15.06.2023Fachbeitrag

Update Dispute Resolution 4/2023

Bundesgerichtshof verneint die Pflicht zur Zahlung von "Negativzinsen" aus einem Schuldscheindarlehen

BGH, Urteil vom 9. Mai 2023, Az. XI ZR 544/21

Der für Bank- und Kapitalmarktrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 9. Mai 2023 entschieden, dass aus einer Zinsgleitklausel keine Zahlung von „Negativzinsen“ verlangt werden könne, auch wenn diese keine ausdrückliche Untergrenze enthalte.

I. Der Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Zahlungspflicht von „Negativzinsen“ aus einem Schuldscheinanleihen. Die Rechtsvorgängerin der beklagten Bank hatte dem klagenden Land NRW im Jahr 2007 ein Schuldscheindarlehen gewährt. Der Vertragsschluss kam unter Mitwirkung einer weiteren Bank als Arrangeur zustande, die die Schuldscheindarlehen, die das klagende Land aufzunehmen beabsichtigte, anhand einer mit dem Land abgestimmten Schuldscheindokumentation vermittelte. Die Bedingungen wurden im Wesentlichen vom Land vorgegeben. Nach Überweisung der Darlehenssumme stellte das Land NRW der Bank einen Schuldschein über EUR 100 Mio. aus. Das Darlehen wurde später in jeweils EUR 20 Mio. aufgetrennt. Das Schuldscheindarlehen enthielt folgende Zinsgleitklausel:

„Das Darlehen ist […] wie folgt jährlich zu verzinsen:
Nominalzins 3-Monats-EURIBOR + 0,1175% p.a. Höchstsatz 5,00% […]“

Eine Zinsuntergrenze (Floor) vereinbarten die Parteien nicht. Am 21. April 2015 wurde der 3-Monats-EURIBOR erstmals negativ. Ab dem 8. März 2016 ergab sich unter Berücksichtigung des Zinsaufschlags rechnerisch ein negativer Zinssatz, der bis zum Laufzeitende am 8. März 2017 den eingeklagten Betrag von EUR 158.159,75 ergab. Diesen Betrag verlangte das Land NRW von der Bank und klagte vor dem Landgericht Düsseldorf. Dieses gab der Klage statt (Az. 13 O 322/18). In der Berufung vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf wurde das Urteil hingegen aufgehoben und die Klage abgewiesen (Az. 14 U 78/20).

II. Die Entscheidung des BGH: Zins kann nicht negativ werden

In der nun verkündeten Entscheidung hat der BGH die Revision gegen das OLG-Urteil zurückgewiesen und einen Anspruch auf Zahlung von „Negativzinsen“ abgelehnt. Der Senat meint, es bedürfe keiner ausdrücklichen Festlegung einer Zinsuntergrenze, um bei einem Absinken des Referenzzinssatzes einschließlich des Zinsaufschlags unter null eine Verpflichtung des Darlehensgebers zur Zahlung auszuschließen oder zu begrenzen.

In seiner Entscheidung nähert sich der BGH der Frage der Zahlungspflicht mit grundsätzlichen Erwägungen dazu, was „Zins“ im Sinne des Gesetzes überhaupt bedeutet. Dieser Begriff ist im Gesetz nicht definiert, sondern wird von der Privatrechtsordnung vorausgesetzt. Nach dem BGH ist der Zins im Rechtssinne das für die Möglichkeit des Gebrauchs von zeitweilig überlassenem Kapital zu leistende Entgelt, das zeitabhängig, aber zugleich gewinn- und umsatzunabhängig berechnet werde. Nach dieser Definition könne ein Zins – weil ein Entgelt – nicht negativ werden. Im normativen Zusammenhang der Darlehensvorschrift § 488 Abs. 1 BGB bedeute dies, dass dem Zins eine definitorische Untergrenze bei 0% immanent sei, bei deren Erreichen die Pflicht des Darlehensnehmers zur Zinszahlung entfalle. Damit lasse sich eine Umkehrung des Zahlungsstroms von dem Darlehensgeber an den Darlehensnehmer nicht vereinbaren.

Bei dem streitgegenständlichen Vertrag habe es sich um einen gesetzestypischen Darlehensvertrag mit Zinsabrede gehandelt, wobei in der Kombination von variablen Zinssatz einerseits sowie der Zinsobergrenze andererseits lediglich eine Regelung über die Höhe des Zinses im Rechtssinne liege, den der Darlehensnehmer nach § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB als Gegenleistung für die Überlassung der Darlehensvaluta an den Darlehensgeber zu zahlen habe. Aus der Ausstellung von Schuldscheinen könne nicht auf den Parteiwillen geschlossen werden, ein von dem gesetzlichen Leitbild des § 488 Abs. 1 BGB abweichendes Pflichtenprogramm zu vereinbaren. Der äußeren Form der Vertragsgestaltung könne keine größere Bedeutung beigemessen werden als ihr nach dem Vertragsinhalt zukomme.

Auf das Argument der fehlenden Zinsuntergrenze führt der Senat aus, dass das Fehlen der ausdrücklichen Vereinbarung den Hintergrund habe, dass die Parteien bei Vertragsschluss entweder davon ausgegangen seien, dass der variable Zins nach der von ihnen vereinbarten Zinsformel aufgrund der zu erwartenden Marktentwicklung nicht negativ werden könne, oder dass sie aufgrund des Leitbilds und der vertragstypischen Pflichten eines Darlehensvertrages angenommen hätten, dass ohnehin nur den Darlehensnehmer, nicht aber den Darlehensgeber eine Zinszahlungspflicht treffen könne.

III. Fazit und Ausblick

Seit die EZB im Juli 2022 infolge der Inflation die Zinswende eingeläutet hat, scheint das Thema „Negativzinsen“ an Brisanz verloren zu haben. Dennoch ist die Entscheidung des BGH zur Zahlungspflicht von „Negativzinsen“ bei Schuldscheindarlehen ohne vereinbarter Zinsuntergrenze von erheblicher Bedeutung, denn die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung war diesbezüglich uneinheitlich. Während das OLG Düsseldorf eine Zahlungspflicht von „Negativzinsen“ verneint, hatte das OLG Hamburg in einem vergleichbaren Fall das Gegenteil angenommen (Urt. v. 11.05.2022 – 13 U 1/21). Mit der Entscheidung des BGH ist diese Frage nun rechtlich geklärt. Die Begründung des BGH ist durchaus nachvollziehbar und seine Auslegung dürfte dem allgemeinen Verständnis des Begriffs „Zins“ entsprechen. Auch wenn der BGH grundsätzlich klarstellt, dass ein Zins im Sinne des BGB-Darlehensvertrags nicht negativ werden könne, sollte dennoch in Neuverträgen eine Zinsuntergrenze vertraglich geregelt werden, denn der Auslegung des BGH lag das Verständnis der Parteien zugrunde, als „Negativzinsen“ noch nicht vorstellbar waren; dies dürfte heute anders sein.
Wie sich die Entscheidung des BGH auf die Frage der Zulässigkeit bzw. AGB-rechtliche Überprüfbarkeit von Verwahrentgeltklauseln auswirkt, bleibt abzuwarten. Hierzu liegt bislang (soweit bekannt) noch keine höchstrichterliche Entscheidung vor. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass die grundsätzlichen Erwägungen aus der neuen BGH-Entscheidung auch in diesem rechtlichen Zusammenhang zum Tragen kommen.

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