16.04.2015Fachbeitrag

zuerst erschienen im Handelsblatt Rechtsboard am 16.04.2015

Weitergabe vertraulicher Unterlagen durch Betriebsratsmitglied – (k)ein fristloser Kündigungsgrund?!

Das Betriebsratsgremium und seine Mitglieder sind stets bestrebt, möglichst viele Informationen zu sammeln, um das strukturelle Informationsdefizit gegenüber dem Arbeitgeber abzubauen und damit Handlungs- und Verhandlungsmöglichkeiten für die Arbeitnehmervertretung zu verbessern. Nicht selten sind die Betriebsratsmitglieder, gerade wenn der Arbeitgeber mit Informationen knausert, in der Versuchung, sich Informationen im Wege der Selbsthilfe anzueignen.

Betriebsratsmitglieder, die im Rahmen ihrer normalen Arbeitstätigkeit Zugriff auf (vertrauliche) Unterlagen haben, eignen sich diese an und geben die Informationen und Unterlagen an die Kollegen im Betriebsratsgremium, andere Betriebsratsgremien oder Externe (Rechtsanwälte, Gewerkschaftsvertreter etc.) weiter. Das ist in vielerlei Hinsicht rechtlich bedenklich und für das handelnde Betriebsratsmitglied ein schmaler Grat, auf dem jederzeit das Abrutschen in die fristlose Kündigung oder gar Strafbarkeit droht.

Zugriff eines Betriebsrats auf Anwaltsrechnungen des Arbeitgebers

Das LAG Schleswig-Holstein (3 Sa 400/14, siehe PM vom 13.04.2015) hat am 4. März 2015 einen solchen Fall zu entscheiden gehabt. Ein Mitarbeiter eines Kleinunternehmens hatte in seiner Rolle als Manager Direktmarketing seit 2012 volle SAP-Zugriffsrechte. Im Jahr 2013 wurde er als Einzelbetriebsrat gewählt. Sein Arbeitgeber gehört zu einer Versandhandelsgruppe mit mehreren Unternehmen und Betriebsräten in Deutschland. Der Arbeitgeber verwies den frisch gewählten Betriebsrat an das Betriebsratsgremium eines Schwesterunternehmens, um dort betriebsverfassungsrechtliche Fragen zu klären.

Im Zusammenhang mit seiner normalen Arbeitstätigkeit stieß der Einzelbetriebsrat „zufällig“, also ohne Zusammenhang mit seinem dienstlichen Auftrag, im SAP-System auf die Rechnungen sowie Tätigkeitsnachweise (sog. Timesheets) der vom Arbeitgeber beauftragten Rechtsanwaltskanzlei. Weder die Rechnungen noch die Timesheets waren in SAP als vertraulich vermerkt. Der Einzelbetriebsrat druckte die Rechnungen und Timesheets aus und zeigte sie einem Betriebsratsmitglied des Schwesterunternehmens. Auf dessen Hinweis, dass der Besitz der Unterlagen kritisch sei, schredderte der Arbeitnehmer die Unterlagen und ließ sodann seine SAP-Zugriffsrechte einschränken. Nach Bekanntwerden des Vorfalls sprach der Arbeitgeber die außerordentliche und fristlose Kündigung gegenüber dem Einzelbetriebsrat aus.

Das Urteil des LAG Schleswig-Holstein

Das LAG Schleswig-Holstein hat laut der veröffentlichten Pressemitteilung (die vollständige Urteilsbegründung steht noch aus) die fristlose Kündigung des Arbeitgebers für unberechtigt erachtet, da

  • die Rechnungen und Timesheets keine Geschäftsgeheimnisse seien,
  • ein Vertraulichkeitsvermerk (in SAP) gefehlt habe,
  • der Betriebsrat des Schwesterunternehmens kein Dritter sei und
  • der Kläger auf den kritischen Hinweis des Betriebsratskollegen mit Besserung (Schreddern der
  • Unterlagen und Einschränkung der Zugriffsrechte) reagiert habe.

Insgesamt sei daher das Verhalten des Einzelbetriebsrates „nur“ mit einer Abmahnung zu sanktionieren gewesen.

