07.10.2022Fachbeitrag

Update Restrukturierung 4/2022

Temporäre Änderung des Prognosezeitraums bei der Fortbestehensprognose

Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat zu einer massiven Energiekrise geführt. Hinzu kommen immer noch nicht völlig stabilisierte Lieferketten, eine explodierende Inflation und ein unsicheres politisches Umfeld. All das macht es für Geschäftsleiter schwierig, längere Prognosen für den Geschäftsverlauf und mitunter sogar die weitere Zahlungsfähigkeit zu stellen. Da daran aber die Insolvenzantragspflicht und mit ihr erhebliche Haftungsrisiken hängen, soll nunmehr (befristete) Entlastung beim kritischen Insolvenzgrund der Überschuldung kommen.

Haftungsrisiken für Geschäftsleiter in der Krise

Geschäftsleiter juristischer Personen und kapitalistisch verfasster Personengesellschaften sind nach § 15a InsO verpflichtet, bei Eintritt von Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO) binnen längstens drei bzw. sechs Wochen einen Insolvenzantrag zu stellen, wenn der Insolvenzgrund nicht beseitigt werden konnte. Stellen sie den Insolvenzantrag nicht rechtzeitig, was auch vor Ablauf der Frist sein kann, machen sie sich gem. § 15a Abs. 4, 5 InsO strafbar und nach § 15b InsO grundsätzlich für alle seither erfolgten Auszahlungen haftbar.

Problem Überschuldung – Fortbestehensprognose

Während der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit regelmäßig noch recht eindeutig zu ermitteln ist, gilt das für den der Überschuldung nicht. Gem. § 19 InsO besteht nämlich trotz rechnerischer Überschuldung keine Insolvenzantragspflicht, wenn eine sogenannte positive Fortbestehensprognose besteht. Diese ist gegeben, wenn das Unternehmen im maßgeblichen Prognosezeitraum seinen Zahlungspflichten voraussichtlich vollständig nachkommen kann, d. h. nicht zahlungsunfähig wird.

Erste Erleichterung durch das SanInsFoG

Der maßgebliche Prognosezeitraum beträgt seit dem 1. Januar 2021, dem Inkrafttreten des SanInsFoG, zwölf Monate. Vorher wurden Zeiträume von sechs bis 18 Monaten und sogar Pflicht zur unbegrenzten Vorausschau vertreten.

Durch die gesetzliche Definition der Länge des Prognosezeitraums hat das SanInsFoG die Rechtssicherheit erhöht und das Haftungsrisiko reduziert. Gleichwohl wurden noch im Gesetzgebungsprozess Stimmen laut, die auf die Abschaffung des zwingenden Insolvenzgrundes der Überschuldung, zumindest aber die weitere Verkürzung des Prognosezeitraums drängten.

Weitere Erleichterung diskutiert

Diese Stimmen wurden mit Ausbruch des Ukrainekrieges und der sich sehr schnell abzeichnenden wirtschaftlichen Probleme in seiner Folge lauter. So empfahl z. B. der TMA Deutschland e.V., eine Vereinigung von Sanierungsfachleuten, schon im Frühjahr eine vorübergehende Verkürzung des Prognosezeitraums auf drei Monate (s. hierzu unser Update 3/2022). Andere Berufsverbände schlossen sich dem an.

Erleichterungen kommen – befristet bis zum 31. Dezember 2023

Nachdem diese Vorstöße lange ungehört verhallten, haben sich Bundesregierung und die Regierungsfraktionen nun auf eine befristete Anpassung des Überschuldungstatbestands verständigt. Danach wird

  • der Prognosezeitraum von zwölf auf vier Monate herabgesetzt und
  • die Insolvenzantragsfrist bei Überschuldung von sechs auf acht Wochen erhöht.

Das soll auch für Unternehmen gelten, bei denen bereits vor dem Inkrafttreten der Änderung eine Überschuldung vorlag, der für eine rechtzeitige Insolvenzantragstellung maßgebliche Zeitpunkt aber noch nicht verstrichen ist.

Die Regelungen sind bis zum 31. Dezember 2023 befristet. Allerdings wird schon in der Gesetzesbegründung darauf hingewiesen, dass die Erleichterung häufig bereits ab dem 
1. September 2023 an Wirksamkeit verlieren wird, da dann im vier Monatszeitraum der Rückschlag auf die alte Regel, zwölf Monate, kommt.

Haftungsrisiko für Geschäftsleitungsorgane verringert

Mit der Reduzierung des Prognosezeitraums auf vier Monate verringert sich das Haftungsrisiko für Geschäftsleiter im Hinblick auf eine mögliche Überschuldung erheblich. Die Planungsunsicherheiten für zwölf Monate sind viel höher als für vier Monate. Mit der Verkürzung wird das nachträgliche „Vorwurfspotential“ gegenüber Geschäftsleitern, deren Planung nicht aufgegangen ist und die deshalb am Ende doch Insolvenz anmelden mussten, geringer.

Pflicht zur längerfristigen Planung bleibt – haftungsbewährt

Diese insolvenzrechtliche Erleichterung enthebt die Geschäftsleiter aber nicht von der Pflicht zur längerfristigen Planung. Nach § 1 StaRUG müssen die Geschäftsführungsorgane fortlaufend krisenindizierende Entwicklungen überwachen und sich so ausrichten, dass bestandsgefährdende Umstände und Entwicklungen so frühzeitig erkannt werden, dass noch geeignete Maßnahmen zur Sicherung des Fortbestandes der Gesellschaft ergriffen werden können. Dafür wird regelmäßig ein Planungszeitraum von 24 Monaten und aktuell häufig ein Planen in und mit Szenarien erforderlich sein. 

§ 1 StaRUG konkretisiert die Geschäftsleiterpflichten nach § 43 GmbHG, § 91 AktG, so dass weiterhin eine langfristige Ertrags- und Liquiditätsplanung, die Einrichtung eines Systems zur Früherkennung von Krisenanzeichen sowie – bei deren Vorliegen – die möglichst frühzeitige Bestimmung und Ergreifung von Sanierungsmaßnahmen zur Haftungsvermeidung erforderlich ist. Hierfür sollten Geschäftsleiter auch externen Sachverstand hinzuziehen.

Fazit und Praxishinweis

Im Ergebnis müssen Geschäftsleiter auch weiterhin ihre Unternehmensplanung über deutlich mehr als vier Monate, regelmäßig über 18 - 24 Monate erstrecken. Allerdings verringert sich der Anwendungsbereich der digitalen Entscheidung – Insolvenz: ja/nein? – deutlich. Damit wird den betroffenen Unternehmen, deren Gläubigern und Eigentümern mehr Zeit für Sanierungsverhandlungen und Maßnahmen zur Vermeidung eines Insolvenzverfahrens eingeräumt. Das ist im Interesse aller Beteiligten – nicht zuletzt zur Erhaltung des Unternehmens und der damit verbundenen Arbeitsplätze in Deutschland – gut.

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