25.01.2017Fachbeitrag

Die „Urbanen Gebiete“ als neuer Baugebietstyp - Chancen und Herausforderungen für die innerstädtische Projektentwicklung

Durch die Einführung des neuen Baugebietstyps der „Urbanen Gebiete“ verspricht sich die Bundesregierung eine erleichterte Nachverdichtung in innerstädtischen Bereichen und eine bessere Nutzungsdurchmischung zwischen Wohnen, Gewerbe, Arbeit und Freizeit. Der hierdurch ermöglichte kleinräumige Nutzungsmix kann innerstädtische Projektentwicklungen zwar durchaus fördern, stellt jedoch auch einige rechtliche Hürden für die Projektbeteiligten auf.

Einführung

Die Bundesregierung hat am 30. November 2016 den vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) vorgelegten „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt“ beschlossen. Dieser Entwurf ist die Grundlage für eine umfassende Novelle des BauGB und der BauNVO. Nach dem Willen des Kabinetts soll das förmliche Gesetzgebungsverfahren noch in dieser Legislaturperiode abgeschlossen werden. Herzstück der Reform ist die Einführung der neuen Baugebietskategorie „Urbane Gebiete (MU)“ in § 6 a BauNVO, die das Miteinander von Wohnen und Arbeiten in den Innenstädten erleichtern und neue Möglichkeiten für den Wohnungsbau schaffen soll. Da die TA Lärm und die Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV) für die „Urbanen Gebiete“ bislang keine Immissionsrichtwerte enthalten, hat die Bundesregierung parallel die Ergänzung dieser Regelwerke um neue (großzügigere) Immissionsrichtwerte für den neuen Baugebietstyp beschlossen.

Zweckbestimmung und Ziele der „Urbanen Gebiete“ – Unterschiede zum Mischgebiet und Kerngebiet

Nach der Zweckbestimmung dienen „Urbane Gebiete“ dem Wohnen sowie der Unterbringung von Gewerbebetrieben und sozialen, kulturellen und anderen Einrichtungen, die die Wohnnutzung nicht wesentlich stören. Die Nutzungsmischung muss nicht gleichwertig sein (§ 6 a Abs. 1 BauNVO). Damit unterscheiden sich die „Urbanen Gebiete“ von Mischgebieten i.S.d. § 6 BauNVO und Kerngebieten i.S.d. § 7 BauNVO: In Mischgebieten verlangt die Rechtsprechung eine Gleichwertigkeit der Nutzungsmischung aus Wohnen und Gewerbe. Bei den „Urbanen Gebieten“ wird auf die Erforderlichkeit eines ausgeglichenen Nutzungsmix demgegenüber ausdrücklich verzichtet. Hierdurch bietet der neue Baugebietstyp mehr Flexibilität bei der Zusammensetzung der einzelnen Nutzungsarten. Kerngebiete wiederum dienen schon von ihrer Zweckbestimmung her nicht dem Wohnen, wohingegen die Förderung des innerstädtischen Wohnungsbaus gerade erklärtes Ziel der „Urbanen Gebiete“ ist. Mit dem neuen Baugebietstyp beabsichtigt der Gesetzgeber also, eine vorhandene Lücke in den Gebietskategorien der BauNVO zu schließen und eine nutzungsgemischte „Stadt der kurzen Wege“ mit einer höheren Bebauungsdichte (Stichwort: Nachverdichtung) zu verwirklichen.

Art der baulichen Nutzung in „Urbanen Gebieten“

Der neue § 6 a Abs. 2 BauNVO sieht vor, dass in den „Urbanen Gebieten“ Wohngebäude, Geschäfts- und Bürogebäude, Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften, Betriebe des Beherbergungsgewerbes, sonstige (die Wohnnutzung nicht wesentlich störende) Gewerbebetriebe, Anlagen für Verwaltungen sowie für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke allgemein zulässig sind. Damit werden praktisch alle Nutzungen erfasst, die heute typischerweise das innerstädtische Leben in all seiner Vielfalt prägen. Ausnahmsweise können nicht kerngebietstypische Vergnügungsstätten und Tankstellen zugelassen werden (§ 6 a Abs. 3 BauNVO). Schließlich kann im Bebauungsplan für das gesamte oder Teile des „Urbanen Gebiets“ festgesetzt werden, dass straßenseitige Wohnnutzung im Erdgeschoss nicht oder nur ausnahmsweise zulässig ist oder oberhalb eines bestimmten Geschosses nur Wohnungen zulässig sind.Ein bestimmter Anteil der zulässigen Geschossfläche kann außerdem für Wohnungen oder gewerbliche Nutzungen vorgesehen werden (§ 6 a Abs. 4 BauNVO).

Maß der baulichen Nutzung in „Urbanen Gebieten“

Hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung sieht der neue § 17 Abs. 1 BauNVO als Obergrenze eine Grundflächenzahl (GRZ) von 0,8 und eine Geschossflächenzahl (GFZ) von 3,0 vor. Das „Urbane Gebiet“ ermöglicht somit eine wesentlich höhere Bebauungsdichte als in Mischgebieten (dort: GRZ 0,6 und GFZ 1,2). Auf die Erhöhung der GRZ auf 1,0 wie in Kerngebieten wurde demgegenüber verzichtet.

