23.03.2020FachbeitragCorona

Update Compliance 6/2020

COVID-19 und seine Auswirkungen auf Strafverfahren und Strafrecht

Von den Schutzmaßnahmen, die bundesweit zur Vermeidung der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie getroffen werden, sind auch Strafgerichtsbarkeit und Staatsanwaltschaften betroffen. Dass Deutschland „die Systeme herunterfährt“, um der Pandemie Herr zu werden, hat nicht nur auf bereits laufende, sondern auch auf zukünftige Strafverfahren Auswirkungen. Fest steht: COVID-19 wird das Straf- und Strafprozessrecht verändern:

Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Strafverfahrensrecht: Bundesjustizministerium legt Gesetzentwurf vor

Auf Anregung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie veröffentlicht, der auch Änderungen der Strafprozessordnung vorsieht, damit Strafverfahren wegen der Corona-Pandemie nicht „platzen“:

Derzeit ermöglicht die Strafprozessordnung eine Unterbrechung von Hauptverhandlungen bis zu drei Wochen, in Ausnahmefällen bis zu einem Monat. Diese Unterbrechnungsfristen können nach geltendem Recht nur dann gehemmt werden, wenn die Hauptverhandlungen bereits zehn Hauptverhandlungstage andauern und Krankheit, Elternzeit oder Mutterschutz eines Verfahrensbeteiligten der weiteren Durchführung der Hauptverhandlung entgegenstehen.  Der Bundesgerichtshof hat in der Vergangenheit eine Überschreitung dieser Unterbrechungsfrist nur in Ausnahmefällen für zulässig erachtet, „wenn die für den Fortsetzungstermin in Aussicht genommene Förderung des Verfahrens infolge eines unvorhergesehenen Ereignisses nicht stattfinden kann“ (BGH, Beschl. v. 30. Juni 2015 – 3 StR 202/15). Es seien „Situationen vorstellbar, in denen eine Hauptverhandlung […] möglicherweise nur durch eine Entscheidung über die Unterbrechung des Verfahrens […] gefördert werden kann.“ Als Beispiel erkennt der BGH das Nichterscheinen eines Angeklagten oder dessen plötzliche Erkrankung an, aufgrund der dieser der Hauptverhandlung nicht mehr folgen kann (BGH, Beschl. v. 05. November 2008 – 1 StR 583/08). Diese Voraussetzungen liegen im Falle von Verfahrensunterbrechungen aufgrund Corona-bedingter Infektionsschutzmaßnahmen jedoch nicht vor: COVID-19 führt nicht zu Unterbrechungen zu Zwecken der Verfahrensförderung, sondern zu Zwecken der Gesundheitsvorsorge.

Auf diese Regelungslücke haben BMJV und Bundesregierung mit dem Entwurf von Ergänzungen der Strafprozessordnung reagiert. Begründet wird der Gesetzesentwurf damit, dass insbesondere für strafgerichtliche Hauptverhandlungen absehbar sei, dass die aufgezeigten, derzeit geltenden, gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten zur Hemmung der Unterbrechungsfristen der Hauptverhandlungen nicht ausreichend seien. Damit Hauptverhandlungen aufgrund der aktuellen Einschränkungen des öffentlichen Lebens nicht ausgesetzt und neu begonnen werden müssen, sollen die üblichen Unterbrechungsfristen zusätzlich gehemmt und Hauptverhandlungen damit länger unterbrochen werden können als bislang. Auf diese Weise soll auch eine spätere Belastung (der Justiz) durch vollständige Neuverhandlung dieser Prozesse vermieden werden.

