12.01.2023Fachbeitrag

Einer für Alle – Alle gegen Einen!

Der folgende Artikel wurde am 12. Dezember 2022 im Versicherungsmonitor erstveröffentlicht

Der kollektive Rechtsschutz gewinnt hierzulande weiter an Bedeutung – nicht zuletzt wegen der unmittelbar bevorstehenden Umsetzung der Europäischen Verbandsklagerichtlinie. Versicherer beobachten diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Die Sorge vor einer Klageindustrie nach US-amerikanischem Vorbild wächst.

Die EU-Richtlinie 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG sieht die Einführung einer neuen Sammelklage durch die EU-Mitgliedsstaaten vor. Qualifizierten Verbänden und Verbraucherzentralen soll die Möglichkeit eröffnet werden, die Ansprüche von Verbrauchern und kleinen Unternehmen gebündelt geltend zu machen. Die Umsetzung der Richtlinie muss bis zum 25. Dezember 2022 erfolgen. Spätestens am 25. Juni 2023 sollen die Vorschriften dann in Kraft treten. Die Zeit drängt also.

Wie die Umsetzung in das deutsche Recht im Einzelnen aussehen wird, ist derzeit noch Gegenstand politischer Diskussionen. Ausgehend von einem zwischenzeitlich bekannt gewordenen Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium sollen qualifizierte Verbände und Verbraucherzentralen klagebefugt sein, was zugleich die landläufig verwendete Begrifflichkeit „Verbandsklage“ erklärt. Teilweise wird auch von „Abhilfeklage“ gesprochen, weil den Verbrauchern durch die Erhebung einer auf Leistung gerichteten Klage unmittelbar Abhilfe verschafft werden soll (zum Beispiel in Form von Schadensersatz).

Die Klageerhebung steht unter der Bedingung, dass sich mindestens 50 Anspruchsberechtigte zusammenfinden, wobei sich auch kleine Unternehmen der Klage anschließen können. Weitere Voraussetzung ist, dass die Forderungen der betroffenen Verbraucher gleichartig sind. Es ist sicherlich keine allzu gewagte Prognose, dass sich am Kriterium der Gleichartigkeit in der Praxis das eine oder andere Mal die Gemüter erhitzen werden. Strittig ist bislang, wann und unter welchen Voraussetzungen sich Betroffene der Verbandsklage anschließen können.

Auch die Versicherungswirtschaft wird sich der Verbandsklage kaum entziehen können. So ist damit zu rechnen, dass versicherungsvertragliche Ansprüche künftig gebündelt geltend gemacht werden, soweit es sich dabei für die Betroffenen um gleichartige Forderungen handelt. Man denke in diesem Zusammenhang nur an die jüngste Klagewelle gegen Betriebsschließungsversicherer, die für eine Verbandsklage vermutlich prädestiniert gewesen wäre.

Auch eine mittelbare Betroffenheit der Versicherer ist denkbar. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn sich die Verbandsklage gegen einen haftpflichtversicherten Versicherungsnehmer richtet oder wenn dieser im Anschluss an ein Verbandsklageverfahren in Regress genommen wird. Und nicht zu vergessen sind schließlich die Rechtsschutzversicherer, an denen die sich abzeichnenden Neuerungen gewiss nicht spurlos vorbeigehen werden.

Aus dem Blickwinkel der Versicherer sind Sammelklagen ein zweischneidiges Schwert. Die mit der erleichterten Anspruchsdurchsetzung bezweckte Stärkung der Verbraucherrechte ist grundsätzlich begrüßenswert. Im Idealfall führt die Verbandsklage überdies zu einer Entlastung der Gerichte, die in der jüngeren Vergangenheit zunehmend an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen sind. So hat speziell die mit dem Diesel-Skandal einhergehende Klagewelle die Justiz mitunter regelrecht lahmgelegt.

Aber es gibt auch eine Kehrseite der Medaille: Verbraucherkanzleien und Unternehmen, die auf die Durchsetzung von Verbraucherrechten spezialisiert sind, stehen bereits in den Startlöchern. Für sie stellen Sammelklagen ein willkommenes Akquise-Tool dar. Denn während die Erhebung einer Individualklage gemeinhin Überwindung kostet, dürfte es Betroffenen um einiges leichter fallen, sich einer Sammelklage anzuschließen. Welche genauen Ausmaße diese erhöhte Bereitschaft zur Anspruchsdurchsetzung annehmen wird, wird sich aber vermutlich erst zeigen, wenn die Verbandsklage im Justizalltag angekommen ist. Und bis dahin wird es wohl noch eine Weile dauern.

 

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