31.07.2020Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Juli 2020

Verfall des Urlaubsanspruchs bei dauerhaft Erkrankten – besteht eine Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers? Das BAG ersucht den EuGH um Stellungnahme

Das BAG hat sich mit einem Vorabentscheidungsersuchen (Beschluss vom 7. Juli 2020, 9 AZR 401/19) an den EuGH gewendet. Das BAG begehrt die Klärung der Frage, ob bei dauerhaft erkrankten Mitarbeitern für den Verfall des Urlaubsanspruchs eine Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers in der Form erforderlich ist, dass der Arbeitgeber auch diese Arbeitnehmer auf die Inanspruchnahme ihres Urlaubs im Kalenderjahr hinweisen muss.

SACHVERHALT

Die Klägerin ist in einem Hospital der Beklagten beschäftigt. Im Laufe des Jahres 2017 erkrankte sie und ist seitdem durchgehend arbeitsunfähig. Sie konnte dadurch 14 Tage von dem ihr zustehenden Urlaubsanspruch für das Kalenderjahr 2017 nicht in Anspruch nehmen. Ein Hinweis der Beklagten, dass der nicht in Anspruch genommene Urlaub verfallen kann, bzw. eine Aufforderung an die Klägerin zur Inanspruchnahme der Urlaubstage erfolgte nicht.

Die Klägerin begehrt nun die Feststellung, dass ihr der Anspruch auf 14 Urlaubstage aufgrund der unterbliebenen Belehrung der Beklagten weiterhin zustehe. Die Beklagte vertritt dagegen die Auffassung, dass der Urlaubsanspruch spätestens mit Ablauf des 31. März 2019, also 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, erloschen sei.

VERFAHRENSGANG / VORABENTSCHEIDUNGSBEGEHREN

Das LAG Hamm hat auf die Berufung der Klägerin – wie auch schon die Vorinstanz (ArbG Paderborn, Urteil vom 4. April 2019, 2 Ca 1602/18) – die Klage zurückgewiesen (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 24. September 2019, 5 Sa 676/19). Eine Belehrungspflicht des Arbeitgebers bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit bestehe nicht (so im Anschluss und unter ausdrücklichem Verweis auf die Entscheidung des LAG Hamm auch das LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Januar 2020, 7 Sa 284/19). Eine solche Hinweispflicht bestand auch nach der früheren Rechtsprechung des EuGH nicht (vgl. EuGH, Urteil vom 22. November 2011, C-214 -10).

Die Klägerin verfolgt ihr Rechtsbegehr mit der Revision beim BAG weiter.

Durch das Vorabentscheidungsverfahren möchte das BAG die Frage klären, inwiefern das Unionsrecht den Verfall des Urlaubsanspruchs bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf der 15 Monate oder einer ggf. längeren Frist gestattet, wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat. Und, falls das Unionsrecht dem Verfall des Anspruchs nach 15 Monaten entgegensteht, inwieweit auch ein Verfall zu einem späteren Zeitpunkt ausgeschlossen wäre. Für das BAG kommt es für die Klärung der Frage auf die Auslegung des Unionsrechts an, die dem EuGH vorbehalten ist. Maßgeblich sind Art. 7 RL 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 Charta der Grundrechte der EU.

Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der EU sichert jedem Arbeitnehmer bezahlten Jahresurlaub zu. Art. 7 RL 2003/88/EG konkretisiert diesen abstrakten Rechtssatz dahingehend, dass die Mitgliedsstaaten alle erforderlichen Maßnahmen treffen, damit jeder Arbeitnehmer seinen bezahlten Jahresurlaub nach Maßgabe der innerstaatlichen Regelungen und Gepflogenheiten in Anspruch nehmen kann.