Der Entwurf sieht aus diesen Gründen einen – auf ein Jahr befristeten – Hemmungstatbestand für die Unterbrechung der Hauptverhandlung vor, der auf die aktuellen Maßnahmen zur Vermeidung der Verbreitung der COVID-19-Pandemie abstellt. Dieser Hemmungstatbestand soll es den Gerichten erlauben, die Hauptverhandlung für maximal drei Monate und zehn Tage zu unterbrechen und soll unabhängig von der bisherigen Dauer der Hauptverhandlung gelten. Voraussetzung soll lediglich sein, dass die Hauptverhandlung aufgrund von Maßnahmen zur Vermeidung der Verbreitung der COVID-19-Pandemie (Infektionsschutzmaßnahmen) nicht durchgeführt werden kann. Aus der Begründung des Entwurfs geht hervor, dass der Tatbestand absichtlich weit gefasst ist und sämtliche Gründe erfassen soll, die der ordnungsgemäßen Durchführung der Hauptverhandlung aufgrund von entsprechenden Infektionsschutzmaßnahen entgegenstehen. Erforderlich ist somit weder die Krankheit oder Quarantäne des Angeklagten selbst oder einer der zur Urteilsfindung berufenen Personen. Vielmehr werden auch Verdachtsfälle oder Krankheiten, die nicht getestet werden, als ausreichend im Sinne der Vorschrift angesehen, solange die betroffene Person angehalten ist, sich in häusliche Quarantäne zu begeben. Dies gilt ebenfalls für nur mittelbar gerichtliche oder gesundheitsbehördliche Schutzmaßnahmen. Auch ein eingeschränkter Gerichtsbetrieb oder die Beteiligung zur Risikogruppe gehörender Personen am Prozess, wie beispielsweise ältere Personen, Personen mit Grunderkrankungen oder einem unterdrückten Immunsystem, soll für die Annahme von entsprechenden Schutzmaßnahmen ausreichend sein, welche die Hemmung begründen können.

Die genannten Tatbestandsvoraussetzungen und damit die Frage, ob Infektionsschutzmaßnahmen, die der Durchführung der Hauptverhandlung entgegenstehen, im jeweiligen Verfahren erforderlich sind, soll das Gericht im Einzelfall und damit für jedes Hauptverfahren und jede Hauptverhandlung formlos prüfen.

Dass eine entsprechende Regelung und erweiterte Hemmungsmöglichkeit unter den derzeitigen Umständen – auch im Sinne der Angeklagten – sinnvoll ist, zeigt auch der folgende aktuelle Fall:

Unerwartetes Ende der Beweisaufnahme und Verurteilungen im ersten „Cum-Ex“-Strafverfahren

Nachdem das LG Bonn noch im Februar in dem besagten öffentlichkeitswirksamen „Cum Ex“-Strafverfahren noch zahlreiche zusätzliche Verhandlungstermine zu Zwecken der Beweisaufnahme anberaumt hatte, sorgte COVID-19 dafür, dass – für alle Beteiligten überraschend – „kurzer Prozess“ gemacht wurde: Das Landgericht beendete die Beweisaufnahme bereits zu Beginn der vergangenen Woche und verurteilte die Angeklagten zu Bewährungsstrafen. Des Weiteren wurde eine einziehungsbeteiligte Bank dazu verpflichtet, einen dreistelligen Millionenbetrag zu bezahlen.

Dieses eilig anmutende Prozessende ist nicht unproblematisch, dient eine Hauptverhandlung doch der Wahrheitsfindung durch sorgfältige Beweisaufnahme, Beweiswürdigung und rechtliche Einschätzung. Eine künstliche (weil von der Pandemie verursachte) Beschleunigung führt zur Einschränkung der Wahrheitsfindung und vor allem auch zur Beschneidung der Rechte von Angeklagten wie auch der nebenbeteiligten Unternehmen.

Umgekehrt dürfte es sämtlichen Verfahrensbeteiligten – Gericht, Staatsanwaltschaft, Angeklagten, Nebenbeteiligten und Anwälten – kaum zuzumuten sein, in Zeiten behördlich eingeforderter Selbstisolation weitere Verhandlungstage in einem Sitzungssaal „eingepfercht“ zu sein und sich damit einer erhöhten Ansteckungsgefahr auszusetzen.

