Schon vergeben?
Der Vergaberecht-Podcast von HEUKING
Unter dem Titel „Schon vergeben – Der Vergaberecht-Podcast von HEUKING“ erklärt der Podcast alle zwei Wochen praxisnah und auch für Einsteiger verständlich die Grundzüge des Vergaberechts.
Folge 51: Mehrfachbeteiligungen
In der 51. Folge unseres Vergaberechts-Podcasts besprechen Julian Groenick und Lukas Hünemeyer die Problematik der Mehrfachbeteiligung von Unternehmen an Vergabeverfahren.
Zunächst erläutern sie die grundlegenden Maßstäbe nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf und des EuGH. Daran anschließend behandeln sie die relevantesten Praxiskonstellationen.
Was ist eine Mehrfachbeteiligung und wo liegt das vergaberechtliche Kernproblem?
Unter Mehrfachbeteiligungen versteht man eine Vielzahl von Konstellationen, in denen sich ein Unternehmen an mehr als einem Angebot im Rahmen eines Vergabeverfahrens beteiligt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Unternehmen Teil einer Bietergemeinschaft ist, aber zusätzlich auch ein eigenes Angebot als Einzelbieter abgibt. Ebenso ist denkbar, dass ein Unternehmen an zwei Bietergemeinschaften beteiligt ist.
Mehrfachbeteiligungen können insbesondere im Hinblick auf das vergaberechtliche Gebot des Geheimwettbewerbs problematisch sein. Bei Mehrfachbeteiligungen ist häufig zu befürchten, dass das mehrfach beteiligte Unternehmen Informationen über das Angebot – beispielsweise die Preisgestaltung – eines anderen Bieters erhält. Wenn hinreichende Anhaltspunkte eines Verstoßes gegen den Geheimwettbewerb vorliegen, kann der Auftraggeber Unternehmen gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB ausschließen.
Frühere Rechtsprechung des OLG Düsseldorf: Unternehmen müssen unaufgefordert über Mehrfachbeteiligungen aufklären, ansonsten sind sie zwingend auszuschließen
Das OLG Düsseldorf hatte 2006 über einen Fall zu entscheiden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.07.2006 – VII Verg 23/06) bei dem zwei eng konzernverbundene Unternehmen jeweils ein Angebot abgegeben haben. Ihre enge Verbindung legten sie erst offen, nachdem der Auftraggeber eines der Angebote bereits ausgeschlossen hatte.
Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass es Unternehmen obliegt, unaufgefordert und bereits mit dem Angebot darzulegen, dass es den Geheimwettbewerb gewahrt hat. Andernfalls sei ein Unternehmen im Fall einer Doppelbeteiligung per se auszuschließen, ohne dass der Auftraggeber weitere Nachforschungen anstellen müsse.
Nach „Serratoni“-Entscheidung des EuGH: widerlegbare Vermutung für einen Verstoß gegen Vergaberecht
Der EuGH hat in der Folgezeit allerdings entschieden (EuGH, Urteil vom 23.12.2009 – C-376/08), dass ein pauschaler Ausschluss im Fall einer Mehrfachbeteiligung eines Unternehmens europarechtswidrig ist. Vielmehr bestehe in derlei Fällen lediglich eine widerlegbare Vermutung für einen Verstoß gegen den Geheimhaltungs- und Wettbewerbsgrundsatz. Im Falle von Mehrfachbeteiligungen müsse der Auftraggeber die jeweiligen Bieter vor einem Ausschluss anhören und ihnen so Gelegenheit gegeben, diese Vermutung auszuräumen.
In der Praxis dürfte es allerdings nur schwer möglich sein, die Vermutung eines Vergaberechtsverstoßes zu widerlegen.
Welche Konstellationen begegnen uns in der Praxis und wie sollten Vergabestellen und Unternehmen hiermit umgehen?
1. Verfahren mit Teilnahmewettbewerb
In einem Vergabeverfahren mit Teilnahmewettbewerb stellt sich das Problem einer Mehrfachbeteiligung zwar erst in der Angebotsphase. Denn erst nach der Aufforderung zur Angebotsabgabe ist eine unzulässige Einflussnahme auf die Angebotsbildung zu befürchten. Dennoch kann es sinnvoll sein, alle interessierten Unternehmen bereits im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs darauf hinzuweisen, welche Folgen unzulässige Mehrfachbeteiligungen haben können. So können die potenziellen Bieter informiert entscheiden, in welcher Konstellation sie ein Angebot abgeben wollen.
