21.12.2020Fachbeitrag

Update Restrukturierung 11/2020 und Update Versicherungsrecht

Sicherheit in schwieriger Zeit: BGH stärkt Versicherungsschutz für Geschäftsführer in Krisen-Unternehmen

Am 18. November 2020 stellte der Bundesgerichtshof (BGH) ausdrücklich klar, dass Haftungsansprüche für Zahlungen nach Insolvenzreife von der D&O-Versicherung gedeckt sind (Urteil vom 18. November 2020 – IV ZR 217/19). Damit erteilte der BGH einer insbesondere durch das OLG Düsseldorf vertretenen anderslautenden Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte eine klare Absage. Dies schafft für Geschäftsführer gerade in der Zeit der COVID-19-Pandemie eine zu begrüßende Sicherheit.

Ausgangslage: Haftung des Organs für Zahlungen nach Insolvenzreife mit dem Privatvermögen

Gemäß § 64 GmbHG haftet der Geschäftsführer persönlich für Zahlungen, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. Ausnahmen hiervon gibt es nur wenige. Die Geschäftsführer haften für diese Zahlungen mit ihrem gesamten Privatvermögen. Vergleichbare Vorschriften finden sich in §§ 92, 93 AktG, §§ 130a, 177a HGB und werden im Rahmen des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts über § 15b InsO-E vereinheitlicht.

D&O-Versicherung zum Schutz vor existenzbedrohender Haftung

Da eine persönliche Haftung für betroffene Organpersonen existenzbedrohende Wirkung haben kann, entwickelte sich in der Praxis ein Instrument zur Absicherung des Privatvermögens der Geschäftsführer: die Directors and Officers-Versicherung (D&O-Versicherung). Die D&O-Versicherung hat zwei Funktionen: Schutz des Privatvermögens des Organs und zugleich – aus Sicht der Gesellschaft und ihrer Gläubiger – Schaffung einer liquiden Haftungsmasse. 

Rechtsprechung des OLG Düsseldorf: Kein Versicherungsschutz unter den aktuellen Bedingungen der D&O-Versicherung

Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 20. Juli 2018 – 4 U 93/16) entschied jedoch, dass die Haftung gemäß § 64 GmbHG als „Ersatzanspruch eigener Art“ nicht von der D&O-Versicherung umfasst sei. Dies hatte zu Rechtsunsicherheit geführt. D&O-Versicherer waren zwar teils dazu übergegangen, klarstellende Klauseln in ihre Bedingungswerke aufzunehmen, in denen ausdrücklich geregelt wurde, dass Ansprüche nach § 64 GmbH versichert sind. Andere D&O-Versicherer nahmen die anderslautende Rechtsprechung jedoch zum Anlass, die Deckung der Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife zu verweigern. Damit entstand in der Folgezeit für die Organe eine gefährliche Situation: Existenzbedrohende Haftungsrisiken, jedoch kein korrespondierender Versicherungsschutz. 

Der Auslegung des OLG Düsseldorf schloss sich auch das OLG Frankfurt an. Der BGH erteilte dieser Interpretation jedoch eine klare Absage. 

Maßgebend für die Auslegung der Klausel: Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers/Versicherten 

Der BGH entschied, dass Ansprüche gemäß § 64 GmbHG unter dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag versichert seien. Nach der dort einschlägigen Klausel bestand Versicherungsschutz „für den Fall, dass eine versicherte Person wegen einer bei Ausübung der organschaftlichen Tätigkeit bei der Versicherungsnehmerin (…) begangenen Pflichtverletzung aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen für einen Vermögensschaden von der Versicherungsnehmerin oder einem Dritten (hierzu zählt auch der Insolvenzverwalter) auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird.“ Die Auslegung der Klausel ergebe für den durchschnittlichen, geschäftserfahrenen und mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertrauten Versicherungsnehmer/Versicherten einer D&O-Versicherung, dass der in § 64 Satz 1 GmbHG geregelte Anspruch ein solcher gesetzlicher Haftpflichtanspruch auf Schadensersatz sei.

