28.06.2021Fachbeitrag

Update IP, Media & Technology Nr. 43

Neues Schuldrecht für digitale Produkte – Viele Verträge müssen angepasst werden

Neue Verbraucherschutzvorschriften für Verträge über digitale Produkte

Die Nutzung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen bestimmt heute den Alltag vieler Verbraucher und ist zudem ein wichtiger Wirtschaftsfaktor im grenzüberschreitenden Handel. Da bisher nur einzelne Mitgliedstaaten verbraucherschützende Regelungen zu solchen Inhalten erlassen haben, hat der europäische Gesetzgeber Harmonisierungsbedarf erkannt und zu diesem Zwecke die Richtlinie (EU) 2019/770 über bestimmte vertragliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen erlassen. Mangels entsprechender Vorschriften im Vertragsrecht wird auch der deutsche Gesetzgeber verpflichtet, die Richtlinie bis zum 1. Juli 2021 in nationales Recht umzusetzen. Daher hat die Bundesregierung am 17. März 2021 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der ein neues Gewährleistungsrecht für jegliche Verbraucherverträge vorsieht, die solche digitalen Produkte zum Gegenstand haben.

1. Anwendungsbereich:
 

Digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen

Erfasst werden Verbraucherverträge, welche die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen – zusammengefasst als digitale Produkte – durch einen Unternehmer gegen Zahlung eines Preises regeln.

Dabei werden digitale Inhalte als Daten definiert, die in digitaler Form erstellt sowie auch bereitgestellt werden. Dies meint beispielsweise Video- und Audiodateien (z. B. MP3), digitale Spiele (z. B. bezogen über Online-Vertriebsplattformen wie STEAM) oder elektronische Bücher bzw. E-Books (z. B. als PDF).

Digitale Dienstleistungen sind wiederum solche, die dem Verbraucher die Erstellung, Verarbeitung oder Speicherung von Daten in digitaler Form oder den Zugang zu solchen Daten oder die gemeinsame Nutzung der vom Verbraucher oder von anderen Nutzern der entsprechenden Dienstleistung in digitaler Form hochgeladene oder erstellte Daten oder sonstige Interaktionen mit diesen Daten ermöglichen. Erfasst sind somit unter anderem auf Smartphones betriebene Apps oder Software-as-a-Service (SaaS) Lösungen, die jeweils auch im Rahmen einer Cloud-Umgebung datenbasierte Funktionen bereitstellen. Konkrete Beispiele wären die gemeinsame Nutzung von Video- oder Audioinhalten über Streamingdienste (z. B. Netflix), eine auf mehreren Endgeräten ermöglichte Foto- oder Textverarbeitung (z. B. Microsoft OneDrive) oder Gaming-Plattformen, die allein Cloud basiert sind (z. B. Google Stadia).

Wie die digitalen Produkte bereitgetellt werden, ist für den Anwendungsbereich der Richtlinie irrelevant. So kann beispielsweise eine Software sowohl auf einem physischen Datenträger (USB-Stick, DVD) oder rein digital als Download über eine digitale Vertriebsplattform (Apple App Store) bereitgestellt werden.

a) Paketverträge und Abgrenzung zum neuen digitalen Kaufrecht

Vom Anwendungsbereich erfasst sind auch sog. Paketverträge, bei denen eine Vereinbarung über die Bereitstellung von digitalen Produkten gemeinsam mit Vereinbarungen über andere Leistungsgegenstände in einem einzigen Vertrag kombiniert werden. So kann ein digitales Produkt (z. B. Streamingdienst) gemeinsam mit einem physischen Elektronikprodukt erworben werden, welches letztlich zur Wiedergabe des digitalen Produkts geeignet bzw. gedacht ist (z. B. Smart-TV).

Abgrenzungsschwierigkeiten treten dabei hinsichtlich der ebenso neu geplanten kaufrechtlichen Vorschriften über digitale Elemente auf (Richtlinie (EU) 2019/771). Diese betreffen den Kauf von Sachen, welche gemeinsam mit einem digitalen Produkt bereitgestellt werden und ihre Funktion ohne das digitale Produkt nicht erfüllen können (dazu kürzlich R. Hofmann in unserem IP Update Nr. 40 vom 8. Juni 2021).

