29.09.2022Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht September 2022

Arbeitgeber sind gesetzlich zur Einführung eines (elektronischen) Arbeitszeiterfassungssystems verpflichtet

Bundesarbeitsgericht (BAG), Beschluss vom 13. September 2022 (1 ABR 22/21)

In seinem Beschluss vom 13. September 2022 (1 ABR 22/21) stellt sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) auf den Standpunkt, dass Arbeitgeber in Deutschland gesetzlich dazu verpflichtet sind, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. 

Sachverhalt

Der antragstellende Betriebsrat und die Arbeitgeberinnen, die eine vollstationäre Wohneinrichtung als gemeinsamen Betrieb unterhalten, verhandelten im Jahr 2018 eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. Zeitgleich verhandelten sie auch über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Nachdem die Betriebsparteien sich über Letztere nicht einigen konnten, setzte das Arbeitsgericht eine Einigungsstelle zum Thema „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung“ ein. Die Arbeitgeberinnen rügten deren Zuständigkeit. Hierauf leitete der Betriebsrat ein arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren ein und wollte festgestellt wissen, dass ihm ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zusteht.

Verfahrensgang und Einordnung

Das Arbeitsgericht Minden wies den Antrag mit Beschluss vom 15. September 2020 (Az. 2 BV 8/20) ab. Hierbei setzte es sich auch mit der sog. „Stechuhr-Entscheidung“ des EuGH vom 14. Mai 2019 (Az. C-55/18 - [CCOO])  auseinander. Zwar seien hiernach die Mitgliedstaaten angehalten, die in ihren Hoheitsgebieten ansässigen Arbeitgeber zu verpflichten, „ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“. Solange der nationale Gesetzgeber allerdings keine explizite Verpflichtung zur elektronischen Arbeitszeitmessung statuiere, könnten sich Arbeitgeber in mitbestimmten Betrieben auch bei gänzlichem Verzicht auf den Einsatz von "technischen Einrichtungen" i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zur Messung der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer rechtskonform im Einklang mit den Anforderungen des EuGH verhalten. Auf die vom Betriebsrat eingelegte Beschwerde hob das Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) den Beschluss auf und stellte wie beantragt das Bestehen eines Initiativrechts zur elektronischen Arbeitszeiterfassung fest (Beschluss vom 27. Juli 2021, Az. 7 TaBV 79/20). Hierbei argumentierte es schwerpunktmäßig mit dem im Gesetzgebungsverfahren dokumentierten Willen des Gesetzgebers, wonach in Fällen der zwingenden Mitbestimmung nach § 87 BetrVG grundsätzlich nicht zwischen Mitbestimmungsrechten mit und ohne Initiativrecht zu unterscheiden sei. Auf europarechtliche Vorgaben, konkretisiert durch die „Stechuhr-Entscheidung“ komme es - so die ausdrückliche Feststellung des LAG - demgegenüber nicht an.

Entscheidung des BAG

Das BAG sieht dies in zweifacher Hinsicht anders. Es argumentiert, der Betriebsrat könne die Einführung eines Systems zur (elektronischen) Arbeitszeiterfassung nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen, weil ohnehin eine solche gesetzliche Verpflichtung bestehe. Diese Verpflichtung leitet das BAG aus einer unionsrechtskonformen Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ab. 

Praxishinweis

Obgleich die Entscheidung des BAG im betriebsverfassungsrechtlichen Kontext ergangen ist, könnte sie - unabhängig des Bestehen eines Betriebsrats - weitreichende Folgen für sämtliche Arbeitgeber in Deutschland haben. Nachdem der Gesetzgeber zwar zwischenzeitlich einen Referentenentwurf zur Umsetzung der Vorgaben des EuGH vorgelegt , diesen jedoch nicht verabschiedet hat, scheint das BAG ihm nunmehr zuvor gekommen zu sein. Abzuwarten bleibt, ob sich aus den Entscheidungsgründen der bislang nur als Pressemitteilung vorliegenden Entscheidung weitergehende Hinweise entnehmen lassen, welche Anforderungen an ein solches Arbeitszeiterfassungssystem zu stellen sind. In jedem Fall ist damit zu rechnen, dass die politische Diskussion nunmehr zulegen und der Gesetzgeber alsbald entsprechend reagieren wird. 
 

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