30.11.2021Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht November 2021

Unzulässige Beurteilungen in einem Arbeitszeugnis in Tabellenform mit „Schulnoten“

BAG vom 27. April 2021 – 9 AZR 262/20 

Der Arbeitgeber erfüllt den Zeugnisanspruch eines Arbeitnehmers nach § 109 GewO regelmäßig nicht dadurch, dass er Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis in einer an ein Schulzeugnis angelehnten tabellarischen Darstellungsform beurteilt. Die zur Erreichung des Zeugniszwecks erforderlichen individuellen Hervorhebungen und Differenzierungen in der Beurteilung lassen sich regelmäßig nur durch ein im Fließtext formuliertes Arbeitszeugnis angemessen herausstellen (Leitsatz).

Sachverhalt

Das Bundesarbeitsgericht hatte sich im Wesentlichen mit der Frage zu beschäftigen, ob der Arbeitgeber dem Zeugnisanspruch eines Arbeitnehmers durch eine, an ein Schulzeugnis angelehnte, Tabellenform erfüllt. 

Der Kläger war bei der Beklagten, einer Herstellerin von Großserien für Wasch-, Pflege- und Reinigungsprodukte in der Kosmetik und den Haushalten, als Elektriker tätig. Nachdem der Kläger das Arbeitsverhältnis nach einer beinah zehnjährigen Tätigkeit durch eine Eigenkündigung beendete, erhielt er ein Zeugnis in Tabellenform, das an ein klassisches Schulzeugnis erinnerte. Die abschließende Leistungsbeurteilung des Zeugnisses war insgesamt „befriedigend“. Die Einzelnoten von einmalig „sehr gut“ bis mehrheitlich „befriedigend“ gab es beispielsweise für die Kategorien „Arbeitsqualität“, „Sauberkeit im Arbeitsfeld“, „Arbeitstempo“ u.v.m. Der Kläger vertrat die Ansicht, dass diese (tabellarische) Darstellung der Leistungs- und Verhaltensbeurteilung nach stichwortartigen, mit „Schulnoten" versehenen Bewertungskriterien unüblich sei und deshalb einen negativen Eindruck hervorrufen könne. Zudem seien die getroffenen Beurteilungen unzutreffend. Er habe stets gute Leistungen erbracht und sich gegenüber Vorgesetzten, Kollegen und Kunden einwandfrei verhalten. Der Kläger beantragte daher die Erteilung eines Zeugnisses im Fließtext, das dieser im Klageantrag vorformulierte. Die Beklagte hat hingegen die Ansicht vertreten, dass das von ihr erteilte Zeugnis den Vorgaben des § 109 GewO genüge und beantragte die Klageabweisung. 

Entscheidung

Das Arbeitsgericht gab der Klage – und mithin der Erforderlichkeit der Formulierung des Zeugnisses im Fließtext – teilweise statt. Hiergegen legten beide Parteien Berufung beim Landesarbeitsgericht Hamm ein. Das LAG hielt die tabellarische Form des Zeugnisses für ausreichend, wogegen der Kläger erfolgreich Revision einlegte. 

Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass die vorangegangene Instanz zu Unrecht davon ausgegangen sei, ein Zeugnis in tabellarischer Schulnotenform genüge den gesetzlichen Anforderungen an ein qualifiziertes Arbeitszeugnis. Dieses bemisst sich, anders als ein Schulzeugnis, gerade nicht nach dem Grad des Erreichens festgelegter Lernzielvorgaben oder schriftlicher Leistungsnachweise. Ein qualifiziertes Arbeitszeugnis nach § 109 GewO soll eine individualisierte Leistungs- und Verhaltensbeurteilung beinhalten, um dadurch insbesondere künftigen Arbeitgebern als Grundlage zur Personalauswahl zu dienen. Dieser individuellen Leistungsbewertung des Arbeitnehmers werde regelmäßig nur ein im Fließtext formuliertes Arbeitszeugnis gerecht. Die Individualisierung der Leistungs- und Verhaltensbeurteilung eines Arbeitszeugnisses im Fließtext gelte zudem unabhängig davon, ob ein solches regelmäßig erwartet wird oder im Geschäftsleben üblich ist. Das Bundesarbeitsgericht hat das Verfahren nunmehr an das Berufungsgericht zurückverweisen, da dieses aufgrund der vom Berufungsgericht fehlenden konkreten Feststellungen zu den vom Kläger verrichteten Tätigkeiten und der Arbeitsleistung nicht selbst über den genauen Inhalt des zu erteilenden Zeugnisses entscheiden kann. Bei seiner Entscheidung sei das Berufungsgericht allerdings nicht an die Formulierungen des „Schulzeugnisses“ oder der Klageanträge des Klägers gebunden. Das Berufungsgericht kann das gesamte Zeugnis selbst neu formulieren. 

Praxishinweis

Das Bundesarbeitsgericht hat mit dieser Entscheidung erneut Parameter zur Erteilung von qualifizierten Arbeitszeugnissen aufgestellt. Trotz der Tendenz zur zumindest teilweisen tabellarischen Darstellung von Arbeitszeugnissen hat das Bundesarbeitsgericht in diesem überspitzten Fall der tabellarischen Darstellung in „Schulnotenform“ klargestellt, dass der Arbeitgeber den Anforderungen an ein qualifiziertes Arbeitszeugnis regelmäßig nur durch einen individuellen Fließtext gerecht wird. Arbeitgeber tun daher gut daran, ihre Zeugnisse im klassischen Fließtext zu formulieren und diese bei Zweifeln über den Inhalt von Fachleuten überprüfen zu lassen. Nach wie vor gilt allerdings, dass der Maßstab für die Formulierungen und Ausdrucksweise eines Zeugnisses ein wohlwollender verständiger Arbeitgeber ist, dieser allerdings insoweit einen Beurteilungsspielraum innehat (ständige Rechtsprechung des BAG bspw. vom 15. November 2011 – 9 AZR 386/10). Die Grenze dieses Wohlwollens legen insbesondere das Gebot der Zeugniswahrheit und das in § 109 Abs. 2 GewO ausdrücklich normierte Gebot der Zeugnisklarheit fest (BAG vom 14. Oktober 2003 – 9 AZR 12/03). 

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