Verfassungsbeschwerde gegen Fortsetzung einer Hauptverhandlung erfolglos

Aus diesem Grund legte ein Angeklagter in einem anderen Verfahren gegen eine durch das Gericht zuvor beschlossene Fortsetzung der Hauptverhandlung Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht lehnte den Antrag aus formellen Gründen ab, die Hauptverhandlung wird fortgesetzt – trotz COVID-19 und der Risiken, denen sich die Verfahrensbeteiligten durch eine Hauptverhandlung ausgesetzt sehen (BVerfG, Beschl. v. 19. März 2020 – 2 BvR 472/20).

Bayerisches Justizministerium empfiehlt den Verzicht auf Hauptverhandlungen

Hingegen empfiehlt das bayerische Justizministerium, in Strafverfahren derzeit auf die Durchführung von Hauptverhandlungen zu verzichten. Diese sollen nur in Ausnahmefällen durchgeführt werden, wenn Angeklagte sich in Haft oder Unterbringung befinden, wenn die Verfolgung zu verjähren oder sonstiger Fristablauf droht oder wenn es sich um lang andauernde Verfahren handelt, die sich schon in einem fortgeschrittenen Stadium befinden und wegen zu langer Unterbrechung von neuem begonnen werden müssten.Zudem wird den Staatsanwaltschaften empfohlen, auf das schriftliche Strafbefehlsverfahren „auszuweichen“, anstatt Anklage mit der wahrscheinlicheren Folge einer mündlichen Hauptverhandlung zu erheben.

Auswirkung von COVID-19 auf Ermittlungsverfahren

Neben den Auswirkungen auf das strafgerichtliche Hauptverfahren bringt COVID-19 auch erhebliche Auswirkungen auf die weiteren Abschnitte des Strafverfahrens, insbesondere das Ermittlungsverfahren – den ersten Teil eines jeden Strafverfahrens – mit sich. Es ist bereits zum jetzigen Zeitpunkt spürbar, dass dieses deutlich entschleunigt wurde: Die Auswertung von Beweismitteln, die Sicherung forensischer Daten sowie auch die Würdigung der erhobenen Beweismittel ist verlangsamt, teilweise zum Erliegen gekommen. Das prozessuale Beschleunigungsgebot insbesondere in Haftsachen, also Angelegenheiten, in denen der Beschuldigte sich in Untersuchungshaft befindet, kann oftmals nicht eingehalten werden, sodass bereits U-Häftlinge entlassen wurden.

Praxishinweis

COVID-19 hat bereits und wird auch in Zukunft in derzeit nur schwer einzuschätzendem Maß Auswirkungen auch auf Strafprozesse und Strafverfahren mit sich bringen.Für die Fälle bereits eröffneter Hauptverfahren und laufender Hauptverhandlungen sieht die Bundesregierung nun mit dem dargestellten Gesetzesentwurf eine Regelung vor, um den Auswirkungen von COVID-19 auf diese Verfahren zu begegnen.Für die weiteren Phasen des Strafprozesses, insbesondere das Ermittlungsverfahren, auf das COVID-19 insbesondere durch Verfahrensverzögerungen Einschränkungen mit sich bringt, sind derzeit jedoch noch keine einheitlichen und verbindlichen Regelungen zum Umgang mit den dargestellten Corona-bedingten Problematiken getroffen oder ersichtlich; der Umgang der Justiz mit diesen ist derzeit und bleibt somit bis auf weiteres hier sehr unterschiedlich. Insoweit bleibt nur, die weitere Entwicklung abzuwarten und – trotz etwaiger COVID-19-bedingter Hürden – sicherzustellen, dass die Rechte des Beschuldigten und Angeklagten im gesamten Strafverfahren gewahrt werden.

Weitere Beiträge mit wichtigen Hinweisen finden Sie auf unserer Themenseite Corona-Virus: Was Unternehmen jetzt wissen müssen

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