26.10.2022Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Oktober 2022

Verjährung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub

EuGH 22.09.2022 - C-120/21

Am Ende eines Arbeitsverhältnisses gibt es nicht selten Streit über die Anzahl restlicher Urlaubstage. Doch wann verjähren Urlaubsansprüche? Von welch großer Bedeutung der Urlaubsanspruch im Allgemeinen und diese spezielle Frage im Besonderen für den EuGH ist, machten die Luxemburger Richter und Richterinnen am 22. September 2022 deutlich. Damit ist es erneut der EuGH, der vermeintliche Gewissheiten zum Bundesurlaubsgesetz auf den Kopf stellt und die Bedeutung der Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers verschärft. Nach einer Serie von Entscheidungen des EuGH zur Vereinbarkeit des nationalen Urlaubsrechts mit dem Europarecht, ist nunmehr bereits anerkannt, dass Urlaub erkrankter Arbeitnehmer nicht mit dem März des Folgejahres erlischt (BAG, Urt. v. 07.08.2012, Az. 9 AZR 353/10), dass Urlaub in Form des Abgeltungsanspruchs vererbt werden kann (BAG, Urt. v. 22.01.2019, Az. 9 AZR 45/16) oder dass Unternehmen ihre Arbeitnehmer über die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Urlaub hinweisen müssen, damit die Ansprüche auch erlöschen (BAG, Urt. v. 19.02.2019, Az. 9 AZR 423/16). Der EuGH hat sich mit diesem aktuellen Urteil entschieden, die Folgen seiner bisherigen Rechtsprechung nicht abzumildern, sondern sogar zu verstärken:

Demnach ist nicht nur der Verfall von Urlaub von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers zur Information seiner Arbeitnehmer darüber abhängig. Vielmehr verjähren Urlaubsansprüche nach Ansicht des EuGH auch nur dann, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber über seinen Anspruch auf Urlaub hinreichend in Kenntnis gesetzt wurde. Das deutsche Verjährungsrecht sei europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass die Verjährungsfrist erst zu laufen beginnen kann, wenn der Arbeitnehmer hinreichend über seinen Urlaubsanspruch unterrichtet und dadurch in die Lage versetzt wurde, seinen Urlaubsanspruch auch tatsächlich auszuüben.

Gegenstand des aktuellen Vorabentscheidungsverfahrens ist die Vorlagefrage des BAG im Fall einer Steuerfachangestellten und Finanzbuchhalterin, die vom 1. November 1996 bis zum 31. Juli 2017 bei der Beklagten angestellt war. Die Klägerin konnte wegen eines hohen Arbeitsaufkommens 76 Urlaubstage aus 2011 sowie den Vorjahren nicht nehmen; dies wurde ihr in 2012 vom Arbeitgeber bescheinigt und festgehalten, dass der Urlaub nicht verfallen sei. Ihren gesetzlichen Jahresurlaub nahm die Arbeitnehmerin jedoch auch in den Folgejahren zwischen 2012 bis 2017 nicht vollständig in Anspruch. Dies blieb von ihrem Arbeitgeber unbeanstandet. Die Arbeitnehmerin wurde weder aufgefordert, ihren Urlaub zu nehmen, noch wurde sie darauf hingewiesen, dass der Urlaub zu verfallen droht. Im Februar 2018 klagte die Arbeitnehmerin auf die Abgeltung von 101 Tagen Jahresurlaub, den sie vor Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses nicht genommen habe. Der Arbeitgeber war der Ansicht, nicht zur Urlaubsabgeltung verpflichtet zu sein, da die Urlaubansprüche, deren Abgeltung die Arbeitnehmerin verlangen könne, jedenfalls teilweise verjährt seien.

Während das erstinstanzlich erkennende Arbeitsgericht Solingen (Urt. v. 19.02.2019, Az. 3 Ca 155/18) die Klage hinsichtlich der nach nationalen Recht verjährten Ansprüche abwies, gab das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urt. v. 02.02.2020, Az. 10 Sa 180/19) der Klägerin Recht. Auf die arbeitgeberseitige Revision hin legte das BAG (Vorlagebeschl. v. 29.09.2020, Az. 9 AZR 266/20 [A]) dem EuGH die Sache zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH sollte klären, ob das Unionsrecht die Verjährung des Urlaubsanspruchs gem. §§ 194 Abs. 1, 195 BGB trotz Verletzung der Hinweispflichten gestatte. 