2. Besondere Konstellationen bei Losvergaben
Eine besondere Konstellation der Mehrfachbeteiligung lag dem Urteil des OLG Düsseldorf vom 28.05.2003 – VII Verg 8/03 zugrunde. In diesem Fall hatte der Auftraggeber den Bietern die Möglichkeit eröffnet, ihre Angebote entweder für einzelne Teillose oder die Leistungen der gesamten Lose abzugeben. Das OLG sah hierin einen Wettbewerb zwischen einer Gesamtvergabe und der losweisen Vergabe der Leistungen. Ein Unternehmen hatte zum einen ein Angebot für ein Einzellos abgegeben und war zum anderen auch an einer Bietergemeinschaft beteiligt, die ein Angebot für die Gesamtleistungen abgab. Das Gericht bewertete diese Konstellation als unproblematisch, da keine Identität zwischen dem Angebot für die Gesamtleistungen und dem Angebot für das Einzellos bestehe. Wir empfehlen, in der Praxis dennoch in jedem Einzelfall zu prüfen, ob ein Vergaberechtsverstoß vorliegen könnte.
3. Nachunternehmereinsatz und Mehrfachbeteiligung
Konstellationen, in denen ein Bieter gleichzeitig Nachunternehmer eines anderen Bieters ist, sind häufig eher unproblematisch. Ein Ausschluss des betreffenden Unternehmens ist grundsätzlich nicht erforderlich. In der Regel kennt ein Nachunternehmer nicht alle kalkulationsrelevanten Umstände des Angebots. Der Nachunternehmer ist regelmäßig nur für einen bestimmten Leistungsbereich zuständig und gibt nur für diesen seine eigene Preiskalkulation ab. In der Praxis sollten Vergabestellen jedoch prüfen, ob die jeweilige Einzelfallkonstellation unter Umständen abweichend davon zu bewerten ist. Erbringt ein Nachunternehmer tatsächlich einen erheblichen Teil der Hauptleistung selbst, kann er mitunter auch Einfluss auf die Angebotskalkulation nehmen.
4. Konzernverbundene Unternehmen
Sollte es sich bei zwei Bietern um konzernverbundene Unternehmen handeln, besteht auch hier keine generelle Offenlegungspflicht für die Bieter. Dennoch ist es für Unternehmen auch in diesem Fall ratsam, bereits frühzeitig darzulegen, weshalb in ihrem Fall der Geheimwettbewerb nicht beeinträchtigt ist, um das Risiko eines späteren Ausschlusses zu minimieren.
Für alle diese Fälle gilt: Auftraggeber sollten im Zweifel immer die betreffenden Bieter anhören und das Ergebnis der Anhörung in einem Vermerk festhalten.
Was kann die konkrete vergaberechtliche Rechtsfolge im Fall einer unzulässigen Mehrfachbeteiligung sein?
Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB kann ein Auftraggeber ein Unternehmen ausschließen, wenn er über hinreichende Anhaltspunkte verfügt, dass das Unternehmen mit anderen Unternehmen unzulässige Absprachen getroffen oder Verhaltensweisen abgestimmt hat. Bei § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB handelt es sich um einen fakultativen Ausschlussgrund, also einen nicht-zwingenden Ausschluss. Allerdings wird das Ermessen des öffentlichen Auftraggebers in dem Fall, dass hinreichende Anhaltspunkte für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen bestehen in der Regel auf null reduziert sein. Das bedeutet, der Auftraggeber ist in seiner Entscheidung gebunden und muss den Bieter ausschließen.
Auf Tatbestandsebene hat der öffentliche Auftraggeber hingegen einen größeren Spielraum. Denn hinreichende Anhaltspunkte liegen erst vor, wenn sie so konkret und aussagekräftig sind, dass die Verwirklichung eines Kartellverstoßes zwar noch nicht feststeht, hierüber aber nahezu Gewissheit besteht.
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