30.08.2022Fachbeitrag

Update Compliance 19/2022

OLG Nürnberg Pflicht zur Einführung eines Vier-Augen-Prinzips bei „kritischen Prozessen“

Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass die Geschäftsleitung eines Unternehmens dazu verpflichtet ist, für „kritische Prozesse“ ein Vier-Augen-Prinzip einzuführen. Damit sind Vorgänge im Unternehmen gemeint, die bei nicht ordnungsgemäßer Durchführung Personenschäden oder erhebliche finanzielle Auswirkungen zur Folge haben können. Fehlt es für das Vier-Augen-Prinzip am Personal, muss die Geschäftsleitung die Aufgabe selbst übernehmen. Außerdem muss sie darauf achten, dass Mitarbeiter die ihnen zugewiesenen Kompetenzbereiche einhalten.

Im dem OLG Nürnberg vorliegenden Fall vertrieb eine GmbH & Co. KG Mineralölprodukte und vergab hierfür Tankkarten mit einem Kreditlimit, die monatlich abgerechnet wurden. Im Jahre 2006 kam es bei einem Kunden mangels Kontrolle und Sperrung zu einer Überziehung des Kredits und zum Zahlungsausfall. Der Beirat der Gesellschaft fasste daraufhin den Beschluss, dass die Tankkarten auf EUR 25.000 zu begrenzen seien und andernfalls durch den Beirat genehmigt werden müssen. Ferner sollte die korrekte Abrechnung dem Beirat monatlich vorgelegt werden. Ende 2012 fanden zudem Geschäftsführerschulungen statt, in dem u.a. die Notwendigkeit des Vier-Augen-Prinzips im Bereich Mahnwesen, Lieferstopp und Mahnbescheid erörtert wurde.

Etwa zur selben Zeit vergab ein Mitarbeiter neue Tankkarten an drei Kunden, die ihre Verbindlichkeiten nicht vollständig bedienen konnten. Um ihnen weiterhin das Tanken zu ermöglichen, buchte der Mitarbeiter die Kosten intern um. Zudem übernahm er kompetenzwidrig Aufgaben aus der Buchhaltung und dem Beschwerdemanagement, um sein Tun zu vertuschen. Einen weiteren Mitarbeiter für die Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips konnte der Geschäftsführer nicht finden. Schließlich fielen die Kunden mit Zahlungen i.H.v. rund EUR 800.000,00 aus.

Das OLG Nürnberg urteilte, dass der Geschäftsführer verpflichtet war, das Vier-Augen-Prinzip einzuführen, da die Vergabe der Tankkarten weitreichende finanzielle Folgen für das Unternehmen haben konnte. Der Geschäftsführer habe dies selbst erkannt, da er sich um einen weiteren Mitarbeiter bemüht habe, um das Prinzip zu wahren. Zudem sei es pflichtwidrig gewesen, nicht gegen die Kompetenzüberschreitung des Mitarbeiters vorzugehen. Diese war mitursächlich dafür, dass das Fehlverhalten erst spät auffiel. Folglich haftete der Geschäftsführer für den Schaden.

Praxishinweis

Das Urteil des OLG Nürnberg ist insofern richtungsweisend, als das Gericht eine konkrete Compliance-Maßnahme unter Umständen als verpflichtend ansieht. Dabei entspricht es allgemeiner Meinung, dass bei der Einführung geeigneter Compliance-Maßnahmen ein Ermessen besteht. Inhaltlich beansprucht das Urteil Geltung über den entschiedenen Fall hinaus. Ob sich dies durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Allerdings dürfte es Unternehmen in vergleichbaren Lagen nur schwer gelingen, sich davon zu distanzieren. Deshalb ist es empfehlenswert, eigene „kritische Prozesse“ zu prüfen und ggf. das Vier-Augen-Prinzip einzuführen.

Wenn zudem Mitarbeiter im Unternehmen freiwillig Aufgaben übernehmen, die ihnen nicht zugewiesen sind, kann dies auf pflichtwidriges Verhalten hindeuten. Insbesondere dort, wo sensible Daten abgespeichert sind und wo die Zahlungsströme im Unternehmen kontrolliert werden, sollten die Mitarbeiter geschult werden, nicht ohne weiteres anderen Unternehmensangehörigen Zugang zu gewähren. Die Aufgabenverteilung im Unternehmen sollte bei wichtigeren Prozessen zudem so erfolgen, dass nicht ein Mitarbeiter alle Arbeitsschritte alleine vornehmen kann, die zur vollständigen Ausführung erforderlich sind. Dies kann Missbrauch begünstigen.

Nicht zuletzt gilt, dass ein Mangel an Ressourcen kein Grund ist, keine Compliance zu betreiben. Fehlen wie hier die Mitarbeiter, dann muss die Geschäftsleitung die Aufgaben selbst ausführen. Das unterlassene Einschreiten trotz Hinweisen auf Verstöße und Mängel ist seit der Neubürger-Entscheidung als Verstoß gegen die Pflichten der Geschäftsleitung anerkannt.

Bereits zuvor hatte das OLG Hamm entschieden, dass Compliance-Fehler die Kündigung eines Geschäftsführers rechtfertigen.

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