Wertsicherungsklauseln in Gewerbemietverträgen auf dem Prüfstand – AGB-Kontrolle mit Rückwirkung
Update Immobilien & Bau 4/2025
OLG Düsseldorf, Urteil vom 5. Juni 2025 – I-10 U 146/24
Mit dem Urteil vom 5. Juni 2025 hat das OLG Düsseldorf eine für die Immobilienpraxis bedeutsame Entscheidung zur Wirksamkeit von Wertsicherungsklauseln in Gewerberaummietverträgen getroffen. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Wertsicherungsklausel nicht nur dem Preisklauselgesetz (PrKG), sondern auch der AGB-Kontrolle nach § 307 BGB unterliegt – mit der Folge einer rückwirkenden Unwirksamkeit.
Wertsicherungsklauseln in Gewerbemietverträgen sind in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus von Vermietern gerückt, weil Staffelmieten – die während der Niedrigzinsphase bis 2022 im Vergleich zu Indexklauseln gute Dienste leistete – die Inflationsraten ab 2022 häufig nicht vollständig kompensieren konnten.
Allerdings bergen Wertsicherungsklauseln erfahrungsgemäß ein höheres Risiko der Unwirksamkeit, insbesondere aufgrund ihrer zum Teil mangelnden Transparenz. Zwar hat sich der Bundesgerichtshof bislang eher liberal gezeigt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 26.5.2021 – VIII ZR 42/20). Allerdings stehen Indexklauseln in der juristischen Fachliteratur schon seit längerem unter kritischer Beobachtung. Das Urteil des OLG Düsseldorf ist ein Musterbeispiel für die Anfälligkeit von Indexklauseln, die einen entsprechenden Beratungsbedarf mit sich bringt.
Sachverhalt
Das OLG Düsseldorf hatte über die Wirksamkeit einer Wertsicherungsklausel in einem langfristigen Gewerberaummietvertrag zu entscheiden, die sich auf einen Indexstand bezog, der mehr als zwei Jahre vor Mietbeginn lag. Der Vertrag wurde am 28. August 2019 geschlossen, Mietbeginn war der 1. September 2019. In § 6 des Vertrags war geregelt, dass die Miete zunächst bis zum 31. August 2021 fest bleibt und danach „automatisch“ entsprechend der Entwicklung des Verbraucherpreisindex (VPI) angepasst wird. Ausgangspunkt für die Indexierung war jedoch der VPI-Stand vom Mai 2017 – also über zwei Jahre vor dem eigentlichen Mietbeginn.
Auf Basis dieser Regelung hatte die Vermieterin mehrfach Mieterhöhungen verlangt. Die Mieterin focht die Klausel an, zahlte die Erhöhungsbeträge unter Vorbehalt und verlangte deren Rückzahlung. Das erstinstanzliche Landgericht gab der Klage statt, wertete die Klausel als unangemessen benachteiligend und intransparent im Sinne von § 307 BGB und stellte deren Unwirksamkeit von Anfang an fest. Das OLG Düsseldorf bestätigte die Entscheidung und betonte, dass Verstöße gegen das AGB-Recht – anders als Verstöße gegen das Preisklauselgesetz (PrKG) – zur Unwirksamkeit ex tunc führen. Die Revision wurde zugelassen, da eine höchstrichterliche Klärung bislang fehlt.
Entscheidungsgründe
Das Urteil hat erhebliche praktische Relevanz.
1. Unwirksamkeit von Beginn an
Anders als das OLG Schleswig (Hinweisbeschluss vom 05.02.2024 – 12 U 69/23), das § 8 PrKG als Spezialregelung ansieht, die bei Verstößen gegen das Transparenzgebot eine Unwirksamkeit erst mit rechtskräftiger Entscheidung („ex nunc“) annimmt, differenziert das OLG Düsseldorf strikt: Nur bei einem Verstoß gegen das PrKG gilt die spätere Unwirksamkeit ab Rechtskraft (§ 8 PrKG), bei einem Verstoß gegen § 307 BGB hingegen gilt die unmittelbare Unwirksamkeit ex tunc, also ab Vertragsschluss (§§ 306, 307 BGB).