Immissionsrichtwerte für „Urbane Gebiete“

Die Ermöglichung von Wohnen, Gewerbe, Versorgungs- und Freizeiteinrichtung auf engstem Raum führt zwangsläufig zu Lärmkonflikten zwischen den unterschiedlichen Nutzungen. Damit das Immissionsschutzrecht der erwünschten Nutzungsmischung nicht entgegensteht, hat die Bundesregierung parallel die Erhöhung der Immissionsrichtwerte in Nr. 6.1 lit. c) der TA Lärm auf 63 dB(A) tags und 48 dB(A) nachts beschlossen. Damit liegen die Immissionsrichtwerte für „Urbane Gebiete“ deutlich über denen eines Misch- oder Kerngebiets (60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts) und sogar näher bei denen eines Gewerbegebiets (65 dB(A) tags und 50 dB(A) nachts). Der Wohnbevölkerung in „Urbanen Gebieten“ wird also eine wesentlich höhere Lärmbelastung zugemutet als in anderen für das Wohnen vorgesehenen Gebieten. Der maßgebende Immissionsort selbst bleibt hierbei unverändert: Es kommt weiterhin auf die Immissionen an, die 0,5 m außerhalb des geöffneten Fensters vor schutzbedürftigen Räumen gemessen werden. Maßnahmen des passiven Schallschutzes wie beispielsweise der Einbau von Schallschutzfenstern vermögen damit zwar ggf. rein tatsächlich mögliche Lärmkonflikte zwischen Wohnen und Gewerbe abzuschwächen. Rechtlich gesehen sind solche Schallschutzmaßnahmen für eine Konfliktlösung im Bebauungsplan- oder Baugenehmigungsverfahren jedoch irrelevant, solange die Fenster öffenbar sind. Selbiges gilt auch für die Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV), in deren neuem § 2 Abs. 2 Nr. 1 a) Immissionsrichtwerte für „Urbane Gebiete“ geregelt werden, und zwar ebenfalls für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden. Flankierend wird der (Bundes-)Gesetz- und Verordnungsgeber im Übrigen auch noch Immissionsgrenzwerte für die „Urbanen Gebiete“ in die Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) aufnehmen müssen.

Künftige Herausforderungen für die Projektentwicklung

So verständlich der Wunsch der Bundesregierung nach einer Erleichterung der innerstädtischen Quartiersentwicklung ist, so groß werden auch die Herausforderungen sein, mit denen sich die Projektentwickler und Behörden bei der Festsetzung „Urbaner Gebiete“ künftig auseinanderzusetzen haben:

  • Die lärmbedingten Mehrbelastungen, die den Bewohnern „Urbaner Gebiete“ gerade in der ohnehin kritischen Nachtzeit zugemutet werden, sind im Vergleich zu Wohn-, Misch- oder Kerngebieten immens und im Hinblick auf mögliche Gesundheitsgefährdungen umstritten. Ob die Vermarktbarkeit des innerstädtischen Wohnraums hierunter leiden wird, bleibt schlicht abzuwarten.

  • Bei der „Überplanung“ bestehender Baugebiete ist besonderes Augenmerk auf die Lösung von Lärmkonflikten zu legen. Sollen beispielsweise festgesetzte oder faktische Kern- oder Mischgebiete zu „Urbanen Gebieten“ entwickelt werden, werden den Bewohnern tags und nachts um 3 dB(A) höhere Lärmwerte als zuvor zugemutet. Solange der Gesetzgeber passiven Schallschutz nicht als taugliches Instrument gegen Gewerbelärm anerkennt, können Lärmkonflikte allenfalls durch eine „geschickte“ Stellung der baulichen Anlagen oder Verzicht auf die Ausbildung von Immissionsorten – also keine öffenbaren Fenster vor schutzbedürftigen Räumen – gelöst werden. Bei bereits bestehender Bebauung werden diese Festsetzungsmöglichkeiten allerdings häufig scheitern. Bei einer „Herabzonung“ bestehender Baugebiete auf ein „Urbanes Gebiet“ drohen damit rechtliche Auseinandersetzungen mit betroffenen Anwohnern über den Bebauungsplan.

  • Das Abstandsflächenrecht der Länder bleibt durch die Gesetzesnovelle unberührt, d.h. allein dadurch, dass im „Urbanen Gebiet“ eine höhere GRZ und GFZ als in einem Mischgebiet zulässig ist, wird nicht auch zugleich eine dichtere Bebauung der einzelnen Grundstücke ermöglicht. Vielmehr gelten auch bei der Entwicklung „Urbaner Gebiete“ die landesspezifischen Vorgaben zur Einhaltung von Abstandsflächen. Diese sind in den jeweiligen Bauordnungen sehr unterschiedlich geregelt: In Baden-Württemberg beträgt die Tiefe der Abstandsfläche beispielsweise allgemein 0,4 der Wandhöhe (H), in Kerngebieten 0,2 H und in Gewerbegebieten 0,125 H. In Bayern gilt demgegenüber allgemein eine Tiefe von 1,0 H, in Kerngebieten 0,5 H und in Gewerbegebieten 0,25 H. Aktuell ist offen, welche Abstandsflächentiefe für „Urbane Gebiete“ konkret gelten wird. Hier werden die Landesgesetzgeber Klarstellungen in ihren jeweiligen Bauordnungen vornehmen müssen. Solange diese landesgesetzlichen Lücken bestehen, bietet es sich an, die Abstandsflächen im Bebauungsplan über planungsrechtliche Festsetzungen zur Bauweise (offene/geschlossene/abweichende Bauweise) und zur überbaubaren Grundstücksfläche (Baulinien und Baugrenzen) zu regeln, die den landesrechtlichen Abstandsflächenvorschriften vorgehen.

Fazit

Ob die „Urbanen Gebiete“ in der Praxis tatsächlich halten, was die Bundesregierung sich von ihnen verspricht, bleibt nach alledem abzuwarten. Die Herausforderungen für Projektentwickler, Berater und Kommunen, die Bauleitplanung rechtssicher zu gestalten, sind gerade hinsichtlich des kleinräumigen Nebeneinanders völlig unterschiedlicher Nutzungen jedenfalls nicht geringer geworden.

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