15.11.2022Fachbeitrag

Update Gesellschaftsrecht Nr. 34

Wer die Wahl hat, hat die Qual - Hauptversammlungsformate für die Saison 2023

Die Hauptversammlungssaison 2023 wird für Unternehmen eine besondere. Denn nach der jüngsten Änderung des Aktiengesetzes stehen erstmals diverse Varianten der Durchführung der Hauptversammlung zur Wahl. Auch unter Berücksichtigung der aktuellen COVID-19-Pandemieentwicklung sollte die Verwaltung daher frühzeitig abwägen, welches Hauptversammlungsformat für ihr Unternehmen in Betracht kommt. Dabei ist nicht nur über die eigentliche Form der Durchführung, virtuell, präsent oder hybrid zu entscheiden, sondern auch über diverse Detailfragen, wie etwa die Möglichkeit zur Fragestellung schon im Vorfeld oder nur während der Hauptversammlung. Dieser Artikel soll einen Überblick über die möglichen Hauptversammlungsformate und deren Vor- und Nachteile geben und eine Hilfestellung sein, das passende Format zu finden.

Überblick der Durchführungs-Varianten

Auf Grundlage des kürzlich in Kraft getretenen „Gesetzes zur zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung weiterer Vorschriften“ sind für die kommende Hauptversammlungssaison grundsätzlich drei Varianten der Durchführung der Hauptversammlung denkbar:

Die Hauptversammlung kann wie vor der Pandemie als reine Präsenzhauptversammlung abgehalten werden. Daneben besteht nunmehr auch abseits der COVID-19 Gesetzgebung, die bis Ende August dieses Jahres galt, die Möglichkeit Hauptversammlungen auch in rein virtueller Form durchzuführen. Dabei gibt es zwei wichtige Untervarianten, nämlich die Entscheidung Aktionärsfragen grundsätzlich nur im Vorfeld der Hauptversammlung (dazu sogleich) oder auch während der Hauptversammlung zuzulassen. Zudem besteht nunmehr auch die Möglichkeit, Präsenzhauptversammlungen und virtuelle Hauptversammlungen als hybride Hauptversammlung zu kombinieren. Welche Variante für das Unternehmen vorzugswürdig ist, hängt von den individuellen Umständen und nicht zuletzt auch von der aktuellen COVID-19-Pandemieentwicklung ab. Die Entscheidung über das Hauptversammlungsformat bedarf daher einer sorgfältigen Abwägung, bei welcher die jeweiligen Einzelfall-Umstände, wie beispielsweise die Unternehmensgröße und die Aktionärsstruktur angemessen zu berücksichtigen sind.

Die Präsenzhauptversammlung

Unverändert besteht, wie auch bisher, die Möglichkeit, die Hauptversammlung als klassische Präsenzversammlung durchzuführen. Die letzten drei Jahre waren von der COVID-19-Pandemie derart geprägt, dass Präsenzveranstaltungen, jedenfalls bei Publikumsgesellschaften, fast nicht durchführbar waren. Für die kommende HV-Saison besteht von Seiten der Unternehmen Zuversicht, wieder Präsenzveranstaltungen durchführen zu können. Denn virtuelle Begegnungen können, und dies zeigt die Veranstaltungserfahrung in Pandemiezeiten, den persönlichen Kontakt und den Austausch nicht im gleichen Maße ermöglichen.

Die rein virtuelle Hauptversammlung

Daneben besteht auf Grundlage der jüngsten Änderung des Aktiengesetzes die Möglichkeit, Hauptversammlungen auch abseits der sogenannten „Corona-Notfallgesetzgebung“, die in den letzten Jahren Anwendung fand, auch weiterhin rein virtuell abzuhalten. Die Durchführung einer rein virtuellen Hauptversammlung bedarf in Zukunft grundsätzlich einer entsprechenden Satzungsregelung. Allerdings hat der Gesetzgeber, um einen nahtlosen Übergang der Durchführung virtueller Hauptversammlungen auch in der kommenden Hauptversammlungssaison 2023 zu gewährleisten, eine Übergangsfrist vorgesehen. Das heißt: Gesellschaften können auch ohne eine ausdrückliche Satzungsregelung in der Hauptversammlungssaison 2023 ihre Hauptversammlung auf Grundlage der neuen Gesetzgebung rein virtuell durchführen.