Dagegen beschäftigt sich der vorliegende Regierungsentwurf mit der Umsetzung weitergehender vertragsrechtlicher Aspekte und sieht zu diesem Zweck allgemein geltende verbraucherschützende Vorschriften (also im Verhältnis B2C) vor, die ein neues Gewährleistungsrecht für alle Vertragstypen – und damit über Kaufverträge hinaus – vorsieht. Gegenstand wäre in Abgrenzung zu den kaufrechtlichen Neuerungen beispielsweise eine Spiele-App, die unabhängig vom Kaufvertrag des Smartphones über einen App Store bezogen wird. Die Grenzen sind jedoch fließend und im Rahmen der Vertragsauslegung zu lösen.

b) Zurverfügungstellung personenbezogener Daten als Gegenleistung

Wie anfangs ausgeführt ist für die Eröffnung des Anwendungsbereichs ein Preis nötig, der regelmäßig in einer Geldleistung liegt. Ausgenommen sind daher Verträge, für die der Verbraucher keinen Preis zahlt, etwa wenn der Unternehmer die Dienstleistung im Rahmen einer freien und quellenoffenen Lizenz („Open-Source“) anbietet. Dies gilt zumindest soweit die vom Verbraucher im Rahmen der Nutzung bereitgestellten personenbezogenen Daten durch den Unternehmer ausschließlich zur Verbesserung der Sicherheit oder Kompatibilität des digitalen Produkts verarbeitet werden.

Dagegen fasst das Gesetz auch solche Verträge ins Auge, bei denen der Verbraucher an Stelle der Zahlung eines Preises seine personenbezogenen Daten bereitstellt bzw. sich zu deren Bereitstellung verpflichtet („Bezahlen mit Daten“). Zu denken wäre beispielsweise an die großen Kommunikations-Plattformen, die kein Entgelt für die Nutzung verlangen, sondern stattdessen Gewinne durch personalisierte Werbung generieren.

2. Neues Gewährleistungsrecht

Falls der Unternehmer dem Verbraucher das digitale Produkt nicht oder nicht vertragsgemäß bereitstellt, so stehen dem Verbraucher diverse Gewährleistungsrechte in Form der Nacherfüllung, Vertragsbeendigung, Minderung, des Schadensersatzes sowie des Aufwendungsersatzes zu.

Neu ist dabei insbesondere ein eigens definierter Mangelbegriff für die digitalen Produkte: Danach ist das Produkt frei von Mängeln, wenn es den subjektiven und objektiven Leistungsmerkmalen entspricht und dazu hinreichend in die digitale Umgebung des Verbrauchers integriert wird.

Subjektiv meint dabei die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit, was ausdrücklich Fragen der Menge, Funktionalität, Kompatibilität sowie Interoperabilität betreffen kann. Dabei werden beispielsweise vertraglich vereinbartes Zubehör, Anleitungen, Kundensupport, und insbesondere auch Aktualisierungen (dazu untenstehend mehr) einbezogen.

Ein Produkt ist objektiv mangelfrei, wenn es neben der Eignung für die gewöhnliche Verwendung insbesondere eine Beschaffenheit aufweist, die der Verbraucher bei digitalen Produkten derselben Art üblicherweise erwarten kann. Dies kann beispielsweise auch anhand von Testversionen (wie z. B. funktionsreduzierte Trial- oder Demoversionen) bestimmt werden, die dem Verbraucher im Voraus kostenlos bereitgestellt werden.

Das Erfordernis der Integration zielt auf die Verbindung und Einbettung des digitalen Produkts in die Komponenten der digitalen Umgebung des Verbrauchers. Gemeint ist dessen Hard- und Software oder die Netzverbindung. Auf diesem Wege soll sichergestellt werden, dass der Verbraucher das Produkt auch ordnungsgemäß auf seinem Endgerät nutzen kann, was beispielsweise die Abstimmung einer Software auf ein bestimmtes Betriebssystem betreffen kann.