BEWERTUNG / PRAXISHINWEISE 

Das BAG hat die nationalen Regelungen des Urlaubsrechts in der Vergangenheit an die europäischen Regelungen angepasst und insbesondere § 7 BUrlG richtlinienkonform ausgelegt. So habe der Arbeitgeber die Initiativlast bei der Verwirklichung der Urlaubsansprüche. Erst die daraus abgeleitete Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers führe zu einer Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG. Der Urlaub erlischt daher nur dann, wenn der Arbeitnehmer zuvor aufgefordert wurde, seinen Urlaub zu nehmen und er auch in die Lage versetzt wurde diesen tatsächlich anzutreten (vgl. BAG, Urteil vom 19. Februar 2019, 9 AZR 423/16; EuGH, Urteil vom 6. November 2018, C-619/16).

Die Befristungsregelung des § 7 Abs. 3 BUrlG soll dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer dienen. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass grundsätzlich jedem Arbeitnehmer im Kalenderjahr ein bestimmter Umfang an Urlaubstagen zur Erholung und Entspannung tatsächlich gewährt wird. Aus diesem Grund ist der Urlaubsanspruch auch unabdingbar an das Kalenderjahr gebunden (§§ 1, 13 BUrlG). Grundsätzlich muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden und eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur in Ausnahmefällen möglich. In diesem Fall muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden. 

Für den Verfall des Urlaubsanspruchs bzw. die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG auf die ersten drei Monate des Folgejahres ist eine Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers erforderlich, indem dieser den Arbeitnehmer auf den Verfall des Urlaubsanspruchs am Ende des Kalenderjahres hinweist und dazu auffordert den Urlaub bis dahin zu nehmen (vgl. BAG, Urteil vom 19. Februar 2019, 9 AZR 541/15).

Durch die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers soll bezweckt werden, dass der Arbeitnehmer rechtzeitig über den Verfall des Urlaubsanspruchs informiert wird, was typischerweise dazu führt, dass er den Urlaub noch vor dessen Verfall in Anspruch nimmt (vgl. BAG, Urteil vom 19. Februar 2019, 9 AZR 541/15). Auch der EuGH sieht den Sinn und Zweck der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers darin, zu fördern, dass der Arbeitnehmer den Urlaub auch tatsächlich in Anspruch nimmt, um eine entsprechende Erholung und Entspannung zu gewährleisten (Vgl. EuGH, Urteil vom 6. November 2018, C-684/16).

Die Urlaubsansprüche verfallen spätestens am 31. März des Folgejahres, in welchem die Urlaubsansprüche begründet wurden, wenn der Arbeitnehmer fortdauernd erkrankt ist. Diesbezüglich hat das BAG in Anlehnung an die Entscheidung des EuGH vom 22. November 2011 (Urteil, Az. C-214 -10) entschieden, dass die gesetzlichen Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers bei Verhinderung der Arbeitsleistung aus gesundheitlichen Gründen erst 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfallen (BAG, Urteil vom 7. August 2012, 9 AZR 353/10). Eine besondere Hinweispflicht enthielten die Entscheidungen nicht. 

Die entscheidende Frage, die der EuGH jetzt im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens zu klären hat ist, ob ein Verfall des Urlaubsanspruchs ohne Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers in Betracht kommt, wenn der Arbeitnehmer aufgrund fortdauernder Arbeitsunfähigkeit gar nicht in der Lage ist den Urlaub tatsächlich zu nehmen.

Nach der Rechtsprechung des LAG Hamm und des LAG Rheinland-Pfalz besteht eine Belehrungspflicht des Arbeitgebers gerade nicht, wenn ein Arbeitnehmer langfristig erkrankt ist (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Januar 2020, 7 Sa 284/19; LAG Hamm, 24. September 2019, 5 Sa 676/19). Die Pflicht besteht erst nach Widergenesung des Arbeitnehmers in Bezug auf dann eventuell noch bestehende Ansprüche. Nach der Rechtsprechung der LAGs wäre eine vorher erfolgte Belehrung sachlich falsch. Eine zutreffende Belehrung auf den konkreten Fall bezogen könne erst vorgenommen werden, wenn klar sei, ob der Arbeitnehmer im Kalenderjahr wieder arbeitsfähig genesen werde oder nicht. Auch sei der Fortbestand des Urlaubsanspruchs keine Sanktion für eine unterlassene Hinweispflicht, sondern diene dem Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber könne auch gar nicht auf die Inanspruchnahme des Urlaubs hinwirken, da der Arbeitnehmer während einer dauerhaften Erkrankung tatsächlich keinen Urlaub nehmen kann. Ein entsprechender Hinweis gehe ins Leere (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Januar 2020, 7 Sa 284/19).

