17.04.2023Fachbeitrag

Update Kapitalmarktrecht Nr. 54

Zukunftsfinanzierungsgesetz: Comeback der Mehrstimmrechtsaktie

Am 12. April 2023 wurde der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen (Zukunftsfinanzierungsgesetz – ZuFinG) veröffentlicht. Durch das ZuFinG soll nach rund 25 Jahren die Mehrstimmrechtsaktie, die dem Aktionär über seinen Anteil am Grundkapital hinausgehende Stimmrechte gewährt, im deutschen Aktienrecht wieder zugelassen werden und greift damit eines der Themen des Entwurfes der Europäischen Kommission zum Listing Act (siehe hierzu auch unser Update Kapitalmarktrecht Nr. 50) auf. In der Praxis besteht insbesondere für Start-up und Wachstumsunternehmen vermehrt ein Bedürfnis nach Mehrstimmrechtsaktien. Dadurch können Gründer und Ankerinvestoren ihren Einfluss und die Kontrolle über die strategische Ausrichtung des Unternehmens behalten, sind aber gleichzeitig in der Lage über den Kapitalmarkt das für das Wachstum benötigte Eigenkapital einzusammeln.

Gegenwärtige Rechtslage

Nach dem deutschen Aktienrecht sind Mehrstimmrechtsaktien (dual class shares), also Aktien, die mehrere Stimmrechte je Aktie verbriefen, derzeit vorbehaltlos unzulässig. Jede Aktie gewährt in der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft eine Stimme (One Share, One Vote), sofern es sich nicht ausnahmsweise um stimmrechtslose Vorzugsaktien handelt. Das Verbot der Mehrstimmechte wurde vor rund 25 Jahren in das deutsche Aktienrecht übernommen. Bis dahin waren Mehrstimmrechtsaktien auch nach deutschem Recht zulässig. Im Jahr 2003 wurden sie dann mit der Begründung, dass Mehrstimmrechtsaktien die Kontrolle der Eigentümer über die Aktiengesellschaft unterwandern würden, vollständig aus dem deutschen Aktienrecht verbannt.

Das rechtliche Konstrukt der Mehrstimmrechte ist dem deutschen Gesellschaftsrecht abseits des Aktienrechts aber nicht fremd. Im Gegenteil: So kann etwa in der GmbH die Stimmkraft eines Geschäftsanteils auch unabhängig von der Höhe der Kapitalbeteiligungen bestimmt werden. Selbiges gilt auch für die europäische Aktiengesellschaft (Societas Europae (SE)), vorausgesetzt diese hat ihren Sitz in einem EU-Mitgliedsstaat hat, nach dessen Recht Mehrstimmrechtsaktien zulässig sind. Auch aus diesem Grund ist die GmbH bisher als Rechtsform für Start-ups in der Regel vorzugswürdig gegenüber einer Aktiengesellschaft.

Internationaler Vergleich

Auch im Ausland sind dual class shares durchaus üblich und am Kapitalmarkt anerkannt, so etwa in den USA, den Niederlanden, Schweden oder der Schweiz. Dabei beschränkt sich die Ausgabe von dual class shares nicht nur auf Start-ups und Wachstumsunternehmen. Auch große weltweit agierende Konzerne haben dual class shares ausgegeben. Man denke nur an den Tech-Konzern Meta, an dem Mark Zuckerberg nur rund 14 % der Aktien hält, sich aber über das Konstrukt der dual class shares die Mehrheit der Stimmrechte sicherte. Auch die Europäische Kommission hat daher in ihrem Richtlinienvorschlag zum Listing Act zumindest für noch nicht börsennotierte KMUs, deren Aktien in einen KMU-Wachstumsmarkt einbezogen werden sollen, die Zulässigkeit von Mehrstimmrechtsaktien vorgesehen.