Betriebsrat nicht zu Systemzugriff berechtigt

Begrüßenswert ist an der Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein einzig, dass es unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass das Verhalten des Einzelbetriebsrats einen Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten dargestellt und deswegen eine Abmahnung berechtigt sei. Betriebsratsmitglieder sind nicht dazu berechtigt, auf eigene Faust im Unternehmen zu ermitteln und sich eigenmächtig – durch Systemzugriff – nicht für sie bestimmte Unterlagen zu beschaffen. Der Betriebsrat hat sich Informationen gemäß § 80 BetrVG ausschließlich über den Arbeitgeber geben zu lassen.

Anwaltsrechnung kein Geschäftsgeheimnis

Zutreffend ist sicherlich auch die Wertung, dass die Rechnungen und Timesheets der Anwaltssozietät keine Geschäftsgeheimnisse des diese Sozietät mandatierenden Unternehmens waren.

Anwaltsrechnungen und Tätigkeitsnachweise sind vertraulich!

Völlig fehl geht das LAG Schleswig-Holstein jedoch, wenn es bei Rechnungen und Tätigkeitsnachweisen einer Anwaltssozietät einen Vertraulichkeitsvermerk im SAP-System verlangt und überdies auch noch Unternehmensexterne nicht als Dritte betrachten will.

Es gibt wenige Rechtsverhältnisse, die weltweit zu Recht so großen Schutz genießen wie die Korrespondenz zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Es muss nicht besonders vermerkt sein, dass der Einblick in Anwaltsschreiben und anwaltliche Darstellungen der Vertraulichkeit unterliegen. Der Bruch dieser Vertraulichkeit ist sogar strafrechtlich bewehrt. Anwälten ist es – bis zur Strafbarkeit hin (Mandantenverrat!) – verwehrt, auch nur die Existenz des Mandates Dritten mitzuteilen. Noch viel schwerer ist hier zu werten, dass sämtliche Tätigkeitsnachweise eingesehen wurden – also die detaillierten Aufzeichnungen des Anwaltes dazu, an welchem Tag er sich in Bezug auf welche Angelegenheit/Person mit welcher Rechtsfrage beschäftigt hat. Es bedarf keines Vertraulichkeitsvermerks in SAP, um die Vertraulichkeit dieser Unterlagen zu belegen. Der Einzelbetriebsrat musste wissen und war sich sicherlich im Klaren darüber, dass all diese Informationen nicht für seine Augen bestimmt waren und der Arbeitgeber ihm niemals den Ausdruck und die Weitergabe dieser Unterlagen genehmigt hätte – weshalb er ja zur Selbsthilfe griff.

Betriebsratsmitglieder anderer Unternehmen sind Dritte

(Datenschutz-)Rechtlich völlig fehl geleitet ist die Behauptung des LAG Schleswig-Holstein, das Betriebsratsmitglied eines anderen Unternehmens – wenn auch derselben Unternehmensgruppe – sei kein Dritter im Sinne von BDSG und § 79 BetrVG. Das ist schlicht Unsinn. Auch der Umstand, dass der Einzelbetriebsrat sich an das andere Gremium hilfe- und ratsuchend wenden sollte, ändert daran nichts. Bekanntermaßen gibt es kein datenschutzrechtliches Konzernprivileg für die Arbeitgeber – oder Betriebsratsseite.

Fazit

Im Ergebnis kann der Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein dennoch zugestimmt werden. Die Reaktion des Einzelbetriebsrats auf die kritischen Hinweise des anderen Betriebsratsmitgliedes kann als deutlicher Beleg dazu dienen, dass eine Wiederholungsgefahr nicht zu drohen scheint. Dann wäre die Abmahnung in der Tat die richtige arbeitsrechtliche Sanktion – und nicht die außerordentliche und fristlose Kündigung.

Betriebsratsmitglieder sollten sich des Umstandes bewusst sein, dass das Betriebsverfassungsgesetz sie dazu verpflichtet, den Arbeitgeber um Informationen zu bitten bzw. diese gerichtlich einzufordern. Selbsthilfe kann schnell zum Bumerang werden und eine Abmahnung, gegebenenfalls auch eine fristlose Kündigung herbeiführen.

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