13.11.2023Fachbeitrag

"Unternehmen begeben sich deutlich zu spät in Beratung"

Dieses Interview wurde im Anwalt Aktuell (Ausgabe 05/23) erstveröffentlicht

Konjunktur. Der ökonomische Motor Europas – die deutsche Wirtschaft – schwächelt. Insolvenz- und Sanierungsberater Professor Georg Streit nennt im Gespräch mit ANWALT AKTUELL die wesentlichsten Gründe, warum es nicht so rund läuft wie früher.

Anwalt Aktuell: Herr Professor Streit, befindet sich die deutsche Wirtschaft in einer Rückwärtsentwicklung?

Georg Streit: Ich bin nicht sicher, ob es nach rückwärts geht. Es ist auf jeden Fall keine gute Entwicklung. Wir haben eine Stagflation, die Inflation ist immer noch viel zu hoch, das Wachstum viel zu klein, eventuell negativ. Technisch gesehen sind wir in einer Rezession, sodass man auf jeden Fall sagen kann: Die Entwicklung ist nicht nur unbefriedigend, sondern durchaus auch besorgniserregend.

Anwalt Aktuell: Immer mehr Unternehmen geraten, wie man hört, in Schieflage. Zieht das Geschäft für Sie als Insolvenz- und Restrukturierungsex­perte an?

Georg Streit: Das kann man sagen. Wir beobachten seit einigen Quartalen den Anstieg der Zahl von Insolvenzen, allerdings von einem historisch niedrigen Niveau während der Corona-Zeit, als die Insolvenzgründe als Auslöser einer Insolvenz teilweise ausgesetzt waren. Die Insolvenzen, die wir zu verzeichnen haben, sind oft solche, bei denen man kaum noch restrukturieren kann. Festzustellen ist, dass sich die Unternehmen deutlich zu spät in die Beratung begeben, nämlich erst, wenn schon eine akute Liquiditätskrise vorliegt.

Anwalt Aktuell: Nun gilt gerade die deutsche Wirtschaft als besonders robust und der deutsche Unternehmer als sehr ernsthaft. Wo liegen also die wesentlichen Ursachen für Insolvenzen?

Georg Streit: Vielfach sind Anpassungen an sich verändernde Rahmenbedingungen zu spät vollzogen worden. Wir beobachten auch, dass während der Pandemie und der nachfolgenden Zeit mit Ukraine-Krieg und Energiekrise eine gewisse Liquiditätsschwemme vorhanden war, sodass auch schwache Unternehmen, die einen dringenden Anpassungsbedarf gehabt hätten, über mehr Liquidität verfügten als zuvor, weshalb notwendige Entwicklungen nicht eingeleitet worden sind. Die deutsche Wirtschaft insgesamt ist durchaus robust und man muss sich nicht insgesamt um sie sorgen, aber um etliche Branchen und jene Unternehmen, die die Entwicklung verschlafen haben. Auch um Betriebe, die vorwiegend mit Fremdkapital finanziert sind, muss man sich Sorgen ­machen.

Schwierigkeiten gibt es im Automobilsegment, unserer Kernindustrie, und bei ihren Zulieferern. Hier besteht Handlungsbedarf.

Dann ist der gesamte Real-Estate-Bereich stark unter Druck geraten, insbesondere Projektentwickler, aber auch Bauunternehmen oder Abbruchunternehmen sowie das Handwerk, nachdem es dort jahrelang starke Preissteigerungen gegeben hatte. Wir werden sehen, ob sich die Preise wieder mäßigen. Bisher ist wegen der starken Inflation allerdings noch ein weiteres Steigen der Preise zu beo­bachten, weshalb viele geplante Projekte nicht realisiert werden können.  Neben der ­Autoindustrie und Baubranche ist unbedingt auch der Retail-Sektor zu nennen.

Wer hier nicht rechtzeitig den Umstieg zum Internethandel vollzogen hat ist jetzt in Schwierigkeiten. Die hohe Inflation führt zu Kaufzurückhaltung bei bestimmten Konsumgütern, sodass hier auch weitere ­Krisen vorprogrammiert sind.

Anwalt Aktuell: Wie viele der von Ihnen beratenen Unternehmen schaffen es ohne Insolvenz?

Georg Streit: Die deutlich überwiegende Zahl der Unternehmen schafft die Restrukturierung ohne Insolvenz. Im Falle der Insolvenz haben wir auch sehr gute Sanierungsinstrumente, Stichwort „Schutzschirmverfahren“ oder „Insolvenzplansanierung“, kombiniert mit der Eigenverwaltung.

Insolvenzen, die sich nicht verhindern lassen, ereignen sich hauptsächlich bei Unternehmen, deren Geschäftsmodelle nicht mehr tragfähig sind.

Anwalt Aktuell: Sie haben einen guten Einblick in die Fehler, die Unternehmen bzw. Unternehmer machen. Welche Gründe führen ins Unheil?

Georg Streit: Es gibt hier keine „typischen“ Fehler. Es sind meist mehrere Gründe, die ineinandergreifen. Was viele Unternehmen, die in Insolvenz müssen, verbindet, ist eine fehlende Vorausschau. Grundsätzlich ist es wichtig, auf den Markt voraus zu schauen, Krisen frühzeitig zu erkennen, Krisenfrühwarninstrumente zu implementieren und dann auch rechtszeitig zu reagieren. Wichtig ist auch, keine Angst vor dem Sanierungsberater zu haben. Zu beklagen ist nämlich, dass viele Unternehmen deutlich zu spät in unsere Beratung kommen.

Anwalt Aktuell: Bei uns in Mitteleuropa sind Insolvenz und Konkurs Schimpfworte. In anderen Weltgegenden sieht man darin den Ansporn, wieder aufzustehen und weiterzumachen…

Georg Streit: Das ist so. Ich habe dies schon frühzeitig festgestellt, im Zuge meiner rechtsvergleichenden Promotion im Bereich des Verbraucherinsolvenzrechts und der Verbraucherverschuldung. Ich bin auch mehrfach in den USA gewesen und habe dort Studien betrieben. Die Kultur des Scheiterns, nicht als persönliche Niederlage, sondern als eine Erfahrung, die auch in der Zukunft bereichernd wirken kann, ist in den USA ausgeprägt.

Bei uns in Deutschland und möglicherweise auch in Österreich wird das anders gesehen.

Das ist aber zu beklagen. Denn wer einmal ein unternehmerisches Scheitern erlebt hat, ist oft viel besser aufgestellt, um Krisen in der Zukunft zu begegnen.

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