Entscheidung des EuGH

Der EuGH führt in seiner Entscheidung aus, dass das nationale Verjährungsrecht, nach dem der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, den ein Arbeitnehmer für einen Bezugszeitraum erworben hat, nach Ablauf einer Frist von drei Jahren verjährt,  nicht mit den unionsrechtlichen Vorgaben aus der Arbeitszeitrichtlinie (Art. 7 RL 2003/88/EG) im Einklang stehe. Die Anwendung des deutschen Verjährungsrechts würde im gegebenen Fall dazu führen, dass der Urlaub der Arbeitnehmerin, die von ihrem Arbeitgeber nicht hinreichend informiert wurde, dennoch verfallen würde. Ein Arbeitgeber habe zwar ein berechtigtes Interesse daran, dass Arbeitnehmer ihn nicht erst Jahre später auf Urlaubsvergütung in Anspruch nehmen. Im Falle einer unterlassen Information des Arbeitnehmers habe der Arbeitgeber sich aber durch die Verletzung seiner eigenen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten selbst in diese Situation gebracht, in der er mit Anträgen auf finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub  konfrontiert wird; mithin sei er nicht schützenswert. Folglich seien die nationalen Vorschriften unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass die regelmäßige Verjährungsfrist erst in dem Zeitpunkt beginnt, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über einen drohenden Verfall von Urlaubsansprüchen unterrichtet hat.

Konsequenzen für die Praxis 

Nachfolgend steht nun die Wiederaufnahme des ausgesetzten Verfahrens vor dem BAG an. Vor dem Hintergrund, dass das BAG bereits in der Vergangenheit wiederholt die Vorabentscheidungen des EuGH zum Urlaubsrecht übernommen hat (vgl. etwa BAG, Urt. v. 19.2.2019 – 9 AZR 541/15) ist davon auszugehen, dass das BAG die Entscheidung des EuGH in dem wiederaufzunehmenden Verfahren umsetzen wird. Arbeitgeber sollten daher die Urlaubsansprüche ihrer Arbeitnehmer, und zwar sowohl die aktuellen als auch solche aus zurückliegenden Urlaubsjahren, jeweils zu Jahresbeginn prüfen und individuelle Belehrungen entsprechend der Vorgaben des BAG etablieren.

Dabei sind folgende Grundsätze zu beachten:

1.    Grundsätzlich verfallen Urlaubsansprüche zum Jahresende oder wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen am 31.03 des Folgejahres (§ 7 Abs. 3 S. 1, 2 BUrlG). Bei langfristiger Arbeitsunfähigkeit verfällt der gesetzliche Urlaubsanspruch eines seit Beginn oder im Verlauf des Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers bei ununterbrochen fortbestehender Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres (Vgl. etwa BAG, Urteil v. 7.8 2012 - 9 AZR 353/10).

2.    Den Arbeitgeber treffen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten zur Unterrichtung seiner Arbeitnehmer über ihren Urlaubsanspruch. Die Hinweise auf den möglichen Verfall von Urlaubsansprüchen müssen konkret, klar, individuell und rechtzeitig erfolgen (BAG v. 19.02.2019 - 9 AZR 423/16). I.d.R. empfiehlt sich 
a)    dem Arbeitnehmer zu Beginn des Urlaubsjahres in Textform (z.B. per E-Mail) mitzuteilen, wie viele Arbeitstage Urlaub ihm im Kalenderjahr zustehen,
b)    den Arbeitnehmer auffordern, den Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres genommen werden kann, und
c)    den Arbeitnehmer über die Konsequenzen zu belehren, die eintreten, wenn dieser den Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantragt. Hierzu ist wohl ein Hinweis ratsam, dass der Urlaub grundsätzlich am Ende des Kalenderjahres verfällt, wenn der Arbeitnehmer in der Lage war, seinen Urlaub im Kalenderjahr zu nehmen, er ihn aber nicht beantragt hat.

Für diese „konkrete“ und „individuelle“ Belehrung genügen abstrakte Angaben, etwa im Arbeitsvertrag, in einem Merkblatt oder in einer Kollektivvereinbarung, nicht. 

3.    Urlaubsansprüche unterliegen grundsätzlich auch der Verjährung. Es gilt hierbei regelmäßig die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB, wobei die Frist grundsätzlich mit Ablauf des betreffenden Urlaubsjahres beginnt (§ 199 BGB).

4.    Für den Fall, dass der Arbeitgeber aber seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist, beginnt die Verjährungsfrist nicht zu laufen.
 

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