Der Begriff „Schadenersatz“ ist weit zu verstehen und umfasst nach dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers/Versicherten Ansprüche nach § 64 GmbHG

Der in der Klausel verwendete Ausdruck „Schadensersatz“ verweise den Versicherten nicht auf den Bereich der Rechtssprache, weil es dort keinen in seinen Konturen eindeutig festgelegten Schadensersatzbegriff gebe. In der Umgangssprache umschreibe der Ausdruck allgemein den Ausgleich eines erlittenen Nachteils. Dementsprechend werde der Versicherungsnehmer/Versicherte Versicherungsschutz immer dann erwarten, wenn der gegen den Versicherten erhobene Anspruch auf Ausgleich des eingetretenen Nachteils im Wege der Wiederherstellung des Zustands vor dem Schadenereignis gerichtet sei. Anders werde der Versicherungsnehmer/Versicherte die Klausel auch nicht infolge der rechtsdogmatischen Einordnung des Anspruchs aus § 64 Satz1 GmbHG verstehen.

Maßgebend für die Auslegung der Klausel: Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers/Versicherten

Der Anspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG werde von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als „Ersatzanspruch eigener Art“ eingeordnet. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer/Versicherte könne und müsse solche rechtsdogmatischen Überlegungen beim Bemühen um das Verständnis der relevanten Klausel jedoch nicht anstellen. Für den Versicherungsnehmer/Versicherten hänge der Versicherungsschutz entscheidend davon ab, dass der Versicherte – wie im Falle des § 64 Satz 1 GmbHG – den Zustand vor Vornahme seiner pflichtwidrigen Zahlungen wiederherzustellen habe, gleichviel, ob dies der Gesellschaft oder den Gesellschaftsgläubigern zugutekomme.

Er werde deshalb auch nicht annehmen, dass gerade das für ihn bedeutende und potentiell existenzvernichtende Haftpflichtrisiko aus § 64 Satz 1 GmbHG von der Deckung der D&O-Versicherung deshalb ausgenommen sein solle, weil ein Vermögensschaden nicht bei der Versicherungsnehmerin, sondern bei den Gläubigern eingetreten sei. 

Stellungnahme

Die Entscheidung und die Begründung des BGH überzeugen. Aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers/Versicherten einer D&O-Versicherung umfasst der Versicherungsschutz, auch und gerade, Schadensersatzansprüche nach § 64 GmbHG wegen pflichtwidriger Zahlungen des Geschäftsführers nach Insolvenzreife. 

Gerade für Krisensituationen bedarf der Geschäftsführer eines möglichst lückenlosen Schutzes, weil die Führung und Sanierung einer Gesellschaft in der Krise erhebliche Haftungsrisiken birgt. Mit dem Versicherungsschutz geht nicht nur eine Sicherheit für das Privatvermögen des Geschäftsführers einher. Der Versicherungsschutz hat auch einen Vorteil für die Gläubiger der Gesellschaft, weil ihnen nicht nur das Privatvermögen des Geschäftsführers, sondern (mittelbar) auch die D&O-Versicherung haftet.

Ausblick und Auswirkungen für die Praxis

Die Versicherer werden sich auf die Rechtsprechung des BGH einstellen müssen. Soweit sie – unter Berufung auf die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf – zuletzt die Deckung verweigert hatten, werden die Versicherer ihre Deckungspflicht neu prüfen müssen. 

Im Hinblick auf die grundsätzliche Frage, ob Ansprüche aus § 64 GmbHG unter D&O-Versicherungen versichert sind, hat der BGH mit dem jetzigen Urteil für Rechtssicherheit gesorgt.

Fazit

Die Risiken des Alltagsgeschäfts einer Geschäftsführung in der Krise sind mit der Rechtsprechung des BGH nicht gelöst. Aus Sicht der Geschäftsführung bietet die Bejahung des Versicherungsschutzes für Zahlungen nach Insolvenzreife jedoch eine gerade in Zeiten der COVID-19-Pandemie nötige Absicherung. Aufgrund der Aussetzung der Antragspflicht (von der es wiederum Ausnahmen gibt) besteht derzeit ein erhöhtes Risiko für unerkannte Pflichtverletzungen und Insolvenzverschleppungen. Für die D&O-Versicherer, die sich zum D&O-Versicherungsschutz für Ansprüche aus § 64 GmbHG uneinheitlich positioniert hatten, herrscht nun ebenfalls Rechtssicherheit.

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