Variationsmöglichkeiten der rein virtuellen Hauptversammlung

Die neue Gesetzgebung sieht eine Reihe von Variationsmöglichkeiten zur Durchführung der rein virtuellen Hauptversammlung vor:
So kann beispielsweise, und das ist ein ganz wesentlicher Punkt, der Vorstand entscheiden, Fragen der Aktionäre grundsätzlich nur im Vorfeld der Hauptversammlung zuzulassen. In der Versammlung selbst sind dann nur noch Nachfragen der Aktionäre zu ihren vorab gestellten und nun beantworteten Fragen sowie Fragen zu neuen Sachverhalten, d.h. zu Sachverhalten, die sich erst nach Ablauf der Einreichungsfrist für die Aktionärsfragen ergeben haben, zulässig Für diese Variante spricht sicherlich, dass sich die Verwaltung auf die Fragen und deren Beantwortung entsprechend vorbereiten kann. Auf der anderen Seite besteht das Risiko von ausufernden Fragekatalogen, denen gerade mittelständische Unternehmen im Vorfeld der Hauptversammlung nur schwer Herr werden können. Alternativ besteht die klassische Möglichkeit der Fragestellung wie bei der Präsenzversammlung im Rahmen der laufenden Versammlung. Hier wird die Praxis zeigen, welche Variante sich durchsetzt. Dies wird unter anderem auch von der Bereitschaft der Aktionäre, während des laufenden virtuellen Formats ihre Fragen zu stellen, abhängen. Auch das Zutrauen der Aktionäre in die technische Funktionsfähigkeit beim Stellen von Fragen während der virtuellen Hauptversammlung ist ein Abwägungspunkt. Hierzu bestehen derzeit noch keine zuverlässigen Erfahrungswerte, insbesondere ist zu befürchten, dass es vermehrt zu technischen Schwierigkeiten kommen kann.

Die hybride Hauptversammlung

Zu guter Letzt kann auch ein hybrides Format in Erwägung gezogen werden, bei welchem den Aktionären die Wahl eingeräumt wird, entweder persönlich vor Ort oder virtuell teilzunehmen. Die virtuelle Teilnahme ist dabei nicht auf eine reine Übertragung der Hauptversammlung mit der Möglichkeit zur Stimmabgabe, die wir aus der COVID-19-Notfallgesetzgebung kennen, beschränkt, sondern es kann sich, wie bei der rein virtuellen Versammlung, um eine echte virtuelle Teilnahme handeln, also auch unter Gewährung der Aktionärsrechte, wie etwa des Fragerechts und des Antragsrechts. Auch hier wird die Praxis bei der konkreten Durchführung vor hohe Herausforderungen gestellt, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten und allen Aktionären, seien sie präsent anwesend oder virtuell zugeschaltet, die Möglichkeit der Ausübung ihrer Rechte einzuräumen.

Die Wahl des passenden Hauptversammlungsformates ist eine Entscheidung, die Vorstand und Aufsichtsrat zu treffen haben und die einer sorgfältigen Abwägung und Auseinandersetzung mit den einzelnen Varianten und Variationen und deren Konsequenzen für die Rechte der Aktionäre bedarf.

So kann eine (rein) virtuelle Durchführung von Hauptversammlungen, wie auch die Vergangenheit gezeigt hat, durchaus Vorteile für die Gesellschaft bringen. Denn es besteht eine (wesentliche) Kostenersparnis und auch der operative Aufwand wird entsprechend verkürzt. Auch auf Seiten der Aktionäre können unnötige Reisekosten vermieden und auch solche Aktionäre, für die eine Anreise zur Hauptversammlung mit hohem Organisations- und Kostenaufwand verbunden wäre, können an der Hauptversammlung teilnehmen und sich entsprechend einbringen. Zudem liegt in einer virtuellen Durchführung auch die Möglichkeit, sich als IT-affines und mit Blick auf Nachhaltigkeitsaspekte ausgerichtetes Unternehmen im Markt darzustellen. Sicherlich ist hingegen auch in Betracht zu ziehen, dass es vermehrt technische Probleme bei der Durchführung geben könnte. Jedoch waren auch im Vorfeld der virtuellen Hauptversammlung aufgrund der COVID-19-Notfallgesetzgebung die Marktteilnehmer teilweise skeptisch und es war überraschend, wie schnell sich Dienstleister und Aktionäre auf das neue Format eingelassen haben.

Für die Präsenzhauptversammlung spricht, wie eingangs bereits erwähnt, natürlich der unerlässliche persönliche Kontakt zwischen Gesellschaft und Aktionariat. Dies kann ein virtuelles Format niemals ganz ersetzen. Oftmals ist auch die Lage der Gesellschaft, etwa, ob sich das Unternehmen gegebenenfalls in einer Krise befindet und auf besondere Unterstützung seiner Aktionäre angewiesen ist, ausschlaggebend. In solchen Fällen bietet es sich an, dass der Vorstand persönlich und „Auge in Auge“ zu seinen Aktionären spricht.

Ausblick

Eine hybride Ausrichtung vereint die Vor- auch Nachteile aus beiden Welten. Allerdings bestehen hier derzeit die meisten rechtlichen und auch technischen Herausforderungen.

Es bleibt daher abzuwarten, ob die Gesellschaften mutig sind, die Chancen der neuen Optionen für sich zu nutzen. Die Praxis der kommenden Hauptversammlungssaison 2023 wird sicherlich auch dazu beitragen, tatsächliche Durchführungsrisiken zu minimieren und auf Grundlage der lessons learned die individuelle Konzeptionierung künftiger Hauptversammlungen prägen.

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