27.04.2023Fachbeitrag

Update Kartellrecht, 27. April 2023

Öffentliche Vergabeverfahren: Überblick über die neuen Überprüfungsmöglichkeiten im Rahmen der Verordnung über drittstaatliche Subventionen („FSR“)

I. Überblick

In unserem Newsletter vom 9. März 2023 haben wir einen Überblick über die Auswirkungen der Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen (Verordnung (EU) 2022/2560; "Foreign Subsidies Regulation – FSR") auf M&A-Transaktionen gegeben. Die Verordnung ist ein relativ neuer Bereich des EU-Rechts, der einen fairen Wettbewerb innerhalb des EU-Binnenmarktes gewährleisten soll, indem er Verzerrungen durch drittstaatliche Subventionen verhindert.

Die Verordnung führt aber nicht nur zu einer weiteren Meldepflicht für M&A-Transaktionen, sondern soll außerdem sicherstellen, dass die Vergabe von Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen durch die öffentliche Hand in der EU in wettbewerbsorientierter, transparenter und diskriminierungsfreier Weise erfolgt. Die Verordnung stellt damit neue Anforderungen an öffentliche Vergabeverfahren, die wir im Detail vorstellen.

Nach Einreichung einer entsprechenden Meldung oder Erklärung durch ein Unternehmen, das an einem öffentlichen Vergabeverfahren teilnimmt („Wirtschaftsteilnehmer“), prüft die Europäische Kommission, ob finanzielle Zuwendungen von Nicht-EU-Staaten das Unternehmen in die Lage versetzen, ein Angebot einzureichen, das in Bezug auf die betreffenden Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen ungerechtfertigt günstig ist. In diesem Fall geht die Verordnung davon aus, dass die drittstaatlichen Subventionen ein öffentliches Vergabeverfahren verzerren oder zu verzerren drohen.

Die FSR ist am 12. Januar 2023 in Kraft getreten und gilt für Vergabeverfahren, die ab dem 12. Juli 2023 eingeleitet werden.

Ab diesem Datum kann die Europäische Kommission von Amts wegen Untersuchungen von Sachverhalten einleiten (und Ad-hoc-Meldungen für Sachverhalte verlangen, die nicht die unten genannten Schwellen erreichen), bei denen der Verdacht besteht, dass wettbewerbsverzerrende drittstaatliche Subventionen vorliegen. Von Amts wegen eingeleitete Prüfungen öffentlicher Vergabeverfahren sind auf vergebene Aufträge beschränkt.

Vorherige Meldungen bzw. Erklärungen durch Unternehmen im Zusammenhang mit öffentlichen Vergabeverfahren müssen ab 12. Oktober 2023 erfolgen.

II. Meldepflicht in öffentlichen Vergabeverfahren

Unternehmen müssen drittstaatliche finanzielle Zuwendung im Rahmen von öffentlichen Vergabeverfahrens melden, wenn folgende Schwellenwerte erreicht werden:

1. der geschätzte Wert des Auftrags oder der Rahmenvereinbarung oder einer einzelnen Auftragsvergabe über das dynamische Beschaffungssystem beträgt mindestens 250 Mio. EUR

und

2. dem Wirtschaftsteilnehmer wurden in den letzten drei Jahren finanzielle Zuwendungen von insgesamt mindestens 4 Mio. EUR pro Drittstaat gewährt.

Wenn der Auftrag in Lose unterteilt wurde, so muss der geschätzte Wert des Auftrags mindestens 250 Mio. EUR und der Wert des Loses oder der Gesamtwert aller Lose, um die sich der Bieter bewirbt, mindestens 125 Mio. EUR betragen.

Der Begriff der finanziellen Zuwendung ist äußerst weit gefasst. Er umfasst neben Geldern oder Verbindlichkeiten (z. B. Kredite, Kreditgarantien oder Schuldenerlass) auch die Bereitstellung sowie den Erwerb von Waren und Dienstleistungen.

Zu beachten ist, dass bei den finanziellen Zuwendungen an den Wirtschaftsteilnehmer auch seine wirtschaftlich unselbständigen Tochtergesellschaften, Beteiligungsgesellschaften und gegebenenfalls Hauptunterauftragnehmer und Hauptlieferanten, die an demselben Angebot im Rahmen des öffentlichen Vergabeverfahrens beteiligt sind, ankommt. Dies bedeutet, dass die finanziellen Zuwendungen an verschiedene Tochter- oder Muttergesellschaften zusammengefasst werden.

III. Verfahren

Wenn die Schwellenwerte erfüllt sind, müssen die an einem öffentlichen Vergabeverfahren teilnehmenden Unternehmen dem (öffentlichen) Auftraggeber alle drittstaatlichen finanziellen Zuwendungen melden. Wenn die Schwellenwerte nicht erreicht werden, führen die Wirtschaftsteilnehmer in einer Erklärung alle erhaltenen drittstaatlichen finanziellen Zuwendungen auf und bestätigen, dass die Schwellenwerte nicht erreicht werden.

Die Meldung oder Erklärung über die Zuwendungen leitet der Auftraggeber wiederum unverzüglich an die Europäische Kommission weiter. Die Europäische Kommission überprüft die Vollständigkeit und führt dann zunächst innerhalb einer Frist von 20 Arbeitstagen eine Vorprüfung durch. Hält die Europäische Kommission eine eingehende Prüfung für erforderlich, so ist diese im Regelfall innerhalb von 110 Arbeitstagen nach Eingang der Meldung abzuschließen.