Die Rechtsprechung der LAG überzeugt und lässt sich in die frühere Rechtsprechung des EuGH einordnen. Der Hinweis auf die Inanspruchnahme von Urlaub ist bei dauerhaft erkrankten Arbeitnehmern eine bloße Förmelei, da diese den Urlaub aufgrund der dauerhaften Erkrankung tatsächlich nicht antreten können. Auch der Erholungsgedanke tritt in diesem Fall zurück, da der dauererkrankte Arbeitnehmer keine Arbeitsleistungen erbringt. Zudem ist der Zweck des Urlaubs – die Erholung – nach 15 Monaten nicht mehr erreichbar. 

Auch der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 22. November 2011 (Urteil, Az. C-214 -10) zunächst keine besondere Hinweispflicht des Arbeitgebers angenommen. Es genüge, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt werde, den Urlaub nehmen zu können. Der dauerhaft kranke Arbeitnehmer habe gar nicht die Möglichkeit seinen Urlaub zu nehmen. Ein während mehrerer Bezugszeiträume dauerhaft erkrankter Arbeitnehmer könne sonst für die gesamte Zeit seiner Abwesenheit entstandene Urlaubsansprüche ansammeln. Das entspreche aber nicht mehr dem Sinn und Zweck des Jahresurlaubs Entspannung und Freizeit zu bekommen. Ab einer gewissen zeitlichen Grenze fehlt dem Urlaub die positive Wirkung.

Der EuGH leitet die Hinweispflicht in seiner späteren Entscheidung aus dem Jahr 2018 aus Schutzgedanken gegenüber den Arbeitnehmern ab. So soll die Initiativlast nicht alleine auf Seiten der Arbeitnehmer liegen, sondern der Arbeitgeber soll durch eine Hinweispflicht dafür sorgen, dass Arbeitnehmer Urlaubsansprüche tatsächlich wahrnehmen. Anderenfalls drohe eine Beschränkung der Rechte der Arbeitnehmer (vgl. EuGH, Urteil vom 6. November 2018, C-619/16).

Eine solche Hinweispflicht ergibt auch vor dem Hintergrund dieser Entscheidung keinen Sinn. Der dauerhaft Erkrankte kann seinen Urlaub faktisch nicht nehmen, da er erkrankt ist. Eine Hinweispflicht führt (s. o.) ins Leere.

Die Entscheidung des EuGH und die im Anschluss daran zu treffende Entscheidung des BAG könnten konträr zu den Entscheidungen der LAG ausfallen, wenn der EuGH eine Mitwirkungsobliegenheit auch bei Langzeiterkrankten annimmt. Insofern gilt es die Entscheidung des EuGH aufmerksam zu verfolgen, da diese unmittelbaren Einfluss auf die Organisation des Urlaubsmanagements der Arbeitgeber hat.

Da die Mitwirkungsobliegenheit bloß in Textform erfolgen muss (z. B. E-Mail) sollten Unternehmen bis zur Entscheidung des EuGH und des BAG aus Vorsicht alle Arbeitnehmer, auch wenn diese (dauerhaft) erkrankt sind, auf ihre Urlaubstage und den Verfall am Ende des Kalenderjahres hinweisen, um ein Ansammeln der Urlaubsansprüche zu vermeiden. So drohen keine bösen Überraschungen für den Fall, dass der EuGH eine den LAG entgegenstehende Rechtsauffassung vertritt.

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