Ausgangspunkt dieses Konflikts ist, dass sowohl das PrKG als auch BGB für die Wirksamkeit einer Wertsicherungsklausel voraussetzen, dass diese transparent ist und zu keiner unangemessenen Benachteiligung für eine der Parteien führt.
Die zentrale Weichenstellung betrifft daher die qualitative Unterscheidung der Prüfmaßstäbe aus dem Preisklauselgesetz (PrKG) einerseits und den §§ 307 ff. BGB zur AGB-Kontrolle andererseits. Der Senat lehnt es ausdrücklich ab, dem PrKG – insbesondere dessen § 8 – einen generellen Vorrang im Sinne eines „lex specialis“ gegenüber dem AGB-Recht zuzubilligen. Dies hat erhebliche Folgen auf die für die zeitliche Wirkung der Unwirksamkeit betroffener Klauseln.
Das OLG Schleswig hatte in seinem Hinweisbeschluss vom 5. Februar 2024 vertreten, dass jedenfalls bei inhaltsgleichen Maßstäben in § 2 Abs. 1 Ziff. 2 PrKG und § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ein Verstoß gegen das PrKG zugleich einen Verstoß gegen § 307 BGB ausschließe. Konsequenz: Die Unwirksamkeit einer Klausel tritt nur mit der rechtskräftigen Feststellung ein – ex nunc – wie es § 8 PrKG vorsieht.
Dem widerspricht das OLG Düsseldorf deutlich. Es verweist auf die unterschiedlichen Regelungsziele der beiden Normkomplexe:
- Das PrKG verfolgt in erster Linie volkswirtschaftliche Ziele, schützt vor Preismanipulationen und Inflationsspiralen, die insbesondere durch eine automatische Wertsicherung in Verträgen hervorgerufen werden können. Daher sei der Verstoß gegen das PrKG mit einer vorsichtigen Rechtsfolge (Unwirksamkeit ex nunc) versehen, um Rechtsunsicherheiten bei bereits durchgeführten Vertragserfüllungen zu vermeiden. Letztlich ist dies Konsequenz dessen, dass das PrKG vor allem Kollektivinteressen und keine Individualinteressen vor Benachteiligung im Auge hat.
- Die AGB-Kontrolle nach § 307 BGB dient hingegen dem zivilrechtlichen Interessenausgleich zwischen Vertragspartnern (Individualinteressen) und schützt vor unangemessenen Benachteiligungen durch einseitige Vertragsgestaltung. Diese Wertung erfordert – systematisch und konsequent – die Unwirksamkeit der betroffenen Klausel von Anfang an (ex tunc), § 306 BGB.
Das OLG Düsseldorf stellt dazu klar:
„Ein tragfähiger Grund, eine Preisklausel nicht sämtlichen Vorschriften des BGB zu unterwerfen, ist – wie gezeigt – nicht ersichtlich.“
Auch die Gesetzesmaterialien zum PrKG enthielten keinen Anhaltspunkt, dass das Gesetz abschließend sein oder das BGB insoweit verdrängen solle. Vielmehr bestehe zwischen beiden Normkomplexen kein Vorrangverhältnis, sondern ein Nebeneinander mit eigenständigen Prüfungsmaßstäben und Rechtsfolgen.
Besonders hervorzuheben ist der methodische Ansatz des Senats: Er trennt sorgfältig zwischen dem Verstoß gegen das PrKG und dem Verstoß gegen § 307 BGB. Letzterer werde unabhängig geprüft und begründet – im konkreten Fall – die Unwirksamkeit der Wertsicherungsklausel bereits ab Vertragsschluss.
Zudem stützt sich das OLG auf die höchstrichterliche Rechtsprechung des BGH zurück, etwa zu Spannungsklauseln im Energielieferrecht (BGH, Urt. v. 24.03.2010 – VIII ZR 304/08), und überträgt die dort entwickelten Grundsätze auf das gewerbliche Mietrecht. Auch hier bestehe kein Grund, die AGB-Kontrolle auszuschließen.