Vorteile und Zielsetzung der Wiedereinführung von Mehrstimmrechtsaktien

Der Gesetzgeber möchte mit der Wiedereinführung der Mehrstimmrechtsaktien dem Bedürfnis insbesondere von Start-ups und Wachstumsunternehmen Rechnung tragen, die in besonderem Maße darauf angewiesen sind, effektiv Eigenkapital für ihr Wachstum über die Börse einzusammeln und es den Gründern gleichzeitig ermöglichen, auch nach einer erheblichen Aufnahme von Eigenkapital über den Kapitalmarkt die strategische Kontrolle über das Unternehmen zu behalten. Es ist ausgewiesenes Ziel des ZuFinG, insbesondere Start-ups, Wachstumsunternehmen sowie kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) als Treiber von Innovation den Zugang zum Kapitalmarkt und die Aufnahme von Eigenkapital zu erleichtern.

Gesetzlicher Anleger- und Minderheitenschutz

Der deutsche Gesetzgeber hat erkannt und im Referentenentwurf des ZuFinG berücksichtigt, dass Mehrstimmrechte nicht uneingeschränkt zuzulassen, sondern mit konkreten Vorgaben im Hinblick auf den Anleger- und Minderheitenschutz zu ergänzen sind und hat der Ausgestaltung von Mehrstimmrechtsaktien damit rechtliche Grenzen gesetzt.

Mehrstimmrechtsaktien bilden eine eigene Gattung von Aktien, die durch Satzungsregelungen geschaffen werden. Die Beschlussfassung über die Einführung der Mehrstimmrechtsaktien erfordert die Zustimmung aller betroffenen Aktionäre. Im Ergebnis können Mehrstimmrechtsaktien damit nicht gegen den Willen eines Aktionärs neu geschaffen werden. Das Einstimmigkeitserfordernis gilt auch bei einer Kapitalerhöhung, in deren Rahmen neue Mehrstimmrechtsaktien ausgegeben werden sollen. Im Hinblick auf einen etwaigen Börsengang und die damit einhergehende Streuung der Aktien der Gesellschaft wird davon auszugehen sein, dass Mehrstimmrechtsaktien praktisch nur im Vorfeld des Börsengangs geschaffen werden können, da im Nachgang zum Börsengang eine hundertprozentige Zustimmung der Aktionäre faktisch unmöglich sein wird.

Der Gesetzgeber hat zudem eine Begrenzung der erhöhten Stimmmacht pro Aktie in Höhe von maximal des Zehnfachen Stimmrechts der Nicht-Mehrstimmrechtsaktien vorgesehen. Das maximale Stimmverhältnis von 1:10 entspricht dem Ansatz im schwedischen Recht und soll sicherstellen, dass die Inhaber der Mehrstimmrechte für die Kontrolle zumindest einen relevanten Anteil am Grundkapital halten müssen.

Darüber hinaus sieht der Entwurf des ZuFinG eine Befristung der Mehrstimmrechte vor, um den Anlegerschutz zu stärken. Vorgesehen ist, dass die Mehrstimmrechte auf den Zeitraum von zehn Jahren nach Börsengang befristet werden und anschließend ipso iure erlöschen (sunset clause). Zudem ist im ZuFinG eine ereignisbezogene Beendigung der Mehrstimmrechte nach Börsengang vorgesehen, nämlich angeknüpft an die Übertragung der Mehrstimmrechtsaktien.

Fazit

Die Absicht des Gesetzgebers, Mehrstimmrechtsaktien nach rund 25 Jahren im deutschen Aktienrecht wieder zuzulassen, ist begrüßenswert. Gerade im internationalen Vergleich kann der dadurch erleichterte Zugang zu Eigenkapital über den Kapitalmarkt den Finanzstandort Deutschland, insbesondere bei (Tech-)Start-ups und kapitalintensiven Industrien, wettbewerbsfähig werden und attraktiv bleiben.

Das Zukunftsfinanzierungsgesetz soll noch in der ersten Hälfte der laufenden Legislaturperiode, d. h. bis spätestens Oktober 2023, in Kraft treten.

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