Während der Prüfung darf das Vergabeverfahren zwar fortgesetzt, der Auftrag aber noch nicht vergeben werden. Während der eingehenden Prüfung darf der Auftrag nicht an ein Unternehmen vergeben werden, das drittstaatliche Subventionen erhalten hat.

IV. Materielle Prüfung

Eine drittstaatliche Subvention liegt vor, wenn ein Drittstaat direkt oder indirekt eine finanzielle Zuwendung gewährt, die einem Unternehmen, das eine wirtschaftliche Tätigkeit auf dem Binnenmarkt ausübt, einen Vorteil verschafft und die rechtlich oder faktisch auf ein einzelnes Unternehmen oder einen einzelnen Wirtschaftszweig oder mehrere Unternehmen oder Wirtschaftszweige beschränkt ist.

Eine Verzerrung auf dem Binnenmarkt liegt vor, wenn eine drittstaatliche Subvention geeignet ist, die Wettbewerbsposition eines Unternehmens auf dem Binnenmarkt zu verbessern, und die drittstaatliche Subvention dadurch den Wettbewerb auf dem Binnenmarkt tatsächlich oder potenziell beeinträchtigt.

Die Europäische Kommission kann eine so genannte Abwägungsprüfung durchführen, bei der sie die positiven und negativen Auswirkungen von drittstaatlichen Subventionen abwägt.
Wenn die Europäische Kommission feststellt, dass ein Unternehmen von einer drittstaatlichen Subvention profitiert, die den Binnenmarkt verzerrt, kann sie

  • (geeignete und hinreichende) Verpflichtungszusagen des Unternehmens zur Beseitigung der Verzerrung des Binnenmarkts für verpflichtend erklären, oder
  • die Vergabe des Auftrags an das betreffende Unternehmen untersagen.

V.    Sanktionen

Werden die Vorschriften nicht eingehalten, so kann die Europäische Kommission Geldbußen und Zwangsgelder gegen das Unternehmen verhängen. Unrichtige oder irreführende Angaben in der Meldung oder Erklärung von finanziellen Zuwendungen können mit Geldbußen von bis zu 1 % des erzielten Gesamtumsatzes des Vorjahres geahndet werden. Die fehlende Meldung einer finanziellen Zuwendung oder Umgehungskonstellationen mit Geldbußen von bis zu 10 % des Gesamtumsatzes geahndet werden.

Dabei ist zu beachten, dass Auftraggeber auch Vermutungen über drittstaatliche Subventionen an die Europäische Kommission melden können. Wie oben beschrieben kann die Europäische Kommission auch von Amts wegen tätig werden und eine Prüfung einleiten oder die Meldung von drittstaatlichen finanziellen Zuwendungen verlangen, die das Unternehmen erhalten hat.

VI. Nächste Schritte

Die Europäische Kommission wird im zweiten Quartal 2023 eine Durchführungsverordnung veröffentlichen. Die Durchführungsverordnung regelt die Form der Meldungen und gibt nähere Hinweise, wie das Verfahren ausgestaltet ist. Die eingegangenen Rückmeldungen zum Entwurf sind auf der Webseite der Europäischen Kommission einsehbar.
Bereits jetzt sollten sich Auftraggeber und Unternehmen auf die vergaberechtlichen Auswirkungen der Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen vorbereiten:

  • Auftraggeber sollten auf die Ausgestaltung ihres Vergabeverfahrens (auch in zeitlicher Hinsicht) anpassen und die Weiterleitung von Erklärungen oder Meldungen von drittstaatlichen finanziellen Zuwendungen an die Europäische Kommission beachten.
  • Unternehmen, die finanzielle Zuwendungen von Nicht-EU-Staaten erhalten haben, sollten entsprechende Angaben aufbereiten, bevor Meldungen und Erklärungen nach der FSR verpflichtend werden, damit sie im Falle eines Vergabeverfahren abrufbar sind. Vor dem Hintergrund, dass eine fehlende oder fehlerhafte Erklärung oder Meldung das Risiko von hohen Bußgeldern oder Zwangsgeldern birgt, bedeutet dies:

1. interne Sammlung von Informationen über die in den letzten drei Jahren erhaltenen drittstaatlichen finanziellen Zuwendungen, z. B. Form und Bedingungen der finanziellen Zuwendung, Zuwendungsgeber, Zweck und wirtschaftliche Gründe für die Gewährung der Zuwendung sowie Nachweise.

2. Entwicklung von Instrumenten zur weltweiten Überwachung drittstaatlicher finanzieller Zuwendungen, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Begriff der „finanziellen Zuwendung“ sehr weit gefasst ist und auch Kreditgarantien oder steuerliche Vergünstigungen umfasst.

Basierend auf unserer Erfahrung im EU-Beihilferecht unterstützen wir bei der Prüfung, welche finanziellen Zuwendungen als drittstaatliche Subventionen angesehen werden könnten und welche positiven Auswirkungen von finanziellen Zuwendungen im Rahmen der Abwägungsprüfung zu berücksichtigen wären.

VII. Weitere Informationen

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