverzüglich nach Erhalt der Zustimmung bzw. nach Ablauf der Frist des § 174 Abs. 3 S. 2 SGB IX erfolgt und ein wichtiger Grund vorliegt. 

Die Zustellung der (zweiten) Kündigung sechs Tage nach Erhalt der Zustimmung vom Integrationsamt könne durchaus noch als „unverzüglich“ angesehen werden. Erst nach einer Zeitspanne von mehr als einer Woche nach Erhalt der Zustimmung des Integrationsamts sei ohne Vorliegen besonderer Umstände grundsätzlich keine Unverzüglichkeit mehr gegeben. Entsprechendes sei der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 BGB zu entnehmen, wonach unverzüglich auch in Sachen des § 174 Abs. 5 SGB IX „ohne schuldhaftes Zögern“ bedeute. Unverzüglich heiße daher weder „sofort“, noch sei hiermit eine starre Zeitvorgabe verbunden. Maßgeblich sei eine verständige Abwägung der beiderseitigen Interessen. In der Regel sei daher erst nach mehr als einer Woche seit Erhalt der Zustimmung des Integrationsamts davon auszugehen, dass keine Unverzüglichkeit mehr gegeben ist.  

Im Übrigen bestimme sich die Frist zur Stellung des Zustimmungsantrags beim Integrationsamt nach § 174 Abs. 2 SGB IX und sei der Prüfung durch die Arbeitsgerichte entzogen. Eine einmal erteilte Zustimmung des Integrationsamts sei – sofern nicht nichtig bzw. rechtskräftig aufgehoben – für die Arbeitsgerichtsbarkeit verbindlich und folglich von ihr nicht zu überprüfen. Gemäß § 174 Abs. 2 SGB IX kann der Arbeitgeber den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung nur binnen zwei Wochen, seitdem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat, stellen. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist in dieser Zeit gehemmt. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass der Antrag des Arbeitgebers beim Integrationsamt verfristet war, ist die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gehemmt, da die Arbeitsgerichte lediglich überprüfen dürfen, ob die außerordentliche und fristlose Kündigung unverzüglich nach Erhalt der Zustimmung des Integrationsamts ausgesprochen wurde. 

PRAXISTIPP

Vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung muss der Arbeitgeber binnen zwei Wochen seitdem er Kenntnis von der Pflichtverletzung des schwerbehinderten Arbeitnehmers hat, einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung beim zuständigen Integrationsamt stellen. Ob diese Frist vom Arbeitgeber eingehalten wurde, darf nur das Integrationsamt selbst prüfen. Der § 626 Abs. 2 BGB ist gehemmt, bis die Zustimmung des Integrationsamt erteilt wurde. 

Nach Erhalt der Zustimmung des Integrationsamts müssen Arbeitgeber dann darauf achten, dass die gegenüber dem schwerbehinderten Arbeitnehmer auszusprechende außerordentliche Kündigung zügig, d. h. spätestens binnen einer Woche, diesem (nachweislich, d. h. per Boten) zugeht. Tückisch ist in diesem Zusammenhang, dass bereits die mündliche Zustimmung des Integrationsamt die Frist in Gang setzt und ein Abwarten auf den Eingang der schriftlichen Entscheidung vom BAG als schuldhaftes Zögern gewertet wird (BAG 21.04.2005, 2 AZR 255/04). Allein ein solches Abwarten des Arbeitgebers könnte also zur Unwirksamkeit der (ansonsten begründeten) Kündigung führen. 

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