12.05.2022Fachbeitrag

Update Energie Nr. 24

Novelle des Energiesicherungsgesetzes auf dem Weg

Heute (12. Mai 2022) entscheidet der Bundestag über die Novelle des Energiesicherungsgesetzes (EnSiG). Das EnSiG dient dazu, die Deckung des lebenswichtigen Bedarfs an Energie auch für den Fall zu sichern, dass die Energieversorgung unmittelbar gefährdet oder gestört ist und nicht mehr allein mit marktbasierten Maßnahmen gewährleistet werden kann. Das Gesetz wurde in der Zeit der Ölkrise im Jahr 1975 erlassen und spielte in den letzten Jahren und Jahrzehnten in der Praxis keine große Rolle. Aufgrund der derzeitigen weltpolitischen Lage ist das EnSiG nun jedoch wieder in den Fokus gerückt. Es soll an die aktuelle Situation und die konkrete Gefahr einer Unterbrechung der Energielieferungen aus Russland angepasst werden.

Der Gesetzesentwurf regelt eine Stärkung der im EnSiG enthaltenen Instrumente der Krisenbewältigung. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, wird zudem die Möglichkeit einer Treuhandverwaltung von Unternehmen der kritischen Infrastruktur und – als Ultima Ratio – auch die Möglichkeit einer Enteignung geschaffen. Zur kritischen Infrastruktur zählen im Gassektor die Bereiche Gasförderung, Gashandel, Gastransport und Gasverteilung sowie der Betrieb von Gasspeichern. Damit soll der Staat besser auf die teilweise unklaren Einfluss- und Rechtsverhältnissen bei bestimmten Betreibern kritischer Infrastrukturen reagieren können. Daneben ist die Möglichkeit für Preisanpassungen bei verminderten Gasimporten vorgesehen. Zudem wird eine digitale Plattform geschaffen, mit der im Notfall die Lastverteilung effektiv vollzogen werden kann.

Treuhandverwaltung

Nach § 17 EnSiG n.F. sollen Unternehmen der kritischen Infrastruktur unter eine Treuhandverwaltung gestellt werden können, „wenn die konkrete Gefahr besteht, dass ohne eine Treuhandverwaltung das Unternehmen seine dem Funktionieren des Gemeinwesens im Sektor Energie dienenden Aufgaben nicht erfüllen wird, und eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit droht“. Damit wird der tatsächliche Eintritt einer unmittelbaren Störung der Energieversorgung gerade nicht gefordert, es reicht vielmehr bereits die konkrete Gefahr einer Bedrohung der Versorgungssicherheit.

Die Treuhandverwaltung kann den Ausschluss oder die Übernahme von Stimmrechten und/oder die Übernahme der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis der Geschäftsleitung umfassen. Die Anordnung einer Treuhandverwaltung ist auf längstens sechs Monate zu befristen, kann aber verlängert werden.

Enteignungen

Zur Sicherung der Energieversorgung sind im Bereich der Kritischen Infrastruktur gemäß §§ 18 ff. EnSiG n.F. auch Enteignungen möglich. Die Enteignung ist nur zulässig, wenn sie zur Sicherung des Funktionierens des Gemeinwesens im Sektor Energie und zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit erforderlich ist und eine zeitlich begrenzte Treuhandverwaltung nicht hinreichend geeignet ist, diesen Zweck zu erfüllen.

Gegenstand einer Enteignung können insbesondere Unternehmen sein, die selbst oder durch verbundene Unternehmen kritische Infrastrukturen im Sektor Energie betreiben. Auch Gesellschaften, die von solchen Unternehmen abhängig sind, sind ein möglicher Enteignungsgegenstand. Für die Enteignung ist eine Entschädigung zu leisten. Enteignete Unternehmen sollen anschließend wieder privatisiert werden. Wichtig ist, dass eine solche Enteignung prinzipiell keine unmittelbaren Auswirkungen auf die zivilrechtlichen Verbindlichkeiten des betroffenen Unternehmens hat.

Preisanpassungen

Als weitere Maßnahme sieht der Gesetzesentwurf in § 24 EnSiG n.F. die Möglichkeit der Preisanpassung bei verminderten Gasimporten vor. Die entsprechende Regelung setzt die Ausrufung der Alarm- oder Notfallstufe gemäß Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland voraus. Zudem muss eine erhebliche Verminderung der Gesamtgasimportmengen durch die BNetzA festgestellt werden. Liegen diese Voraussetzungen vor, „haben alle hiervon betroffenen Energieversorgungsunternehmen entlang der Lieferkette das Recht, ihre Gaspreise gegenüber ihren Kunden auf ein angemessenes Niveau anzupassen“. Auf diese Weise sollen die für die Ersatzbeschaffung anfallenden Mehrkosten der Importeure über die Lieferkette auf die Allgemeinheit der Letztverbraucher umgelegt werden. Die Preisanpassungen sollen als marktbasiertes Instrument der Lastverteilung wirken, indem sie die Gasnachfrage preisgetrieben verringern und damit das Volumen ungeordneterer Abschaltungen reduzieren.

