07.02.2023Fachbeitrag

Update Dispute Resolution 1/2023

Einrichtung weiterer Commercial Courts – Stärkt das die Wettbewerbsfähigkeit des Gerichtsstandorts Deutschland?

Mit dem im Januar 2023 veröffentlichten Eckpunktepapier zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten und zur Einführung von Commercial Courts („Eckpunktepapier“ – Der Originaltext des Eckpunktepapiers ist hier abrufbar.), will das Bundesministerium der Justiz seinem Ziel, den Gerichtsstandort Deutschland zu stärken, näherkommen. Deutsche Gerichte sollen im Wettbewerb mit internationalen Handelsgerichten und Schiedsgerichten sichtbarer und attraktiver werden.

Der eingeschränkten Rechtsfortbildung im Bereich des Wirtschaftsrechts infolge einer Verlagerung von Rechtsstreitigkeiten ins Ausland oder einer Austragung vor Schiedsgerichten, soll mit der geplanten Reform entgegengewirkt werden. Auf dieses Eckpunktepapier soll bald ein Referentenentwurf folgen.

Die Existenz solcher spezialisierten Senate für Wirtschaftsstreitigkeiten an Oberlandesgerichten, sogenannter Commercial Courts, ist dabei bekanntlich nicht neu. Nachdem in Frankfurt a. M. und Hamburg im Jahr 2018 bereits Kammern für internationale Handelssachen eingerichtet worden waren, führte Baden-Württemberg Commercial Courts in Stuttgart und Mannheim im Jahr 2020 ein. Eine Anzahl von ca. 200 Verfahren jährlich zeugt von einer zwischenzeitlichen Akzeptanz der Commercial Courts in Baden-Württemberg bei den Rechtssuchenden.

Ausweislich des Eckpunktepapiers soll nun die Möglichkeit geschaffen werden, solche Commercial Courts an Oberlandesgerichten deutschlandweit einzurichten.

I. Die derzeitige Rechtslage

Kennzeichnend für die Commercial Courts in Stuttgart und Mannheim ist bisher die Möglichkeit, eine Verhandlung in englischer Sprache zu führen. Hierfür wird § 185 Abs. 2 GVG weit ausgelegt. Auch Beweismittel können dabei auf Englisch vorgelegt werden, wodurch die Parteien unter Umständen erhebliche Übersetzungs- und Beglaubigungskosten einsparen und auch die Verfahrensdauer beschleunigt werden kann.

Der bisherigen Kritik dahingehend, dass Schriftsätze und gerichtliche Entscheidungen unter Berufung auf § 184 S. 1 GVG weiterhin ausschließlich auf Deutsch zu verfassen sind, versucht das Eckpunktepapier nunmehr mit der Möglichkeit, gänzlich auf Englisch durchgeführter Verfahren, zu begegnen.

Weiterhin haben Verhandlungen, unter Wahrung des Öffentlichkeitsgrundsatzes gemäß § 169 GVG, öffentlich stattzufinden und Gerichtsentscheidung sind grundsätzlich öffentlich zu verkünden. Nur im Ausnahmefall (bspw. zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen) kann die Öffentlichkeit von einer Teilnahme an den Verhandlungen und der Verkündung einer Entscheidung ausgeschlossen wird. Dies unterscheidet Verfahren vor staatlichen Gerichten maßgeblich von einem in der Regel nichtöffentlichen Schiedsverfahren.

II. Die einzelnen Neuerungen im Eckpunktepapier

1. Durchführung der Verfahren vollständig in englischer Sprache

Das Eckpunktepapier sieht vor, dass Verfahren vor Landgerichten, den Commercial Courts an Oberlandesgerichten und unter bestimmten Bedingungen vor dem Bundesgerichtshof in englischer Sprache geführt werden können, wenn die Parteien sich hierüber einig sind und ein sachlicher Grund besteht. Bislang wird dieser sachliche Grund jedoch nicht näher definiert. Denkbar wäre, dass die ausländische Muttersprache zumindest einer der Parteien zukünftig als sachlicher Grund gelten könnte. Vorteilhaft sind diese Bestrebungen insbesondere in Fällen, in denen ein wesentlicher streitgegenständlicher Vertragstext auf Englisch ist und sich die Beteiligten in den Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung dann stets auf den Originalwortlaut des Vertrages beziehen können.

Anders als bisher, wird es dann möglich sein, die Schriftsätze auf Englisch einzureichen. Auch Entscheidungen sollen zukünftig auf Englisch verfasst werden können. In den weiteren Instanzen wird sich das Verfahren auf Englisch fortsetzen lassen können. Vor dem BGH wird hierfür allerdings das Einvernehmen des zuständigen Senats erforderlich sein.

Aus der Schiedsgerichtsbarkeit übernommen ist ferner die Möglichkeit der Erstellung eines Wortprotokolls, welches die Parteien bereits in der Verhandlung mitlesen können sollen.

