14.12.2022Fachbeitrag

Die Zeche zahlt die Vermögensschadenhaftpflicht

Der folgende Artikel wurde am 14. November 2022 im Versicherungsmonitor erstveröffentlicht

Es ist mehr als nur ein Trend: Rechtsschutzversicherer gehen zunehmend dazu über, die Rechtsanwälte ihrer Versicherungsnehmer nach verloren gegangenen Prozessen in Regress zu nehmen. Vermögensschadenhaftpflichtversicherer beobachten diese Entwicklung mit Sorge. Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen.

Widerrufsjoker, Abgasskandal, zuletzt Wirecard – Klagewellen rollen mit immer größerer Geschwindigkeit durch die Republik. Leidtragende sind zumeist die Rechtsschutzversicherer, in deren Bilanzen sich die enormen Prozesskosten niederschlagen. Als wäre das noch nicht genug, kommt seit dem vergangenen Jahr auch noch eine Anhebung der anwaltlichen Gebührensätze hinzu. Mit Inkrafttreten des Kostenrechtsänderungsgesetzes zum 1. Januar 2021 haben sich die nach Rechtsanwaltsvergütungsgesetz abrechenbaren Anwaltsgebühren um durchschnittlich zehn Prozent erhöht.

Da kommen Möglichkeiten, sich schadlos zu halten, gerade recht. In der jüngeren Vergangenheit haben die Rechtsschutzversicherer vermehrt die Anwaltschaft als potenzielle Regressschuldner auserkoren. Ausgangspunkt ist dabei Paragraf 86 Abs. 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Hiernach gehen Ersatzansprüche des Versicherungsnehmers gegen einen Dritten auf den Versicherer über, soweit dieser den Schaden ersetzt. Die Überlegung der Rechtsschutzversicherer: Verliert der Versicherungsnehmer einen von ihm angestrengten Prozess, steht zu vermuten, dass er von seinem Anwalt nicht ordnungsgemäß über die Prozessrisiken aufgeklärt worden ist. Denn bei Kenntnis der fehlenden Erfolgsaussichten hätte der Versicherungsnehmer von der Weiterverfolgung seiner Ansprüche vernünftigerweise abgesehen.

In der Konsequenz wären dann auch die Prozesskosten nicht angefallen, die somit einen auf den Anwaltsfehler zurückzuführenden Schaden darstellen. Den Schadensersatzanspruch ihrer Versicherungsnehmer gegen deren Anwälte reklamieren die Rechtsschutzversicherer nach Begleichung der Prozesskosten unter Hinweis auf Paragraf 86 Abs. 1 VVG dann für sich. Es ist klar, wer schlussendlich „die Zeche“ zahlen muss: Es sind die hinter den Rechtsanwälten stehenden Vermögensschadenhaftpflichtversicherer.

Rückenwind erhalten die Rechtsschutzversicherer durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Herbst vergangenen Jahres. Mit Urteil vom 16. September 2021 (Az. IX ZR 165/19) hat der BGH das Vorgehen der Rechtsschutzversicherer grundsätzlich gebilligt. Selbst eine zuvor erteilte Deckungszusage hindert die Rechtsschutzversicherer nach Auffassung der obersten Richter nicht daran, die Anwälte ihrer Versicherungsnehmer aus übergegangenem Recht auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. Auf den ersten Blick sieht es also nach einem Punktsieg der Rechtsschutzversicherer aus.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn gleichzeitig hat der BGH noch einmal die hohen Hürden für einen erfolgreichen Anwaltsregress hervorgehoben. So haben die Richter betont, dass der Anwalt seinem Mandanten nur dann von der Geltendmachung vermeintlicher Ansprüche abraten muss, wenn das Vorgehen von vornherein aussichtslos ist. Hiervon kann wiederum erst dann ausgegangen werden, wenn es entgegenstehende höchstrichterliche BGH-Rechtsprechung gibt. In allen anderen Fällen ist die Geltendmachung von Ansprüchen legitim, sofern sich der Mandant der bestehenden Risiken bewusst ist, worüber regelmäßig Beweis zu erheben sein wird.

Auch die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden wird man nicht ohne Weiteres bejahen können. Denn bei Vorliegen einer Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers wird ein Mandant eher dazu bereit sein, sich auf einen Rechtsstreit mit ungewissen beziehungsweise geringen Erfolgsaussichten einzulassen. Zudem steht noch die vom BGH unbeantwortet gelassene Frage im Raum, ob die in Paragraf 254 Bürgerliches Gesetzbuch geregelten Obliegenheiten zur Schadenabwehr beziehungsweise -minderung ausnahmsweise auch den Rechtsschutzversicherer treffen können, wenn dieser die Möglichkeit hatte, die Entstehung des Anwaltshaftungsanspruchs durch eine frühzeitige Deckungsablehnung zu verhindern.

Im Duell Rechtsschutz versus Vermögensschadenhaftpflicht ist das letzte Wort also noch nicht gesprochen. Zumal die nächste Klagewelle nicht lange auf sich warten lassen wird.

 

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