Teilweise wird von Marktteilnehmern jedoch befürchtet, dass die Dynamiken der vorgesehenen Preisrevisionsmechanismen mit hohen Risiken behaftet sind, sofern Handelsverträge nicht klar aus dem Anwendungsbereich der Norm herausgenommen würden. Auch die Darlegung der Angemessenheit der Anpassung auf der jeweiligen Lieferstufe dürfte in der Praxis schwierig sein und in vielen Fällen zu streitigen Auseinandersetzungen führen. Passt der Lieferant seine Preise an, steht dem Kunden jedenfalls ein außerordentliches Kündigungsrecht zu.

Stärkung europäischer Solidaritätsmechanismen

In § 2a EnSiG n.F. werden zudem Regelungen zur Stärkung der europäischen Solidaritätsmechanismen auf dem Erdgasbinnenmarkt im Kontext der europäischen Verordnung (EU) 2017/1938 (SoS-Verordnung) getroffen. Die SoS-Verordnung verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten, marktbasierte oder nicht marktbasierte Solidaritätsmaßnahmen zu ergreifen, um in Krisensituationen die Gasversorgung von schutzbedürftigen Kunden (z.B. Haushaltskunden) in unmittelbar angrenzenden Mitgliedstaaten sicherzustellen. Durch neue Rechtsverordnungen soll ein schneller und praktikabler Vollzug von Solidaritätsersuche an Deutschland nach dem EnSiG sichergestellt werden.

Zudem wird der Marktgebietsverantwortliche, wenn Deutschland andere EU-Mitgliedstaaten um die Anwendung von Solidaritätsmaßnahmen ersucht, verpflichtet, im Auftrag der Bundesnetzagentur und auf Rechnung des Bundes bei den zuständigen Stellen der anderen EU-Mitgliedstaaten Gasmengen, die für die Versorgung der geschützten Kunden in Deutschland notwendig sind, zu beschaffen oder diese Beschaffung zu unterstützen und den Transport der Gasmengen sicherzustellen.

Aufbau einer digitalen Plattform

§ 2b EnSiG n.F. regelt schließlich den Aufbau einer digitalen Plattform für Erdgas zur Umsetzung von Maßnahmen in einem Krisenfall. Einzelheiten sind in der ebenfalls aktualisierten Gassicherungsverordnung (GasSV) geregelt. Netzbetreiber, Bilanzkreisverantwortliche und größere Endkunden müssen sich auf der Plattform registrieren und bestimmte Daten hinterlegen, insbesondere Kontaktdaten, die für die Zustellung von Verfügungen erforderlich sind.

Die Plattform soll die Abwicklung marktbasierter Maßnahmen im Sinne des SoS-Verordnung ermöglichen, indem Gashändlern und Gaskunden die Möglichkeit gegeben wird, in einer Gasmangellage noch verfügbare Gasmengen freiwillig zum Verkauf anzubieten. Darüber hinaus dient die Plattform der Umsetzung nicht marktbasierter Maßnahmen auf der Basis von § 1 GasSV. Die Plattform kommt damit nicht nur im Zusammenhang mit nationalen Maßnahmen im Sinne des EnSiG zum Einsatz, sondern auch im Rahmen von europäischen Solidaritätsfällen gemäß der o.g. SoS-Verordnung. Die Plattform soll vom Marktgebietsverantwortlichen errichtet und betrieben werden.

Ausblick

Die Novelle des EnSiG wird – neben zahlreichen anderen energierechtlichen Gesetzesvorhaben – mit hohem politischem Druck vorangetrieben. Nach der heute erwarteten Verabschiedung durch den Bundestag muss dem Gesetzentwurf nun noch der Bundesrat zustimmen. Eine konkrete Terminierung ist bisher nicht ersichtlich. Es ist aber davon auszugehen, dass angesichts der politischen und wirtschaftlichen Brisanz des Themas eine zeitnahe Zustimmung des Bundesrates erfolgen wird. Die Änderungen des EnSiG sollen sodann am Tag nach der Verkündung in Kraft treten.

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