2. „Commercial Courts“ bei den Oberlandesgerichten

Den Parteien soll es bei höheren Streitwerten ermöglicht werden, sog. Commercial Courts bei den Oberlandesgerichten erstinstanzlich anzurufen. Als Streitwertuntergrenze nennt das Eckpunktepapier dabei beispielhaft 1 Million Euro. Ferner erhalten die Länder die Möglichkeit, diese spezialisierten Senate auch für Berufungen und Beschwerden gegen Entscheidungen der Landgerichte einzurichten.

Hinsichtlich der Einrichtung und Besetzung der Senate sieht das Eckpunktepapier eine „moderne technische Ausstattung“ sowie die Besetzung mit spezialisierten und über gute Sprachkenntnisse verfügende Richter vor. Ob diese Maßstäbe auch für die Verfahren in englischer Sprache vor den Landgerichten angelegt werden sollen, bleibt abzuwarten.

Zu beachten ist weiterhin, dass die Kosten bei einem Verfahren vor dem Commercial Court denjenigen bei sonstigen Verfahren vor den Oberlandesgerichten entsprechen sollen. Auch bezüglich der Deckelung der Gerichtsgebühren bei einem Höchststreitwert von 30 Millionen Euro sieht das Eckpunktepapier keine Änderung vor. Die Anrufung von Commercial Courts soll für die Beteiligten somit nicht mit finanziellen Nachteilen verbunden sein.

Gegen eine Entscheidung des Commercial Courts ist die Revision zum Bundesgerichtshof möglich und damit ist, im Unterschied zu Entscheidungen der Schiedsgerichte, der Instanzenzug auch grundsätzlich eröffnet. Dies mag in einzelnen Fällen für die Parteien ein Vorteil gegenüber den Schiedsgerichten darstellen.

Ferner verweist das Eckpunktepapier auf den Referentenentwurf zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeit (Siehe hierzu unseren Fachbeitrag: Ein Gesetz zur Förderung von Videoverhandlungen – Ein Weg zur Beschleunigung von Verfahren und Entlastung der Gerichte?). Es ist daher zu erwarten, dass Videoverhandlungen auch an den neu eingerichteten Commercial Courts ermöglicht werden.

3. Wahrung von Geschäftsgeheimnissen und Veröffentlichung von Entscheidungen

Losgelöst von der primären Zielsetzung des Eckpunktepapiers, sollen Geschäftsgeheimnisse nunmehr umfassend im gesamten Zivilprozess geschützt werden. Geplant ist, die Verfahrensregelungen des Geschäftsgeheimnisschutzgesetzes (§§ 15 ff. GeschGehG) auf den gesamten Zivilprozess zu übertragen. Insbesondere soll der Schutz von Geschäftsgeheimnissen über die Verhandlung hinaus auf den Zeitpunkt der Klageerhebung vorverlagert werden. Die als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Informationen sollen außerhalb des gerichtlichen Verfahrens nicht genutzt oder offengelegt werden dürfen. Entscheidungen der Landgerichte, der Commercial Courts und des Bundesgerichtshofs sollen in die deutsche Sprache übersetzt und anschließend veröffentlicht werden.

III. Fazit und Ausblick

Die Bestrebungen des Bundesministeriums der Justiz, Commercial Courts an den Oberlandesgerichten einzuführen und Verfahren über mehrere Instanzen auf Englisch zu ermöglichen, sind im Ergebnis zu begrüßen und dürften zur Stärkung des Gerichtsstandorts Deutschland im internationalen Wettbewerb führen.

Die Vermeidung von zeitaufwendigen und kostenintensiven Übersetzungen und Beglaubigungen sowie einer besseren Beteiligung und Nachvollziehbarkeit des Verfahrens für englischsprachige Parteien wird jedenfalls mittelfristig zur Effizienz und Attraktivität eines Verfahrens vor deutschen staatlichen Gerichten beitragen.

Die Ausweitung des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen tritt der im Eckpunktepapier als Konkurrenz erkannten privaten Schiedsgerichtsbarkeit zwar entgegen. Für die Schiedsverfahren spricht aber weiterhin nicht zuletzt die Vertraulichkeit, die im vom Öffentlichkeitsgrundsatz geprägten Zivilprozess so nicht möglich ist.

Bisher sieht das Eckpunktepapier zudem nicht vor, dass die Parteien, wie es in der schiedsgerichtlichen Praxis üblich ist, eine Case Management Conference durchführen können. In der Praxis werden solche frühzeitige Organisationstermine zur Strukturierung der weiteren Verfahrensführung an den baden-württembergischen Commercial Courts jedoch bereits angeboten, sodass zu erwarten ist, dass diese Möglichkeit auch an den zukünftigen Commercial Courts eröffnet werden wird.

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