2. Unangemessene Benachteiligung durch Verlegung des Bezugspunkts für Indexierung vor Mietbeginn
Die Regelung in § 6 des Mietvertrags sah vor, dass sich die Miete „automatisch im gleichen Verhältnis“ ändert, wenn sich der VPI gegenüber diesem Referenzzeitpunkt verändert. Ein zentrales Argument für die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Wertsicherungsklausel war aus Sicht des OLG Düsseldorf, dass sie auf einen Indexstand als Ausgangspunkt abstellt, der mehr als zwei Jahre vor Mietbeginn liegt – konkret den VPI-Stand vom Mai 2017. Der Mietbeginn war jedoch erst zum 1. September 2019 vereinbart.
Die Mieterin hatte somit bereits ab Vertragsbeginn eine inflationsbedingt erhöhte Miete zu zahlen – für einen Zeitraum, in dem sie keinerlei Gegenleistung erhalten hatte. Dies verletze nach Auffassung des Gerichts das Äquivalenzprinzip und stelle eine unangemessene Benachteiligung dar (§ 307 Abs. 1 BGB).
Das OLG Düsseldorf führt hierzu aus:
„Es liegt eine unangemessene Benachteiligung der Klägerin darin, dass […] der Monat Mai 2017 als Ausgangsstand für die relevante Indexentwicklung vereinbart wurde. Dieser Zeitpunkt liegt deutlich vor dem Mietbeginn […], und dies führt dazu, dass eine etwa in der Zeit seit Mai 2017 eingetretene Inflation zu Lasten der Klägerin geht, obwohl sie in dieser Zeit keine Gegenleistung der Beklagten erhalten hat.“
Darüber hinaus beanstandet der Senat die Intransparenz der Klausel gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, da der Anpassungsmechanismus widersprüchlich war: Einerseits sollte die Miete „automatisch“ mit Indexänderung steigen, andererseits wurde deren Wirksamkeit „von einer schriftlichen Aufforderung des Vermieters“ abhängig gemacht. Zudem blieb unklar, ob sich Folgeanpassungen am Indexstand von Mai 2017 oder an den jeweils letzten Anpassungszeitpunkten orientieren sollten. Diese Unklarheiten führten zur Intransparenz und Unwirksamkeit der Klausel insgesamt.
Da die Klausel von Anfang an unwirksam war, konnte sie keine Mietanpassung rechtfertigen. Der Mieter war daher berechtigt, alle auf Grundlage der Klausel gezahlten Erhöhungsbeträge zurückzufordern (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB).
Eine salvatorische Klausel half der Vermieterin nicht – eine geltungserhaltende Reduktion kommt bei AGB-Klauseln nicht in Betracht (§ 306 Abs. 2 BGB).
Praxishinweise
Die Entscheidung verdeutlicht, dass Wertsicherungsklauseln nicht nur dem PrKG, sondern auch der vollständigen AGB-Kontrolle unterliegen. Verstöße gegen § 307 BGB führen zu einer Unwirksamkeit ex tunc, also ab Vertragsschluss – mit erheblichen wirtschaftlichen Rückforderungsrisiken.
Vermieter und Projektentwickler sollten bestehende und geplante Wertsicherungsklauseln in Gewerberaummietverträgen sorgfältig überprüfen. Besonders kritisch ist die Verwendung eines Referenzindexzeitpunkts, der vor dem vertraglich vereinbarten Mietbeginn liegt – eine Konstellation, die bei Vermietungen „vom Reißbrett“ häufig anzutreffen ist. Derartige Klauseln bergen ein erhebliches Unwirksamkeitsrisiko.
Zudem muss sichergestellt sein, dass die Klausel transparent ausgestaltet ist, etwa durch eindeutige Festlegung des Anpassungszeitraums, der Berechnungsformel und einer klaren und widerspruchsfreien Regelung zu den formalen Bedingungen der Anpassung. Die Einfügung einer salvatorischen Klausel schützt dabei nicht vor den Folgen einer unwirksamen Wertsicherungsklausel – eine geltungserhaltende Reduktion findet nicht statt.
Angesichts der zugelassenen Revision bleibt abzuwarten, wie sich der Bundesgerichtshof positionieren wird. Bis dahin sollten Vertragsgestaltungen konservativ und risikominimierend vorgenommen werden.