Zuletzt werden auch sog. Rechtsmängel erfasst, was sicherstellt, dass der Verbraucher das Produkt nutzen kann, ohne dabei Rechte Dritter zu verletzen. Dies deutet insbesondere auf einen mangelnden Lizenzerwerb des Verkäufers hin, wie es z. B. teilweise bei dem Bezug des Windows-Betriebssystems über eBay-Händler festgestellt wurde.

a) Aktualisierungspflichten als Teil der Mangelfreiheit

Voraussetzung der Mangelfreiheit werden neuerdings auch Aktualisierungspflichten sein. So wird der Unternehmer dazu verpflichtet, für einen gewissen Zeitraum sachgemäße Aktualisierungen bereitzustellen, um kontinuierlich für die Vertragsmäßigkeit seines Produkts zu sorgen. Der Begriff ist weit gefasst und meint sowohl funktionale Aktualisierungen als auch Sicherheitsupdates. Entsprechend erfolgt auch keine Differenzierung zwischen „Updates“ oder „Upgrades“. Die konkreten Aktualisierungspflichten mitsamt dem zugehörigen Zeitraum hängen von den Umständen bzw. der Art des Vertrages im Einzelfall ab und bemessen sich primär nach den gängigen Erwartungen des Verbrauchers an ähnliche Produkte. So kann eine zeitlich anhaltende Aktualisierungspflicht auch bestehen, wenn sich der Vertrag in der einmaligen Leistungserbringung erschöpft. Beispielsweise werden Anwendungen, die aufgrund einer ständigen Verbindung mit dem Internet regelmäßig Daten abrufen (z. B. Smartphone Apps) eher mit Aktualisierungen zu versorgen sein als Anwendungen, die in abgeschotteten Systemen funktionieren (z. B. Firmware-Updates einer Hifi-Anlage). Bemerkenswert ist noch, dass den Verbraucher keine Pflicht trifft, die Aktualisierungen auch zu installieren. Anderenfalls kann sich der Unternehmer jedoch unter Nachweis einer bereitgestellten Aktualisierung mitsamt hinreichendem Hinweis auf diese sowie unter Bereitstellung einer Installationsanleitung von den Mängelansprüchen des Verbrauchers befreien.

b) Beweislastumkehr und Verjährungsbeginn bei den Gewährleistungsrechten

Hinsichtlich des Nachweises eines Mangels am Produkt ist eine Beweislastumkehr von einem Jahr zu Lasten des Unternehmers vorgesehen, welche ab dem Zeitpunkt der Bereitstellung gelten soll. Bei dauerhafter Bereitstellung des Produkts wird sogar die Vermutung für den gesamten Zeitraum der Laufzeit gelten. Eine Ausnahme ist für den Fall vorgesehen, dass das Produkt im Zeitpunkt der Bereitstellung aufgrund technischer Anforderungen nicht mit der digitalen Umgebung des Verbrauchers vereinbar war.
Zudem beginnt eine zweijährige Verjährungsfrist für die Geltendmachung der Gewährleistungsrechte des Verbrauchers ab Bereitstellung bzw. bei dauerhafter Bereitstellung ab Ablauf des Zeitraums. Für den Fall der Verletzung von Aktualisierungspflichten beginnt die Verjährung von Ansprüchen, die diesen Mangel betreffen, gesondert und erst nach Ende des vereinbarten Zeitraums der Aktualisierungspflicht.

3. Bereitstellungspflichten

Gesonderter Bestandteil der neuen Leistungspflichten ist die Pflicht zur Bereitstellung des digitalen Produkts. Danach muss der Unternehmer geeignete Mittel für eine unmittelbare Zugangsmöglichkeit zu dem Produkt bereitstellen. Zu diesem Zweck können vom Unternehmer auch sog. (Dritt-)Mittel genutzt werden, wie beispielsweise die Verschaffung eines Zugangs zu einer Downloadplattform. Wird für die Bereitstellung kein bestimmter Zeitpunkt vereinbart, kann der Verbraucher den Zugang unverzüglich verlangen. Als Beispiel könnte im Falle des Erwerbs eines digitalen Inhalts unmittelbar nach Vertragsschluss ein Downloadlink oder der Zugang zu einer Downloadplattform mitsamt Lizenzschlüssel in einer auf Algorithmen basierten, personalisierten E-Mail an den Verbraucher bereitgestellt werden.

