07.06.2022Fachbeitrag

Update Restrukturierung 3/2022

Aktueller Umgang mit der Fortbestehensprognose

Zur Überschuldungsprüfung angesichts geopolitischer Krisen 

Der Krieg in der Ukraine stellt die Welt weiterhin vor geopolitische und gesamtwirtschaftliche Herausforderungen, die auch Auswirkungen auf die Fortbestehensprognose als Teil der Überschuldungsprüfung nach deutschem Insolvenzrecht haben können. Vor diesem Hintergrund werden nun Rufe nach einer zumindest temporären Anpassung der geltenden Regelungen laut.

Insolvenzantragspflicht bei Eintreten von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung

§ 15a Abs. 1 InsO sieht eine Insolvenzantragspflicht für Organe juristischer Personen und kapitalistisch verfasster Personengesellschaften (AG, GmbH, GmbH & Co. KG) im Fall des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder der Überschuldung (§ 19 InsO) vor. Eine insolvenzrechtliche Überschuldung liegt gemäß § 19 Abs. 1 InsO vor, soweit eine Gesellschaft rechnerisch überschuldet ist und keine „positive Fortbestehensprognose“ mehr besteht. Eine positive Fortbestehensprognose ist gegeben, wenn das Unternehmen aufgrund einer realistischen Ertrags- und Liquiditätsplanung über einen Prognosezeitraum von mindestens 12 Monaten überwiegend wahrscheinlich in der Lage ist, seine Verbindlichkeiten bei Fälligkeit zu erfüllen, also zahlungsfähig zu bleiben. 

Pflicht zur „Notgeschäftsführung“ birgt Haftungsrisiken und zieht andere Unternehmen in Mitleidenschaft

Löst ein Wegfall der positiven Fortbestehensprognose eine insolvenzrechtliche Überschuldung aus, so führt dies auch zur Pflicht für Geschäftsführungsorgane, die vorhandene Vermögensmasse zu sichern und alle Zahlungen zu unterlassen, die nicht betriebsnotwendig sind (§ 15b InsO). Durch die Pflicht zur Umstellung auf eine solche „Notgeschäftsführung“ werden nicht nur erhebliche Haftungsrisiken für die handelnden Organe begründet. Eine eintretende Massesicherungspflicht kann sich mittelbar z.B. auch auf Kunden und Lieferanten des betroffenen Unternehmens auswirken und diese ebenfalls in wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen.

Restrukturierungsbranche sieht fehlende Prognostizierbarkeit und dadurch entweder erhöhte Haftungsrisiken für Geschäftsleiter oder im Kern unnötige Insolvenzanträge

Angesichts der zu beobachtenden anhaltenden erheblichen Preissteigerungen z.B. an den internationalen Energiemärkten, und der zusätzlichen Belastungen der weltweiten Lieferketten durch den Krieg in der Ukraine und die Auswirkungen der Corona-Pandemie ist häufig die erforderliche Prognosesicherheit für einen Zeitraum von 12 Monaten nicht mehr gewährleistet. Dies stellt deutsche Unternehmen und deren Geschäftsleitungen vor rechtssicher nur schwer zu lösende Probleme. Diese Gemengelage wird mit Blick auf mögliche Unterbrechungen der Öl- und Gasversorgung noch verschärft. Aufgrund der erheblichen prognostischen Unsicherheiten und der mangelnden Planbarkeit sehen sich nach aktueller Einschätzung des Vereins für Restrukturierung – TMA Deutschland e.V. (TMA) viele Geschäftsleiter derzeit vor der Entscheidung, entweder mit erheblichem persönlichen Risiko auf Basis von Annahmen „auf Sicht zu fahren“ oder auf Grund fehlender Prognostizierbarkeit der Liquiditätsentwicklung zur Vermeidung einer persönlichen Haftung ggf. sogar einen Insolvenzantrag wegen Überschuldung für im Kern „gesunde“ Unternehmen zu stellen. 

Vorschlag: Reduktion des Prognosezeitraums auf 3 Monate

Auf diese Lage hat TMA auch das Bundesministerium der Justiz hingewiesen und den Vorschlag unterbreitet, zur Vermeidung marktwirtschaftlich nicht gebotener Insolvenzantragstellungen und zur haftungsrechtlichen Entlastung von Geschäftsleitern den Prognosezeitraum im Rahmen des Überschuldungstatbestandes vorübergehend auf z.B. drei Monate zu verkürzen. Für eine erneute Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, wie zum Beispiel im Rahmen der COVID-19-Pandemie, sieht die TMA indes keine Veranlassung. Eine grundsätzliche Abschaffung des Überschuldungstatbestandes, die auch immer wieder diskutiert wird, würde eine damit zu verbindende Neuregelung des Haftungsregimes für Geschäftsleiter erfordern, für die Auch nach Auffassung der TMA die notwendige Zeit zur ausführlichen Diskussion fehle.

Offen, ob Gesetzgeber Initiative aufgreift

Es bleibt abzuwarten, ob der artikulierte Vorschlag in der politischen Diskussion und sodann vom Gesetzgeber aufgegriffen werden wird. Initiativen zu einer Neugestaltung, temporären Aussetzung oder sogar Abschaffung des Insolvenzgrundes der Überschuldung gibt es immer wieder. Bisher scheint es dafür aber keine Mehrheiten zu geben.

Praxishinweis

Geschäftsleiter müssen weiterhin auch angesichts geopolitischer oder gesamtwirtschaftlicher Krisen eine positive Fortbestehensprognose über 12 Monate darstellen können. Die Planung hat angesichts der anhaltenden Krisen besonders sorgfältig zu erfolgen und ist – wie auch bisher –laufend an sich verändernde Gegebenheiten anzupassen. Eine fortlaufende und engmaschige Kontrolle der laufenden Planung ist daher zwingend erforderlich. Im Zweifel sollten Geschäftsleiter auch externen Sachverstand zur Überprüfung und Bestätigung ihrer Annahmen hinzuziehen. Hier bestehen nicht zu unterschätzende Haftungsgefahren, denen durch eine gründliche Dokumentation vor allem der getroffenen Planannahmen zu begegnen ist.

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