Falls der Unternehmer diesem Begehren nicht unverzüglich nachkommt, so kann der Verbraucher ergänzende Gewährleistungsrechte geltend machen, beispielsweise den Vertrag unmittelbar beenden. Zudem trifft den Unternehmer die Beweislast, dass er das Produkt tatsächlich und rechtzeitig bereitgestellt hat.

4. Vertragliche Abweichung von der objektiven Beschaffenheit sowie Abbedingung der Gewährleistungsrechte

Abweichende Vereinbarungen bezüglich der objektiven Anforderungen (mitsamt Aktualisierungspflichten) an die Beschaffenheit im Sinne des Mangelbegriffs dürfen nur vereinbart werden, wenn der Unternehmer den Verbraucher bereits vor Vertragsschluss davon in Kenntnis gesetzt hat und dies noch ausdrücklich und gesondert im Vertrag festlegt. Zudem muss diese Information so deutlich formuliert sein, dass der Verbraucher die Tragweite dieser Vereinbarung in angemessener Weise verstehen kann. Zu technische Formulierungen sollten daher vermieden werden. Entscheidend ist zudem, dass sich die Information auf ein ganz bestimmtes Merkmal beziehen muss, was pauschale Aussagen zu generell möglichen Einschränkungen nicht genügen lässt. Insbesondere mit Blick auf den Gedanken, objektive Abweichungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zu vereinbaren, muss beachtet werden, dass dieser Umstand „ausdrücklich und gesondert“ geregelt werden muss. Eine Klausel in den AGB scheidet daher ebenso aus wie vorangekreuzte Kästchen beim Bestellvorgang oder eine nachträgliche Zustimmung des Verbrauchers.

Weiter gilt, dass die verbraucherschützenden Gewährleistungsrechte vor der Mitteilung über eine unterbliebene Bereitstellung oder eines Mangels durch den Verbraucher nicht abbedungen werden dürfen. Zu beachten ist in diesem Rahmen noch, dass die letzte genannte Regelung eine sog. Marktverhaltensregel zum Schutze von Verbraucherinteressen darstellen dürfte und ein Verstoß damit auch von Konkurrenten nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) abgemahnt werden kann. Daher sollten Unternehmer, die digitale Produkte in ihrem Portfolio anbieten, unbedingt ihre Vertragswerke hinsichtlich entsprechender Abweichungen überprüfen.

5. Ausblick

Angesichts der dringlichen Umsetzungspflicht bis zum 1. Juli 2021 wird der Bundestag am 24. Juni 2021 über den Entwurf abstimmen. Änderungen sind damit noch möglich, aber nicht mehr grundlegend zu erwarten. Festzuhalten bleibt daher zunächst, dass die geplanten Änderungen das deutsche Vertragsrecht umfangreich fortentwickeln werden, um Verbraucher vor Gefahren im Rahmen ihres digitalen Konsumverhaltens zu schützen. Bemerkenswert ist dabei insbesondere, dass Rücksicht auf die technischen Gegebenheiten bei den Verbrauchern genommen wird, indem die Bereitstellung als auch Integration sowie kontinuierliche Aktualisierungen zum Erhalt der Funktionalität Berücksichtigung finden. Zum Schutze der Verbraucher werden zudem Schlupflöcher zur Umgehung der benannten Pflichten geschlossen, indem wohlwollend ausgefallene Beweis- und Verjährungsregeln, aber auch Beschränkungen bei vertraglichen Abweichungen von objektiven Anforderungen an das Produkt bzw. den nachgehenden Gewährleistungsrechten vorgesehen sind. In einem Umkehrschluss stellen diese Punkte neue Hürden für die Vertragsgestaltung der Unternehmer dar, weshalb sich diese zeitnah mit den neuen Vorschriften vertraut machen müssen.

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